„Schämt euch nicht zu verhandeln!“

Ein pazifistischer Weg im Widerspruch

Auf meinen Blog-Beitrag „Weiße Soutane und weiße Fahne“ vom 11.3.2024 erhielt ich etliche Zuschriften. Die Hälfte war klar gegen meine Argumentation, die andere Hälfte äußerte umso entschiedener Bedenken. Das heißt konkret: Die einen sehen im Aufruft des Papstes, nach zwei Jahren Krieg in der Ukraine endlich die Bereitschaft zum Verhandeln zu zeigen und die Waffen schweigen zu lassen, eine notwendige Kurskorrektur. Die anderen hingegen mahnen vor einem aggressiven Russland, einem Diktator Putin, der über Leichen gehe, um seine imperialen Interessen durchzusetzen. Letztere Position zwinge dazu, dass der Westen weiterhin und noch stärker mit militärischen Mitteln den ukrainischen Präsidenten Selenskyi in seinen militärischen Anstrengungen unterstützen müsse. Diese Sichtweise soll mit einer Karikatur verdeutlicht werden. Sie zeigt einen Haifisch, der einen Menschen verschluckt. Dahinter ruft der Papst: „Ich ermahne euch, schließt Frieden!“ Diese Karikatur trifft genau die Ebene, mit der jene argumentieren, die Papst Franziskus Naivität bzw. mangelnde Solidarität mit dem ukrainischen Volk vorwerfen, das vom Haifisch Putin attackiert worden ist.

Verhandeln ist nicht kapitulieren

Bewusst wurde das BILD der „weißen Fahne“ als Aufruf zu einer einseitigen Kapitulation missverstanden, die bedeuten würde, dass die Ukraine den Gebietsansprüchen Russlands zustimmen müsste. Erstens ist jedoch das Symbol der weißen Fahne das klare Signal – an beide Seiten – die Waffen schweigen zu lassen. Ja, auch Putin ist der Adressat, wenn der Papst eine Abkehr vom militärischen Waffengang fordert. Zweitens symbolisiert das Weiß der Fahne, dass angesichts der furchtbaren Konsequenzen des Krieges zunächst weder die rot-blau-weiße Fahne Russlands und auch nicht das Gelb-Blau der Ukraine maßgebend sein sollten, solange der Zerstörungskrieg andauert.

Verhandlungen! Nichts anderes fordert Papst Franziskus, wenn er von der „weißen Fahne“ sprach. Nicht meinte er Kapitulation, sondern Stopp dem hirntötenden Waffengetöse. Hat die militärische Option für die Ukraine in den vergangenen zwei Jahren irgendetwas an Erfolg mit sich gebracht?

148 Staaten haben im Rahmen der Vereinten Nationen bereits viele Monate davor für Verhandlungswege plädiert. Die zuständigen internationalen Organisationen wie UNO oder OSZE böten sich an, um als Vermittler tätig zu sein, ebenfalls andere Staaten wie die Türkei. Erdogan sprach fast gleichzeitig mit den Äußerungen von Papst Franziskus von einem „Friedensgipfel“, den er einberufen möchte. Bereits kurz nach der völkerrechtswidrigen Invasion Russlands in der Ukraine vor zwei Jahren wurde in Istanbul ein Waffenstillstandsvertrag (Istanbuler Verträge) ausgearbeitet. Die USA und Großbritannien standen diesem Abkommen damals ablehnend gegenüber. Gemeinsam mit Selenskyi setzten sie auf die militärische Karte. Ein Nein zu Verhandlungen, auch das ist ein Fakt, kommt auch zwei Jahre später vor allem von Selenskyi. Mit Putin-Russland will er nicht verhandeln. Dazu hat der ukrainische Präsident bereits im Oktober 2022 ein entsprechendes Dekret erlassen, das Verhandlungen mit Putin ausschließt. Sehr wohl aber zeigte Putin Verhandlungsbereitschaft.

Kein Kampf der Guten gegen die Bösen

Der Hauptvorwurf gegen Papst Franziskus lautet freilich, dass er sich nicht klar auf die Seite der Ukraine stelle und auch Verständnis für die Position Russlands habe. Für Franziskus ist hingegen der Kampf der Ukraine kein „heiliger Krieg“ gegen das absolut Böse in Gestalt von Putin.

Verhandlungsrealismus

Wer verhandeln will, ist nicht naiv. Naiv ist es allerdings zu glauben, ein militärischer Sieg gegen Russland wäre möglich. Oder haben jene recht, die behaupten, der Ukrainekrieg sei eine geopolitische Strategie, um Russland als Weltmacht zu schwächen? Haben jene recht, die den Ukrainekrieg auch als Stellvertreterkrieg in einer größeren geopolitischen Auseinandersetzung sehen? Haben jene recht, die meinen, es gehe vor allem um die ökonomischen Interessen des militärischen-industriellen Komplexes, deren Aktien noch nie so gut dastanden. Wohl all diese Motive treffen zu, ergänzen und verstärken sich wechselseitig.

Der jesuanische Weg des Gewaltverzichts und der Feindesliebe

Papst Franziskus folgt mit seiner Strategie jenen Vorgaben, die in den jüdisch-christlichen Schriften des Alten und Neuen Bundes festgelegt sind, ohne aber in einen biblischen Fundamentalismus hinein zu rutschen. Die Worte Jesu und sein Beispiel werden durchwegs auch als realistischer und vernunftgemäßer Weg dargestellt, der sich einer blindwütigen Rache und einem Vergeltungsdenken entzieht.

Klaus Heidegger, 16.3.2024

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