Eine Wetterkirche in Zeiten von Extremwetterereignissen: Bewahre uns vor der fortschreitenden Erhitzung des Planeten Erde und den desaströsen Folgen des anthropogenen Klimawandels

St. Vigilius-Kirche am Vigiljoch

Schon in Zeiten, die als „prähistorisch“ bezeichnet werden – so als begänne die Historie erst in christlichen Zeiten – haben Menschen an einem Ort auf knapp 1800 Höhenmetern hoch über dem Etschtal auf einem langen Bergrücken, der sich oberhalb vom Ultental aus dem Ortlergebirge herausgebildet hat, Kräfte beschworen, die sie vor extremen Wetterereignissen schützen könnten. Bevor Missionare dem Gebiet einen christlichen Stempel verpassten, wurden mit Tänzen und Opferfeuern auf exponierten Stellen Rituale gefeiert und man fühlte sich den Gottheiten ganz nahe. Ein eifriger Missionar des christlichen Gedankenguts war St. Vigilius. Er war ein begnadeter Mann, hochgebildet, einfühlsam, engagiert und so wurde er vom Volk zum Bischof „gewählt“. Ein schönes Zeichen, dass damals Bischöfe von solchem Format eine demokratische Legitimation hatten, nicht bestimmt von einem autokratisch regierenden Monarchen im Vatikan. Auch in christlicher Zeit blieben dann die Rituale, mit denen man sich Schutz vor dem Wetter erhoffte. Die extremen geographischen Gegebenheiten, in denen die Bergbauern hoch über dem Etsch- und Ultental lebten, ließen Wetterereignisse noch bedrohlicher erfahren. Als ich mit Gravelbike bei starkem Regen das steile Sträßchen Richtung Vigiljoch hinauffahre, hinauf zum kleinen Dorf Pawigl mit dem alten Kirchlein St. Othmar, wo alte Berghöfe auf steilen Abhängen in steilen Wiesenhängen picken, wird mir bewusst, wie extrem die Lebensbedingungen waren, als noch keine Straße hinaufführte und keine Seilbahn das Gebiet mit Technik erschloss. Man war dem Wetter ausgeliefert. So entstand am Vigiljoch eine Wetterkirche bereits in romanischen Zeiten, auf deren Grundmauern eine gotische Kirche weitergebaut wurde. Eine Wetterkirche zu Ehren des Hl. Vigilius. Es ist die höchstgelegene Kirche in Tirol – wohl auch im Alpenraum, umgeben von Wiesen und Hochwäldern, die hier fast sanft wirken. Majestätisch ragt der steinerne Turm in die Höhe, so als kratzte er die Wolken weg, damit das Blau dahinter hervorkomme. Angedockt an den Turm sind die steinernen Kirchenmauern. Der Ort und das Gebäude wirken erhaben. Die Kirche St. Vigilius spiegelt sich auf der nördlichen Seite in einem kleinen Weiher, der sich davor aus dem geschmolzenen Schneewasser gebildet hatte.

Karfreitag am Vigiljoch und in den überschwemmten Gebieten Norditaliens

Ich bin eine besinnliche Weile alleine in der Kirche und auf der Bank davor. Es ist Karfreitag und ich lasse nahe der Todesstunde Jesu das große Holzkreuz in der Apsis unter dem Rippengewölbe auf mich wirken. Links und rechts davon sind die Statuen von St. Vigil mit den Attributen des Bischofsstabs und des Holzschuhs sowie des Hl. Jakobus, dargestellt mit Pilgerstab und einer Pilgermuschel auf seinem Hut. Vigil und Jakob – sie tragen die Botschaft des Gekreuzigten weiter und es ist, als würden sie mich fragen: „Und Du, Klaus, was machst du, damit es mit der Erderhitzung nicht so weiter geht?“ Am Morgen las ich die Katastrophenmeldungen aus dem Piemont. Es gab Starkregen, es gab Überschwemmungen und Vermurungen. Die Extremwetterereignisse sind schon zur Normalität geworden. Das erhitzte Meer, das weit mehr Wasser in Verdunstungen abgibt, und die wasserdichte Luft wird an die Ränder der Berge gespült, wo sie sich entleert. Wir kennen längst die Ursachen und auch die Verursacher, die so leicht auszumachen sind im massenhaften Individualverkehr, in dem Unmengen an fossiler Energie verbrannt werden, wodurch die gefährlichen Treibhausgase entstehen usw. usf. Die Masse der automobilen Osterurlauber im Norden Italiens wird sich über das Wetter ärgern – ohne dass sie ihr eigenes Verhalten dadurch in Frage stellen werden.

Ein Ort erzählt Geschichte

Meine Schwester hat über den „Sehnsuchtsort Vigiljoch“ ein Buch herausgegeben. Während ich vor der Kirche hocke und der Wind mit mir spielt, sehe ich in meiner Phantasie die Geschichte, von der ich las: Von den Ziegen und Kühen, die im 19. Jahrhunderten die Kirche als Stall benützten, weil sie im Zuge der josephinischen Kirchenreform säkularisiert worden war. Vom Vigiljoch aus konnten während der erbitterten Gebirgskämpfe im Ersten Weltkrieg die Bomben gehört werden. In der Zwischenkriegszeit sah die Bergkirche die Burschen mit weißen Stutzen, die in den 30er-Jahren mit den BDM-Mädels sich trafen in ihren faschistischen Zirkeln und im Führer den Retter erträumten. Später dann freilich waren hier italienische Faschisten, die nach der Annexion dem Duce huldigten. Unterhalb der Kirche gab es ein Ferienhaus einer Zahnarztfamilie aus Meran, das für jüdische Kinder zur Verfügung gestellt worden war, weil sie hier Schutz fanden und unterrichtet werden konnten – allerdings fiel auch dieses dann den antisemitischen Umtrieben in den 40er-Jahren zum Opfer und der zuständige Pfarrer meinte dazu nur, dass dies die Strafe dafür sei, dass die Juden Jesus ans Kreuz gebracht hätten. Das Vigiljoch war nach dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs wohl auch eine Gegend, in der sich die Südtirolaktivisten trafen, die eine dynamitgeschwängerte Los-von-Rom-Politik verfolgten, was die Ankunft der Alpini befeuerte. Und heute können sich hier Touristen zwischen Wandern, Mountainbiken und im Winter Skifahren und Rodeln entscheiden, und manche werden wohl dem Kraftort Vigiljoch nachspüren und sich fragen: welche Geschichte möchte ich mit meinem Sein schreiben.

Klaus Heidegger, Karfreitag, 18. April 2025

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