Heiliger Romedius und sein Umgang mit dem Bären


 Ein „Freund“ in der Nähe

Meine Nachbargemeinde Thaur feiert heute, 15. Jänner, ihren Dorfheiligen, den Hl. Romedius. Weil auf meinem 300-Jahre alten Nachbarhaus – wie an so vielen in meinem Umkreis – ein Fresko des Heiligen aufgemalt ist, weil die Romediuskapelle oberhalb von Thaur zum Umkehrpunkt meiner Laufstrecke zählt, weil ein Schüler von mir eine Vorwissenschaftliche Arbeit über Romedius schrieb und er selbst Romed heißt … weil mich also dieser Heilige tagtäglich irgendwie begleitet, zählt er zu meinen Alltagsfreunden und verdient es hiermit, auch im Facebook erwähnt zu werden.

Ein Volksheiliger: Historisch und legendarisch

Der „Volksheilige“ aus Thaur hat – wie so mancher Heilige und die einzige Heilige aus dieser Frühzeit Tirols – nur wenig nachweisbare historische Anhaltspunkte. Weitaus stärker sind die Legenden, in denen sich jeweils die Historizität und Glaubenskraft von Menschen verdichtet. Romedius wurde eigentlich nie von einem Papst kanonisiert, das heißt offiziell als Heiliger anerkannt. Seine Inthronisation in die Schar der Heiligen geschah vom Volk her, weshalb er in die Kategorie der Volksheiligen gehört. Um es in die heutige Sprachregelung zu bringen: Er wurde sozusagen demokratisch legitimiert. Das Volk wartete in diesem Fall nicht auf den Sanktus aus Rom, um ihren Heiligen zu sanktionieren.

Das ist eine erste bleibende Botschaft aus der Beschäftigung mit Romed: Wir müssen nicht darauf warten, was der Papst sagt. Es zählt davor immer die Frage: Was sagt mir das eigene Gewissen? Das ist letztlich auch die gut-katholische Essenz kirchlicher Morallehre.

Aus dem Blickwinkel der Reformation darf der Hinweis nicht fehlen, dass die Heiligenverehrung gerade in Tirol auch Ausdruck der Gegenreformation war. Hippolytus Guarinoni ist dort begraben, wo ich als Lehrer tätig bin. Der Stiftsarzt aus Hall aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ließ in typisch gegenreformatorischer Absicht nicht nur die Karlskirche in Volders, meiner Schulkirche, erbauen, sondern hat zugleich eine Fülle an Heiligenlegenden geschaffen oder neu niedergeschrieben. Dazu zählen vor allem die Legenden über die Notburga aus Rattenberg sowie eben über Romedius von Thaur und leider auch jene unselige Legende über das Anderle von Rinn. Letztere hatte katastrophale Folgen und verstärkte antisemitische und antijüdische Ressentiments. In zwei Tagen wird der Tag des Judentums gefeiert. Es wird auch wichtig sein, die Last der Vergangenheit nicht zu vergessen, um daraus jenes wirkmächtige „Nie wieder!“ zu formulieren.

Der arm-gewordene Romedius: Auszug aus der Komfortzone

Historisches Faktum dürfte sein, dass Romedius ein Adeliger war. Das Schloss oberhalb von Thaur, dessen Ruinen in den letzten Jahren liebevoll restauriert worden sind, wird mit Romedius in Verbindung gebracht. Die Ulrichskirche in Thaur weist noch heute darauf hin, dass Romedius aus einem bayrischen Adelsgeschlecht stammte. Augsburg wiederum war das Bistum des Hl. Ulrich. Die Vigilskirche in Thaur erinnert an das Bistum von Trient, in dem vor allem der Hl. Vigil verehrt wurde. Romedius soll beiden Bistümern seinen ansehnlichen Besitz vermacht haben. Das alles dürfte auf das frühe 11. Jahrhundert zurückgehen, wie eine wissenschaftliche Untersuchung der Reliquien des Heiligen ergab.

Sein Umgang mit Besitz und seine Einstellung zu den materiellen Reichtümern ist die zweite bleibende Bedeutsamkeit von Romedius. Ein Krankheitssystem in den reichen Gesellschaften des Nordens ist die Affluenza. Die Reichen können nie genug kriegen. Wohlstandssicherung um jeden Preis lautet die Maxime. Romedius zeigt einen radikal anderen Weg. Wie Jesus und dann später Franz von Assisi wählt er einen Weg, frei von Besitz und Reichtum zu sein und das, was er hat, mit anderen zu teilen. Romedius wird zum kritischen Korrektiv für eine neoliberale Politik, in der zugunsten der Reichen der Sozialstaat kaputt gespart wird, in der Versicherungsleistungen in Fürsorgeleistungen umgebaut werden, Arbeitslosenprogramme gestoppt oder Maßnahmen eingeführt werden, bei der vor allem die Begüterten profitieren.

Der gewaltfreie Romedius: Die Zähmung des Bären

Verbunden mit Besitzlosigkeit ist auch die Fähigkeit zur Gewaltfreiheit. Reichtumswahrung führt zu Unfrieden, haben unzählige Heilige von Franz von Assisi bis Mahatma Gandhi immer wieder festgestellt. Die bekannteste Legende über Romedius ist wie eine Lehrgeschichte über Gewaltfreiheit und erinnert eins zu eins an die Zähmung des Wolfes von Gubbio durch Franz von Assisi. Wie wir dem Bösen begegnen, das ist die dritte bleibende Botschaft aus der Vita des Heiligen von Thaur.

Als Romedius mit zunehmendem Alter schwächer wurde, nahm er sich ein Pferd zu Hilfe, um den oft beschwerlichen Weg bestreiten zu können. Eines Tages aber stand es auf der Weide und wurde dort von einem wilden Bären angefallen. Dieser hat das Pferd gänzlich zerrissen, so dass nichts mehr übriggeblieben ist. David, Romedius Gefährte, suchte vergeblich nach dem Pferd. Schließlich erhielt er von Romedius den Auftrag, den Bären aufzuzäumen und ihm herbeizuführen. Durch Romedius Zuspruch ist ihm das dann auch gelungen. Das wilde Tier gehorchte und fortan diente es dem Romedius. Auf zahme Weise begleitete es ihn auf seinem Weg nach Trient.

Die Figur des Bären stand in der bäuerlichen Kultur des frühen Mittelalters jedenfalls für etwas Bedrohliches und Gefährliches. Die Matschgerer in meinem Dorf werden sehr bald wieder durch das Dorf und die Gasthäuser ziehen. Zu ihrem Brauchtum zählt es, einen Bären einzufangen. Der Bär steht für die zerstörerischen Kräfte in- und außerhalb von uns Menschen. Die Frage lautet freilich, wie begegne ich diesen Kräften. Will ich sie im Stile eines Gladiators niederringen und bekämpfen? Dabei denke ich mit Erschaudern an den martialischen Einzug eines fahnenschwingenden Parteiführers beim Auftakt des Landtagswahlkampfes im Congress in Innsbruck, wo Trommler ganz im Stil einer faschistoiden Dramaturgie ihren „Führer“ begleiteten. Muss der Bär – muss das Böse – getötet werden?  In einer Bibelstelle, die in den liturgischen Texten zu Beginn des Jahres gelesen wird, stellt Johannes der Täufer Jesus mit den Worten vor: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“ (Joh 1,29) Ein Lamm kann einen Wolf nicht bezwingen. Ein Lamm wird den Bären nicht erledigen. Ein Lamm steht für den Weg des Gewaltverzichts. Im Evangelium lesen wir, dass das Lamm „die Sünde der Welt hinwegnimmt“. Gewaltverzicht ist eutopisch, hat einen guten Ausgang. Romedius bezwingt den Bären nicht. Er macht ihn zu seinem Gefährten. Romedius freilich kann all dies nicht aus eigener Kraft. Er handelt mit der Kraft des Himmels.

Klaus Heidegger, 15. Jänner – am Festtag des Hl. Romedius

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