Die Zischgeles an einem Gründonnerstag und am österreichischen Welterschöpfungstag

„Zischgeles“ klingt wirklich wie einer Tiroler Dialektwort. Ist es auch. „Zischka“ – so heißt „Franziskus“ im Tiroler Idiom, schreibt der Sellrainer Bergexperte Lukas Ruetz in seinem Blog. Zischgeles – also der „Franziskusberg“. Die Zischgeles als Skitourenklassiker gehört für mich irgendwie zu jedem Winter. Diesmal passen auch die Bedingungen. Lange hatte es bisher zu wenig Schnee und als es geschneit hatte, war lawinenbedingt ein Aufstieg nicht ratsam. An diesem Gründonnerstag passt skitourenmäßig einfach alles: Heute ist Lawinenwarnstufe 2. Das Wetter ist optimal: Kalt. Der Neuschnee der letzten Tage ist pulvrig. Ein tiefes Himmelblau. Eine motivierende Begleitung. Wir sind die ersten, die von Praxmar (1689 m) losgehen. Der Gipfel auf 3004 m lässt sich von unten schon erkennen. Bachstelzen zwitschern. Nur eine Person ist vor uns. Manchmal ziehe ich meine eigene Spur durch den feinen Pulverschnee.

Das Gehen in der Gebirgswelt ist meist zugleich auch ein inneres Gehen durch eigene Gedanken- und Gefühlswelt mit all den Höhen und Tiefen. Ich denke an den heutigen Gründonnerstag und dabei an das, was damit religiös verbunden ist. Gedankenschritte in die Theologie und ihrer Vererdung in Erfahrungen. Am Gründonnerstag geht es um die Erfahrung des Füßewaschens, das mit Mahlerfahrungen untrennbar verknüpft ist. Dann, wenn einander nicht sprichwörtlich „die Köpfe gewaschen“ werden, dann, wenn bedingungslos einander „gedient“ wird, dann wird auch das gemeinsame Essen und Trinken zur erfüllenden Erfahrung. Gedanklich und gefühlsmäßig bin ich schon beim Karfreitag in der Erfahrungswelt vieler Menschen, die lautet: Du bist nicht gut genug, du musst weg, du passt mir nicht. Das Abendmahl-Erlebnis, das in einer Erfahrung von Gemeinschaft liegt, wo niemand Angst haben muss, nicht zu genügen, wo füreinander gesorgt wird und niemand mehr gezwungen ist, sich allein selber abzusichern, wo es kein Fallen in die Tiefe gibt, sondern ein Aufeinanderschauen, weil man sich mag und jeder und jede Fähigkeiten und Stärken einbringen kann, wo Schwächen nicht zynisch kommentiert werden und niemand mit dem Finger darauf zeigt, wo Konkurrenzverhältnisse gar nicht aufkommen in der Gnade wechselseitiger liebender Annahme.

Der steile Hang hinauf zum Rücken ist heute optimal zum Gehen. Man braucht gerade keine Harscheisen. Für den Gipfelaufbau am Ostgrat ziehe ich aber die Steigeisen an und kann meiner steigeisenlosen Begleitung bei manchen Tritten am exponierten Grat etwas Absicherung geben. Die kurze Eisenkette ist praktisch, um auf einer Felsplatte nicht wegzurutschen. Der Schnee ist allerdings griffig. Wir sind allein am Gipfel mit dem Edelweißkreuz. Bei diesen Sichtbedingungen tut sich wieder die Fülle von Gipfeln und Tälern rundherum auf. Ich konzentriere mich auf ein paar wenige: im Nordwesten der Zwieselbacher Rosskogel, auf dem ich erst gestern war, im Südwesten schaut die Wildspitze neben der Grubenwand hervor, die sich heute mit dem Neuschnee ganz besonders schön präsentiert, der Lüsener Fernerkogel beherrscht mit seinen Nordflanken den Blick in den Süden. Im Osten die Tuxer Alpen. Ich bin dankbar für die vielen Touren, die ich in meiner Sabbatical-Saison schon gehen konnte.

Vom Gipfel bis fast zum Parkplatz können wir traumhafte Schwünge im Pulver – und ganz unten dann im sanften Firn – ziehen. Nur der letzte Hang ist dann grob verspurt. Während wir abfahren, sind nun schon viele andere im Aufstieg unterwegs. Der Tag ist noch lang: für ein Greinen, das mit einem Hoffen und Glauben an Auferstehung verknüpft ist. Glauben und Hoffen allerdings sind immer die Frucht von einer Erfahrung von Liebe, denke ich mir beim Blick in das unendliche Blau des Himmels.

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