Über den Missbrauch politisch zentraler Begriffe und Symbole in den impfkritischen Narrativen

80 Jahre danach

Am 20. Jänner 1942 wurde in der Wannseekonferenz die größte Gräueltat der Geschichte beschlossen. Systematisch sollte das ganz jüdische Volk vernichtet werden. Die „Endlösung der Judenfrage“ sollte durch großangelegte Deportationen in die Vernichtungslager im Osten Europas erfolgen.

Wer immer bei impfkritischen Demonstrationen und Kundgebungen sich heute  – vielleicht sogar mit einem gelben Davidstern markiert – als „Opfer“ stilisiert und dabei mit der Verfolgung der Jüdinnen und Juden einen Vergleich zieht, verharmlost diese unvergleichlichen Verbrechen des Nationalsozialismus. Wer immer die parlamentarische Demokratie in Österreich, die verfassungsgemäß amtierende Regierung oder die Judikative lautstark als „Diktatur“ beschimpft und von „Faschismus“ spricht, wenn die Abgeordneten des Nationalrates mit großer Mehrheit die rechtliche Impfpflicht beschließen, verharmlost die Brutalität faschistischer Systeme. Der 20. Jänner 1942 mit der Wannseekonferenz und der 20. Jänner 2022 mit dem Beschluss der Impfpflicht dürfen nie miteinander verglichen werden!

Diktatur?

Jene, die bei den Anti-Corona-Maßnahmen-Demos oder in den Telegram-Postings von „Diktatur“ reden und schreiben, scheinen das elementare Einmaleins der politischen Bildung zu missachten. Seit Beginn der Pandemie werden in Österreich die von der Regierung geplanten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie jeweils den gesetzgebenden Instanzen zur Beschlussfassung vorgelegt und auch verfassungsmäßig überprüft. Wenn Kickl und Co in ihren Reden bei den Demonstrationen davon reden, „das System zu sprengen“ oder wenn andere „die Regierung in die Wüste schicken“ wollen, so sind dies demokratiepolitisch gefährliche Brandreden, die das Vertrauen in die Demokratie untergraben und damit letztlich faschistischen oder totalitären Modellen jenseits der demokratischen Systeme den Boden bereiten. Eine lautstark auftretende Minderheit will ihre impfkritische Haltung einer demokratisch legitimierten Mehrheit aufzwingen.

Ich selbst war in meinem Leben oft bei Demonstrationen oder habe solche organisiert, die meist im Widerspruch waren zum Handeln der Regierenden. Als wir in der Hainburger Au waren und die Gendarmerie gegen uns ausrückte, haben wir jedoch nicht „Diktatur“ gerufen. Dieser Begriff kam auch nicht vor bei den Demonstrationen gegen die Wiederaufbereitungslage in Wackersdorf, gegen die Stationierung der Abfangjäger in Graz-Thalerhof und auch die Fridays-For-Future-Bewegung spricht heute nicht von Diktatur, wenn ökologisch bedenkliche Entscheidungen getroffen werden.

Diktatur war der Faschismus in Hitlerdeutschland, war der Stalinismus und ist heute zu finden in Ländern wie Kasachstan, wo gegen Demonstrierende geschossen wird, in Myanmar, wo eine Oppositionsführerin gerade wieder zur Gefängnishaft verurteilt wurde und ansatzweise auch in den kommunistisch-zentralistisch regierten Ländern Asiens. Allein die Tatsache, dass die Anti-Corona-Maßnahmen-Demos überhaupt stattfinden können, sollte Grund genug sein, um mit Blick auf Österreich nicht von „Diktatur“ zu reden.

Faschismus?

Wenn das Parlament Corona-Maßnahmen beschließt, wird von Impfgegnern von „Faschismus“ gesprochen: einem politischen System, das anti-demokratisch und anti-liberal ist. Bei den Demonstrationen hängen sich dann auch jene an, die selbst faschistische Neigungen haben. Ob in Deutschland Mitglieder der AfD oder in Österreich die demonstrativ impfkritische freiheitliche Partei – in der Impfkritik haben sie ein Ventil gefunden. Keinesfalls möchte ich allen impfkritischen Personen – die beispielsweise Bedenken wegen möglicher Impfreaktionen haben – ein rechtes Gedankengut unterstellen.

Gelber Davidstern mit Aufschrift „ungeimpft“

Es darf einfach nicht sein, die Symbole der Judenverfolgung während der NS-Zeit mit der Kritik am Impfen zu verknüpfen. Das muss auch zur Aufmerksamkeit führen, dass Antisemitismus und Impfkritik oft gemeinsam auftreten. Ein bestimmter Naturglaube, der Glaube an das Schicksal der Natur, dem man sich nicht entziehen könnte, und das Prinzip vom Überleben des Stärkeren sind Elemente von rechtsextremen Ideologien, die in die Impfkritik-Szene wieder neu aufpoppen. Der Sprung zu einem Denken, dass jene, die eine Covid-Erkrankung nicht überleben, es nicht wert wären zu überleben, erinnert an Nazi-Gedankengut. Die „Survival of the fittest“-Ideologie wird hörbar in Aussagen wie „Menschen sterben immer“, „der Tod gehört zum Leben“ oder gar „es trifft vor allem Kranke oder Alte“.

Jedenfalls ist es absurd und eine Verunglimpfung der Opfer der Shoah, Corona-Maßnahmen wie Maskentragen oder Quarantäneregelungen mit der Verfolgung des jüdischen Volkes zu vergleichen. Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen haben deswegen ein Verbot von Davidsternen und nationalsozialistischen Motiven auf Demonstrationen gegen Corona-Verordnungen gefordert.

Widerstand?

Ich habe bereits erwähnt, im Laufe meines politischen Lebens an vielen regierungskritischen Demonstrationen teilgenommen zu haben. Nie habe ich aber dabei das Vokabel „Widerstand“ in den Mund genommen, das unweit von meiner Wohnung seit einiger Zeit mit grüner Schrift auf einer Betonmauer gesprüht ist und immer wieder bei den Anti-Corona-Maßnahmen-Demos laut wird. „Widerstand“ ist fast ein „heiliges“ Wort. Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer sind jene, die unter Einsatz von ihrem Leben gegen faschistische Systeme aufgetreten sind und es immer noch heute tun. Man darf dieses Wort nicht leichtfertig für sich in Anspruch nehmen.

Österreichfahnen?

Wenn sich Impfgegner mit rot-weiß-roten Fahnen schmücken und diese bei den Demonstrationen pathetisch schwenken, dann wollen sie sagen: Wir sind das wahre Österreich oder anders formuliert: „Wir sind das Volk!“ Eine Fahne, die einen sollte, wird in der Hybris einer Minderheit zum trennenden Symbol. Jene, die wegen der Corona-Maßnahmen eine Spaltung der Gesellschaft beklagen, tragen am meisten zu dieser Spaltung bei.

Blicken wir also genau hin auf die Begriffe „Diktatur“, „Faschismus“ und „Widerstand“ sowie auf Symbole mit weitreichender Bedeutung und seien wir vorsichtig im Umgang mit ihnen.

Klaus Heidegger, 20. Jänner 2022, Festtag des Hl. Sebastian

Kommentare

  1. Schade das nicht alle so differenziert zu denken gelernt haben….von mir auch ein herzliches Dankeschön dafür.

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