
Die unermessliche Kraft von urzeitlichen Gletschern, von Wind und Wetter – sie hat die Landschaft geformt. Die Menschen haben nur für ein paar Steige rot-weiß-rote Markierungen gesetzt und entlang von steilen Bergflanken ein schmales Steiglein gehauen. Wer hier in der Bergeinsamkeit unterwegs ist, wird von der Natur aufgenommen und wird ihr Teil im je eigenen Schritt.
Die Bergwelt im hinteren Lüsenstal kenne ich bestens von meinen Skitouren. Mein Freund schlug vor, einmal im Sommer auf den Zischgeles zu steigen, jenen 3000er, der einer der beliebtesten Skitourenberge oberhalb von Praxmar ist. Wo im Winter Schnee ist, sind es nun grüne Bergwiesen; wo die Flanken im Winter weißstrahlend sind, leuchten nun gräulich schimmernde Felswände und Blockgrate aus verschiedenen Gneisgesteinen; wo im Winter Skispuren zu finden sind, gibt es für die schneefreie Zeit zwei gutmarkierte Steige auf den Gipfel des Zischgeles, die zu einer Überschreitung animieren. Direkt vom Alpengasthof Praxmar geht der Steig westlich los. Die Markierungen leiten zunächst durch einen Zirbenwald und Almgebiet und münden in einen Gipfelaufbau mit Gneisplatten und Geröll im unteren Bereich und einer leichten Kletterei in festem Fels am Blockgrat. Von Praxmar bis zum Gipfel sind es 1300 Höhenmeter und fast exakt zwei Stunden. Der Abstieg Richtung Süd-Osten folgt zunächst der Route, die ich vom Winter her kenne mit einer leichten Kletterei zwischendrin und dann führt der gut markierte Steig südseitig entlang der steilen Flanken vom Oberstkogel. Wäre das schmale Steiglein in der Steilflanke durchgehend begehbar, so wäre es wohl einfacher. An einer Stelle allerdings gibt es bei der abschüssigen Flanke nur mehr eine rutschig-lettige Querung ohne Steig – und das über den Abbrüchen. Das fordert mich ziemlich – und ohne freundschaftlichen Zuspruch wäre ich da nicht weitergegangen. So schnell kann eine mit einem roten Punkt markierte und mit T3+ bewerte Route doch zur nicht ungefährlichen Herausforderung werden. Da bin ich dann froh über die entspannendere Strecke entlang von weichen Almblumenwiesen und einem kleinen Bach hinunter zur idyllischen Schafalm, wo Kühe grasen und die Mischung von Kuhscheißenduft und Zirbenduft eine eigene Duftnote bilden. Vielleicht wäre die Rundtour auf den Zischgeles in die andere Richtung – mit Aufstieg über O-Grat und Abstieg am N-Grat etwas entspannter gewesen für einen, der die schmalen Steiglein an abschüssigen Stellen überhaupt nicht mag.