„Die Zeit ist aus den Fugen …“: Hamlet und die Panzerlogik

Es ist der 25. Jänner 2023. In Berlin gibt der deutsche Bundeskanzler dem Druck von verschiedenster Seite nach und schaltet die Ampel auf Grün für die Lieferung von deutschen Leopard 2-Kampfpanzern in den Krieg in der Ukraine. Der antimilitärische Damm ist längst schon brüchig geworden. Panzerlogik. Kriegslogik. Seit fast einem Jahr tragen die westlichen Länder dazu bei, immer neues Öl ins Kriegsfeuer zu gießen. Als nächstes fordert der ukrainische Präsident nun Kampfpanzer und Kampfflugzeuge. Sein Kriegsziel ist klar: Die ganze Ukraine soll von den russischen Invasoren „befreit“ werden.

„The time is out of joint …“ ist ein Zitat aus Hamlet, dem wohl bekanntesten Schauspiel der Weltliteratur. Von einer „Zeitenwende“ wurde zuletzt oft gesprochen und geschrieben. Erderhitzung mit extremen Konsequenzen für Millionen Menschen – jetzt schon! In diesem Kontext Kriege und sich nochmals verstärkende Migrationsbewegungen bzw. Fluchtsituationen. Artensterben, Energiekrise, hohe Inflation, Teuerungen und Verarmungserscheinungen in der Bevölkerung.

Es ist der 25. Jänner 2023. Im Innsbrucker Landestheater wird „Hamlet“ von William Shakespeare aufgeführt. Die Handlung ist vertraut. Es ist eine Tragödie, in der es um Rache und Vergeltung geht, die eine blutige und vernichtende Spirale von Gewalt und Gegengewalt in Bewegung setzen. Der Prinz von Dänemark zählte in meiner Schulzeit noch zur Pflichtlektüre. Schon mehrmals habe ich seither Hamlet gesehen. Diesmal ist es, als würde ich im „Großen Haus“ des Landestheaters ein Zuspitzung der täglichen Nachrichten sehen oder besser, als hätte Shakespeare schon vor 400 Jahren die Grundstrukturen der „Banalität des Bösen“ aufgedeckt, die Menschen und ganze Staaten auch in der Jetztzeit in den Abgrund führt. Die Bühne im Landestheater gleicht einem Schachbrett, das immer mehr zu einer schiefen Ebene wird, auf der die Figuren ihrem Schicksal entgegengeführt werden und schließlich in den Abgrund hinunterkollern. Es ist der Geist der Rache, dem sie folgen.

Mein Lieblingscharakter ist einmal mehr Ophelia. Hamlet und Ophelia lieben sich – doch kann eine zärtliche Liebe in dieser Gewaltdramaturgie keinen Platz haben. Hamlet hätte die Möglichkeit, aus der teuflischen Vergeltungslogik auszusteigen und damit Ophelia und sich zu retten. Anstelle dessen verletzt er sie zutiefst. Um sich von ihr abzugrenzen, wird selbst seine Sexualität zum abartigen Instrument. Ich entdecke eine Träne auf meiner Wange, als Ophelia ihr Leben und damit eine Ausstiegsmöglichkeit in der Gewaltspirale beendet. Am Ende bleibt das Duell – Mann gegen Mann, Kriegsmann gegen Kriegsmann – in dem es keinen Sieg, sondern nur Verlierer gibt.

Wenn es in der Kritik der Tiroler Tageszeitung über die aktuelle Hamlet-Inszenierung heißt, man brauche ein Taschentuch, nicht um zu weinen, „sondern um sich Lachtränen aus dem Auge zu wischen“ und von einem „unterhaltsamen, kurzweiligen Amüsement“ geschrieben wird, dann könnte man meinen, der tiefe Ernst des Stückes wurde nicht verstanden. Ich habe nicht gelacht, sondern mitgelitten.

Die Interpretation der Figur des Horatio hat mich in der aktuellen Inszenierung des Landestheaters am meisten angesprochen. Nach all dem Schrecken der Gewalt steht Horatio da als Hoffnungszeichen einer neuen Generation, der „Letzten Generation“, die dem Geist der Rache und Zerstörung zu widersagen scheint. Sie trägt nicht, wie sie vom sterbenden Prinz Hamlet aufgetragen bekommt, das Erbe der Gewalt weiter in die Welt hinein. Sie – und anders als bei Shakespeare haben die Regisseurinnen die Figur nicht mit einem Mann, sondern mit einer jungen schwarzen Schauspielerin besetzt – wählt einen anderen Weg: „Ich breche mit dem Fluch, dass ich diesen Auftrag weitergebe …“ So wird von den beiden Dramaturginnen das Ende von Hamlet neu geschrieben und schenkt nach all dem Wahnsinn etwas Hoffnung. Der schachbrettartige Bühnenboden ist mit einigem Krachen wieder gerade gestellt. Werden andere Figuren nun „Versöhnung“ spielen können? Applaus.

Klaus Heidegger, 27.1.2023

Kommentare

  1. Lieber Klaus, ich kann deinen Worten nur beipflichten. Ergänzen möchte ich noch, dass auch die Musik von Ian Fisher es auf einfühlsame Weise es schafft, das Drama in die Jetztzeit zu transferieren.
    Ich war und bin überwältigt, was dem TLT da gelungen ist.

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