Friedenswege suchen und gehen

1 „Jaget nach  dem Frieden“ (Hebr 12,14) in einer kriegerisch-verrückten Welt

Für die Private Pädagogische Hochschule Burgenlands konnte ich am internationalen Tag der Gewaltfreiheit ein eintägiges Seminar über Fragen des gewaltfreien Widerstands und über alternative Aspekte einer nicht-militärischen Sicherheits- und Friedenspolitik halten. Es ist der 2. Oktober 2025. Die mächtigste Nation dieser Welt wurde in einer neuen Stufe auf Kriegskurs eingestellt. Der Kriegsminister hat für das Kriegsministerium im Auftrag seines Präsidenten gemeint, die Armee müsse sich auf Kriege vorbereiten und Kriege gewinnen. Die EU beschloss bei ihrer Ratssitzung einen weiteren Schritt der Aufrüstung. In Dänemark wird die Wehrpflicht auch auf Frauen ausgedehnt werden. In Österreich positionierte sich einmal mehr Claudia Tanner als Ministerin, die zufrieden über weitere Neuanschaffungen von Kriegsgeräten und Sonderbudgets für das Bundesheer berichten kann. Die internationale Gaza-Friedensflotte mit Greta Thunberg wird von israelischen Marine-Soldaten gekapert. Zugleich aber stehen weltweit Abertausende auf und zeigen sich solidarisch mit den Besatzungen der Friedens-Flotte und ihrem gewaltfreien Zeichen gegen den Völkermord, der im Gaza-Streifen seit zwei Jahren schon geschieht. Wie können wir den Mut finden, gegen das vorherrschende militärische Klima aufzutreten?

Jeden Tag neu hören wir die Nachrichten von einer schaurig-schrecklichen Kriegswirklichkeit, von nicht endenden Kriegen zwischen Russland und der Ukraine, vom genozidalen Krieg der israelischen Streitkräfte gegen die palästinensische Bevölkerung oder den Kriegsverbrechen in Ländern wie Somalia; wir hören und sehen vom Töten und Morden, von den schrecklichen Verwundungen und Zerstörungen. Wir hören und lesen von den gewaltigen Aufrüstungsprogrammen und von der größten und mächtigsten Nation mit der mächtigsten Armee dieser Welt, die ganz auf Kriegskurs umgestellt wird.

Wie können wir angesichts der Schreckensbilder unserer Zeit nicht verzweifeln? Die bequeme Couch verlassen, den Zuschauermodus auf Aktivität umschalten, an einem Seminar über Frieden teilnehmen …– das sind schon Schritte einer Friedenskultur. Dem Frieden nachzujagen, ermahnt der Apostel Paulus die Gemeinde im Hebräerbrief. Euer Hiersein zeigt mir, dass Euch Sache des Friedens nicht egal ist, dass Ihr wahrscheinlich betroffen seid von dem kriegerischen Irrsinn in der Welt, vom dem bereits fast vierjährigen Krieg in der Ukraine, von den Kriegsbildern aus dem Gazastreifen. An diesem Tag soll es darum gehen, nach Antworten zu suchen, nach Menschen und Organisationen, die selbst nach Lösungen suchen, nach den Konzepten, die Friedensforschende herausgearbeitet haben. Wir wollen darauf blicken, welche Expertisen und Erfahrungen es gibt, die jenseits einer Kriegslogik liegen.

Die Sache des Friedens ist zu wichtig, als dass wir sie an Politiker:innen oder Expert:innen delegieren könnten, die dafür über viele Ressourcen verfügen und hauptberuflich auf diversen politischen Ebenen arbeiten können. Die Sache des Friedens und der Arbeit gegen die Kriege ist die Aufgabe von uns allen, der so genannten Basis, der Menschen, die ihren täglichen Berufen in unterschiedlichsten Bereichen nachgehen. Frieden ist eine zutiefst demokratische Angelegenheit. Die Suche nach Auswegen aus einer Kriegswelt ist Aufgabe von dir und von mir.

An diesem Ort und an diesem Tag sei daran erinnert, dass es genau 80 Jahre her ist, dass Burgenland nach dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs wieder als Teil Österreichs per Bundesverfassung in den heute gültigen Grenzen festgelegt worden ist und erstmals die provisorische Landesregierung zusammentreten konnte. Die Grenzen Burgenlands wurden nicht gezogen mit nationalistischem Pathos, sondern mit dem Willen zur Zusammenarbeit der ethnisch verschiedenen Gruppen im Rahmen der neu errichteten Republik Österreich.

2  Vivian Silver als Role Model

Sie sehen auf meiner Präsentation ein Bild von Vivian Silver, einer Friedensaktivistin aus Israel. Sie wurde vor fast genau zwei Jahren, am 7. Oktober 2023, beim Terroranschlag der Hamas im Kibbuz Be‘eri ermordet. Die kanadisch-israelische 74-jährige Frau hat sich ein ganzes Leben für ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinensern eingesetzt. Sie startete Hilfsprogramme für Bewohner:innen des Gazastreifens und half ihnen, in Israel medizinisch behandelt zu werden. Kurz nach dem Gaza­krieg 2014 gründete sie die Friedensbewegung Women Wage Peace mit, die inzwischen mehr als 45.000 Mitglieder hat. Im Kibbuz Be’eri, der ihre Heimat war, lebten viele wie in anderen Kibbuzsiedlungen unweit des Gazastreifens, die zur Friedensbewegung gehören. Der Hamas-Terror hinterließ auch hier viele Tote: Beim Angriff im Oktober auf Be’eri verloren neben Silver mehr als 100 Bewohner:innen ihr Leben. „Rache ist keine Strategie“, so sagte ihr 35-jähriger Sohn Yonatan, sei das Motto von Vivian Silver gewesen. Beim Begräbnis von Vivian Silver nahmen Israelis wie Palästinenser teil. Seite an Seite stand ein Mann mit einer Kefija und eine Soldatin in der Uniform der IDF.

3 Texte, Gebete und Kundgebungen gegen die Kriege

Ich habe im Laufe meines Engagements in Aktionsbereichen der Friedensbewegung viele Vorträge gehalten, Seminare geleitet und vor allem Texte geschrieben. Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sind es viele mehr geworden. Einen möchte ich vortragen, geschrieben für ein Friedensgebet.

„Friede! Friede! Friede!
Rufen unsere Tränen
Rufen unsere Ängste
Rufen wir ganz laut

Friede für heute
Friede für Freunde
Friede für Feinde
Friede für alle und jetzt!

Friede frei von Waffen
Friede frei von Bomben
Friede frei von Hass
So kann Friede leben!

Friede frei von Rache
Friede frei von Helden
Friede frei von Zerstörung
So kann Friede wachsen!

Friede durch Versöhnung
Versöhnung durch Vermittlung
Vermittlung durch Gespräche
So kann Friede werden!

Friede! Friede! Friede!
Rufen wir ganz laut!
Rufen unsere Herzen!
Friede! Waffenstillstand!!“

4) Kriegslogik oder Friedenslogik

„Am Beginn aller Kriege sind die ungelösten Konflikte“. So hat es ein bekannter Friedensforscher, Johan Galtung, formuliert. Immer wieder war er auch hier in der Nähe im Friedensforschungsinstitut auf der Burg Schlaining. Die Frage lautet daher, ob und wie die Konflikte gelöst werden können.

Zum einen gibt es eine Kriegslogik, die freilich nur vordergründig logisch ist. An ihrem Beginn stehen nicht Logik und Vernunft, sondern dumpfe Emotionen und Affekte, die in einen kollektiven Wahnsinn führen. Meist stehen am Beginn ein Abbau von demokratischen Errungenschaften und mächtige Männer, die sich als absolutistische Herrscher, als autoritäre Führer und Diktatoren entpuppen. Der Weg in den Krieg geschieht schleichend – auch wenn im Rückspiegel gesehen die einzelnen Schritte schon durchschaubar gewesen wären. Sündenbock- und Feindbildpropaganda, ein Denken in Freund-Feind-Schemata zählen zum Mindset einer Kriegslogik.

Friedensbewegte Menschen haben in gewaltfreien Aktionen immer wieder gezeigt, wie eine andere Zukunft jenseits von Krieg und Zerstörung machbar wäre. Die Friedensforschung hat ebendies in vielen Büchern und wissenschaftlichen Studien bekräftigt.  Eine Friedenslogik, so beispielsweise Friedrich Glasl, würde immer für eine intensive direkte Kommunikation zwischen den Konfliktparteien eintreten, würde auf Vermittlung durch internationale Foren wie UNO, OSZE oder NGOs wie dem Internationalen Roten Kreuz setzen. In einer Friedenslogik würden auch die Bedürfnisse des Gegners ernst genommen, was einen Raum für Verhandlungen schaffen würde. In solchen Verhandlungen gilt es weiters, Vorschläge zu machen, die für beide Seiten Vorteile bringen und man sollte selbst zu Nachteilen bereit sein, um Friedens- und Versöhnungsschritte zu setzen.

Ich selbst konnte in den USA an einem Forschungsprogramm unter der Leitung von Gene Sharp teilnehmen. Er hat das Konzept einer Sozialen Verteidigung bzw. einer Civilian Based Defense entworfen. Die Forschungen zeigen, dass ein „strategisch gewaltfreier Konflikt“ wesentlich erfolgreicher ist als bewaffnete Gegenwehr. Rund 200 Methoden der gewaltfreien Intervention haben ihre Bewährungsproben in Tausenden Konflikten längst bestanden. Sie wären geeignete Instrumente, mit denen Menschen und Politiker:innen kriegerische Konflikte heute beenden könnten und auf denen Sicherheit und Frieden nachhaltig aufgebaut werden könnten.

5) Friedensstrategien mit Blick auf den Krieg im Gaza

Nach zwei Jahren Krieg in Gaza hat sich die monströse Logik des Krieges in all ihrem Schrecken gezeigt. Der Gazastreifen ist komplett zerstört. Mehr als zwei Millionen Menschen sind geflohen, weit mehr als 65.000 sind auf palästinensischer Seite getötet worden, Abertausende sind physisch und psychisch verwundet. Die Geiseln konnten auf dem Weg des Krieges nicht befreit werden. Kriegslogik. Vernichtung. Rache, Hunger. Und weiterhin besteht die Gefahr einer Eskalation bis hin zu einer atomaren Auseinandersetzung. Laut SIPRI besitzt der israelische Staat 70-80 Atomwaffen.

Die aktuell wichtigste Forderung lautet wie in jedem Krieg: Feuerpause! Waffenstillstand! Ein Waffenstillstand – der auch durch Vermittlung Dritter zustanden kommen könnte – würde Raum bieten für neue Friedensverhandlungen, würde aber vor allem die humanitären Maßnahmen ermöglichen, damit Menschen im Gazastreifen nicht hungern müssen, damit sie Zugang zu medizinischen Maßnahmen bekommen und ihr Zuhause wieder aufbauen könnten. Wie die Zukunft aussehen könnte, kann letztlich nur von den Menschen vor Ort entschieden werden – aber auch dafür gibt es Modelle, wofür vor allem das Konzept einer Zweistaatenlösung steht.

6) Kriegs-Anti-Kriegs-Rap gegen den Krieg in der Ukraine

Das grausame Spektrum der Kriegslogik sehen wir seit fast 4 Jahren im Krieg in der Ukraine. Ich habe diese Logik in das Format eines Text-Raps gebracht, den ich hier vortragen möchte:

„Putin ist wie Hitler
hängt ihn auf
Kriegsverbrecher
noch mehr Waffen
kämpfen mit den Panzern
noch mehr Waffen
kämpfen mit den Fightern
noch mehr Waffen
Napalm her damit

Pazifist Du
Friedensschwurbler
Pazifist Du
Putinfreund
Pazifist Du
Du ein Egoist

Helden braucht das Land
sterben für das Land
siegen für das Land
morden für das Land
kämpfe Mann
Mann gegen Mann
sei ein Held
sei ein Held
Heldenmann

Pazifismus ist naiv
unmoralisch Du
Weichei

Artillerie
Infanterie
siegen müssen wir
koste was es wolle
Krieg
Verteidigungskrieg
Stellungskrieg
Abnützungskrieg
Krieg – verdammt nochmal
Sieg ist unsere Fahne
siegen bis zum Tode

zieh die Uniform an
setz den Stahlhelm auf
gehorche dem Befehl
gürte dich mit Waffen
leg den Finger an den Abzug
erschieß den Feind
leg ihn um
Schlachthaus Donbass
Rheinmetall jubelt
schießt schießt schießt
noch mehr Munition

das Klima geht drauf
wir führen Krieg!
Menschen verhungern
auf in den Krieg!
Menschen fliehen
auf in den Krieg!
Fahnen hissen
Waffen schießen

Angriff
Vergeltung!
Offensive
Gegenoffensive!
Kriegsverbrechen
Rache!

atomares Arsenal
ist uns schnauzegal
nukleare Waffen
für die Menschenaffen
Atomkrieg
AUS!
Aus?

Gewalt ist keine Lösung
soll sie auch nicht sein
Hört doch endlich auf
Krieg ist keine Lösung
soll er auch nicht sein
Hört doch endlich auf
Waffen töten
Frieden wollen wir!“

7) Pazifistische Einwürfe gegen den Bellizismus unserer Tage und für eine alternative Friedenspolitik

Im Rap habe ich einen Begriff genannt, den ich lange nicht kannte. „Friedensschwurbler“.  Jetzt weiß ich, was ich für manche bin, wenn ich mich gegen die zunehmenden kriegerischen Dynamiken ausspreche, wenn ich besorgt bin angesichts der weltweiten Aufrüstungsspiralen, wenn ich sage: Nein zu jeglichen Kriegsvorbereitungen, Ja zu Verhandlungen; Nein zu Waffenlieferungen, Ja zu Schritten der Deeskalation; Nein zum Krieg, Ja zum Frieden. Als Pazifist gelte ich als Friedensschwurbler.

Die Pazifismuskritik ist nicht neu. Sie durchzieht die Geschichte – die Kriegsgeschichte, müsste ich sagen. Pazifismuskritik durchzieht auch meine eigene Geschichte. Ich bin es gewohnt, mich als Pazifist rechtfertigen zu müssen. Das war schon vor 40 Jahren so, in den 80er Jahren, als ich mich im Rahmen der Kath. Jugend in der Friedensbewegung engagierte und wir uns gegen die NATO-Nachrüstung organisiert hatten. Als wir mit dem Button „Schwerter zu Pflugscharen“ an großen Demonstrationen teilnahmen, wurden wir als „nützliche Idioten“ beschimpft und gefragt, ob wir vom Kreml finanziert würden. Solche Unterstellungen gibt es auch heute. Nachdem ich zu Beginn eines Krieges in der Servus „Talkshow“ die pazifistische Option einnahmen, wurde mir vorgeworfen, ich sei ein Putin-Versteher. Ich war vor 40 Jahren lange in der Beratung für die Zivildienstkommissionen. Wer Pazifist war und den Kriegsdienst verweigern wollte, musste sich rechtfertigen und sein Gewissen unter Beweis stellen. Früher wurde ich selbst von den leitenden Personen meiner Diözese wegen meines Pazifismus verurteilt. Es hieß: Das sei doch unmoralisch, wenn man sein Land nicht mit der Hand in der Waffe verteidigen wolle. Zum Glück hat sich diese kirchliche Position heute verändert.

Beginnen müsste ich wohl wieder mit einer Definition. Was ist Pazifismus? Es ist eine Haltung und politische Entscheidung, auf kriegerische Bedrohungen und Ausschreitungen ohne Gegengewalt zu antworten und sich gewaltfrei für Frieden einzusetzen. Sie hat eine individuelle Seite. Ich kann für mich Pazifist sein. Sie hat aber auch eine kollektive Seite. Ich kann auch für den staatlichen oder zwischenstaatlichen Bereich eine pazifistische Position einnehmen bzw. für kollektive Entscheidungen pazifistische Optionen einfordern. Beide Formen – sowohl individuell wie kollektiv – sind für mich relevant.

Die Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik ist für mich in der Frage des Pazifismus nicht zielführend. Das bedeutet: Als Pazifist lasse ich mich nicht reduzieren auf eine gesinnungsethische Position, sondern sage: Pazifistische Ideen sind immer zugleich auch verantwortungsethisch und müssen es sein. Es würde uns auch weiterhelfen, wenn wir nicht von „dem Pazifismus“ sprächen, sondern von pazifistischen Ideen, Inhalten und Strategien. Sie sind immer zugleich pragmatisch.

Durch die kriegerischen Entwicklungen von der Ukraine über den Nahen Osten bis nach Taiwan und Nordkorea ist die Welt so nahe an einem Atomkrieg wie noch nie zuvor. Die „Doomsday Clock“, also „Weltuntergangsuhr“, zeigt keine konkrete Zeit an. Sie ist eine Metapher dafür, wie nahe die Menschheit ist, sich selbst auszulöschen. Die Doomsday Clock stammt von der Organisation „Bulletin of the Atomic Scientists“ und wird seit 1947 kontinuierlich neu eingestellt. Auch die Zerstörung des Klimas wird in die Berechnungen mitkalkuliert.

Daher muss die Strategie des Westens gegenüber Kriegen verändert werden. Man braucht eine andere Logik als die militärische Logik. Das Eskalationspotenzial muss herunter.

Der Krieg in der Ukraine befeuert im wahrsten Sinn des Wortes die Kriegsindustrie und lässt die Kriegskassen wie nie zuvor klingen. Auch die EU befindet sich auf politischer wie auf operativer Ebene auf Kriegskurs. Ich möchte an dieser Stelle eine paar Stichworte nennen. In der EU wurde der sogenannte „Strategische Kompass“ beschlossen. Bis zum Jahr 2025 soll ein Aufrüstungspaket von zusätzlich 200 Milliarden Euro umgesetzt werden. Bereits von 2017 bis 2021 sind die EU-Militärausgaben um 30 Prozent gestiegen. Die EU-Staaten werden bis 2025 bis zu fünf Mal mehr für militärische Verteidigung ausgeben als Russland. Strategischer Kompass bedeutet aber auch: Das Einstimmigkeitsprinzip wird aufgegeben und die Koalition der Willigen wird allein über Krieg- oder Friedenspolitik entscheiden. Auf operativer Ebene bedeutet es den Ausbau eines EU-Hauptquartiers, global agierende EU-Battle-Groups und eine gemeinsame Kriegskassa.

Pazifismus bedeutet ein klares Nein zu solchen Entwicklungen. Ein Nein zu einer Entwicklung der EU zu einem militärisch agierenden Bündnis. Nein zur Aufrüstung. Nein zum militärischen Waffengang. Mit einer Atommacht kann nicht Krieg geführt werden, ohne mit der Gefahr eines Atomkrieges zu rechnen. Ein Redakteur der Berliner taz hat einen Essay geschrieben mit dem Titel: „Pazifismus ist nichts für Weicheier.“ Und es stimmt: Die linke Backe hinzuhalten ist nicht Unterwerfung, sondern höchste Aktivität; die zweite Meile mitgehen ist eine wirksame Strategie der Entfeindung. Pazifismus bedeutet, sich systematisch nach Alternativen umzusehen.

Während meines Sabbaticals vor zwei Jahren verbrachte ich eine Zeit in San Sebastian und setzte mich dort mit der Studie eines katalanischen Friedensforschungsinstitutes auseinander, die vom völkerrechtswidrigen Angriff im Februar 2022 bis Juni 2002 ein paar hundert Beispiele des zivilen Widerstands gegen die russische Invasion aufgelistet hat. Ich möchte von dieser Studie ein Beispiel erwähnen, das anschaulich darstellt, wie Gewaltfreiheit erfolgreich funktionieren kann.

Als die russische Armee zwei Tage nach der völkerrechtswidrigen Invasion in Saporischja einmarschiert ist, eine Stadt mit ungefähr 40.000 Einwohnern, hat sie den Bürgermeister festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Darauf ist die Zivilbevölkerung auf den Marktplatz gegangen und hat sich singend der Armee entgegengestellt, ganz friedlich, ohne Aggression. Die russische Armee hat ein paar Mal in die Luft geschossen. Aber das hat niemanden erschreckt. Darauf hat es Verhandlungen der Zivilbevölkerung mit der Armee gegeben mit dem Ergebnis: der Bürgermeister wird freigelassen und andererseits dürfen die Russen schauen, ob in den Häusern Waffen versteckt sind. Es wurden keine Waffen gefunden. Am 28. 3. 2022 ist die russische Armee von Saporischja weggezogen.

Solche Fälle sind wenig bekannt. Dabei war dieser Protest gar nicht systematisch vorbereitet. Pazifistisch denken würde bedeuten, sich gezielt, geplant, gut vorbereitet auf solche gewaltfreien zivilen Widerstandsformen einzulassen. Von „Strategic Nonviolent Conflict“ bzw. von „Civilian Based Defense“ spricht die Friedensforschung. Die Konzepte einer Sozialen Verteidigung, die Theodor Ebert, Gene Sharp oder das Friedensforschungszentrum Schlaining entwickelten, sind nicht obsolet.

Pazifismus ist freilich auch eine Frage des Menschenbildes: Pazifistisch denken heißt davon auszugehen, dass jeder Mensch in sich gut ist. Durch gewaltfreie Methoden wird dieses Gute zum Vorschein gebracht. Dann können wir mit Konstantin Wecker weiterhin singen: „Und wenn die Feinde kommen, werden wir sie umarmen …“

Die Friedens- und Konfliktforschung zeigt: Mit gewaltfreien Methoden gibt es weniger Leid und weniger Zerstörung. Gewaltfreie Strategien führen mehr zum „Erfolg“ als militärische Maßnahmen.

Bertram Russel oder Albert Einstein, die sich immer für den Pazifismus ausgesprochen haben, haben eine Ausnahme gemacht: Nämlich die Bekämpfung von Hitlerdeutschland. In diesem Punkt haben sie für eine militärische Befreiung Option bezogen. Das ist die eine Ausnahme. Aber: Von einer solchen Situation sind wir weit entfernt. Putin ist nicht Hitler. Netanjahu ist nicht Hitler. Weder das russische System noch die die rechtsextreme Regierung unter Netanjahu können mit Hitlerdeutschland verwechselt werden. Ein verbrecherisches System wie das nationalsozialistische System ist nicht gegeben.

Es ist richtig, dass die Welt sich gegenüber einem russischen Imperialismus wehren muss und die Völker beschützen muss, die unmittelbar davon betroffen sind. Es ist notwendig, das Existenzrecht des Staates Israel in keiner Weise zu gefährden Zugleich gilt: Pazifistische Strategien sind dabei wesentlich wirksamer.

Seit der völkerrechtswidrigen Invasion Russlands auf die Ukraine hat es mehrere Bemühungen für eine Verhandlungslösung gegeben. Ich möchte an zwei erinnern, die zuletzt auch immer wieder diskutiert wurden. Der israelische Ex-Präsident Benet hat im März 2022 versucht zu vermitteln. Ein Friedensschluss sei greifbar gewesen, meinte er. Dann aber kam es zu Interventionen aus Großbritannien und den USA, dass man jetzt nicht verhandle. Kurz darauf kam es zu Verhandlungen in Istanbul. Es gab ein starkes Aufeinanderzugehen. Die Ukraine hätte auf einen NATO-Beitritt verzichtet und im Ausgleich dazu Sicherheitsgarantien bekommen. Umgekehrt hätten die Russen gesagt, sie zögen sich hinter die Linien des 24.2. 2022 zurück.

Es ist auch heute noch nicht zu spät für Verhandlungen. Im Gegenteil. Selenskyi wie Putin folgen jedoch der Logik der Krieger. Je länger der Krieg dauert, desto schwerer wird das Verhandeln, aber es ist immer noch möglich. Konflikte und Kriege sind diplomatisch zu lösen. Man muss aufeinander zugehen, um Frieden zu machen.

Ein weiterer Gesichtspunkt lautet: Gewaltfreie Strategien und ihre Methoden können höchst erfolgreich sein, würden sie systematisch angewendet. Ein Beispiel. Während meines Sabbaticals war ich im Baskenland. In Donostia/San Sebastian besuchte ich das baskische Nationalmuseum. In einer Ausstellung zur Geschichte des Baskenlandes hieß es: Hätten weder große Teile der katholischen Kirche noch die westlichen Mächte Franco unterstützt, hätte es im Gegenteil wirtschaftliche und politische Sanktionen gegeben, so wäre seine Diktatur viel früher beendet worden. Auch hier liegt wieder eine bleibende Ansage – bis in die Gegenwart des Ukrainekrieges hinein. Im Geflecht internationaler Wirtschaftsbeziehungen wäre es möglich, Imperatoren die Grenzen zu setzen.

Egal ob in Spanien zur Zeit der Frankodiktatur oder der Ukraine, ob in Afrika, Asien oder Europa: überall auf der Welt gelten die Erkenntnisse aus der Friedensforschung, wie Kriege ohne Militärgewalt beendet werden können. Seit der völkerrechtswidrigen Invasion russischer Streitkräfte hat die ukrainische Zivilgesellschaft spontan und mutig in Hunderten gewaltfreien Aktionen wie ziviler Ungehorsam, Straßenblockaden oder Kommunikationskampagnen ihren Widerstand ausgedrückt. Das Internationale Katalanische Institut für den Frieden (ICIP) hat in Zusammenarbeit mit einem Institut der Universität Jena Daten über den gewaltfreien Widerstand in der Ukraine vom 24. Februar bis zum 30. Juni 2022 gesammelt und ausgewertet. Insgesamt listet der umfangreiche Forschungsbericht 235 dokumentierte gewaltfreie Aktionen auf. Sie werden in drei Kategorien systematisiert: Protestmaßnahmen (148), gewaltfreie Interventionen (51) sowie Formen der Nicht-Zusammenarbeit (36). Es ist wie eine To-Do-Liste des gewaltfreien Widerstands, wie ich sie in einem Forschungsprogramm unter Leitung von Gene Sharp an der Harvard Universität kennenlernen und erforschen konnte. In einer interaktiven Karte des katalanischen Institutes kann die zeitliche sowie geographische Abfolge der gewaltfreien Aktionen im Rahmen dieser drei Kategorien nachverfolgt werden. Während die offenen Protestaktionen im April aufgrund stärkerer Repressionen abnahmen, nahmen die verdeckten Widerstandsformen von Nicht-Zusammenarbeit und zivilem Ungehorsam zu. Gewaltfreie Interventionen waren vor allem zu Beginn sehr verbreitet. Bilder von Bürgerinnen und Bürger, die Straßenblockaden errichteten, Straßenschilder austauschten und Panzer an der Weiterfahrt hinderten, gingen durch die Berichterstattungen. Da die Ukraine reich an Erfahrungen mit gewaltfreier Aktion ist, da es viele Vernetzungen auf unterschiedlichen Ebenen gibt, ist der in der Frühphase der Invasion organisierte gewaltfreie Widerstand verständlich.

Internationale Studien haben zwar gezeigt, dass auch gewaltfreier Widerstand keine Erfolgsgarantie geben kann, doch noch weniger kann es das Setzen auf die militärische Karte. Im Gegenteil. Ein historischer Vergleich zeigt, dass gewaltfreier Widerstand mehr als doppelt so oft erfolgreich war als militärischer.

Wir sehen es seit nun schon seit dreieinhalb Jahren in der Ukraine: Der Versuch, die von Russland besetzten Gebiete militärisch zu „befreien“, feuert den Krieg immer noch mehr an, führt zu völlig zerstörten Städten, Abertausenden Toten und Verletzten und drängt eine friedliche Zukunft für das Land hinaus.

Die Schwächen des gewaltfreien Widerstands in der Ukraine sind ebenfalls offensichtlich. Sehr bald schon wurde mit voller Kraft auf die militärische Widerstandskraft der Ukraine gesetzt. Kampfparolen waren an der Tagesordnung. Generalmobilmachung erfolgte. Massive Waffenlieferungen aus dem Westen begannen. Allein die USA haben viele Milliarden für militärische Rüstungsanstrengungen in der Ukraine ausgegeben. All diese Anstrengungen verdrängten die anfänglich gewaltfreien Protestmaßnahmen.

Geschichte ist nicht dazu da, um gefährliche Irrwege zu wiederholen, sondern um die Lehren daraus zu ziehen: Gewaltfreie Widerstandsformen gegen illegitime Eroberungen sind, wenn systematisch vorbereitet und geschult, jeder Gewalt vorzuziehen.

Als Mitglied von Pax Christi blicke ich zugleich auf meine wichtigste Inspirationsquelle: Die Botschaft und das Leben von Jesus von Nazareth. Würden all die religiösen Führer heute ihre Reden am Evangelium orientieren, gäbe es keinen russischen Patriarchen mit seiner offenen Unterstützung für Putin, gäbe es aber ein kirchliches Nein zu militärischem Abwehrdenken. Besännen sich die Kirchen selbst zu ihrem gewaltfreien Ursprung, dann würde es keinen Krieg mehr geben. Juden, Christen und Muslime würden wieder in Frieden miteinander leben, wie sie es in Cordoba oder Sevilla taten, Modell auch für gewaltfreies Zusammenleben von Ukrainern und Russen, die sich im gemeinsamen Bekenntnis an die gewaltfreie jesuanische Botschaft finden könnten. Die katholische Kirche heute gibt zum Glück auch mit Papst Leo XIV. jenen Kurs vor, der von Papst Franziskus so formuliert wurde: Jeder Krieg ist ein Verbrechen! Ich wage zu behaupten: Wenn heute alle religiösen Menschen die militärischen Denkmuster aufgäben – also auch auf Waffenlieferungen und Aufrüstungen verzichteten – dann hätten wir den Traum vom „ewigen Frieden“ erreicht.

Jesus ist eben kein Revolutionär, der mit der Waffe in der Hand für eine gerechte Sache gekämpft hätte. Im Gegenteil: Seine Botschaft der linken/rechten Backe, der zweiten Meile und der Feindesliebe gilt. Sie ist unbestreitbar. Der Gewaltverzicht Jesu ist integraler Bestandteil des Christentums. Jesus fordert uns in den Seligpreisungen dazu auf, Pazifistinnen und Pazifisten zu sein – selig, die pacem facere, selig die Friedensstifterinnen und Friedensstifter. Selig die Pazifistinnen und Pazifisten!

8) Im Geist der Aufklärung und der Vernunft: oder Johan Wolfgang von Goethe statt Donald Trump

Vor zwei Jahren wurde an den 300. Geburtstag von Immanuel Kant erinnert und damit an die Aufklärung. Als Tiroler bin ich mit der Geschichte rund um Andreas Hofer aufgewachsen. Das ist eine Geschichte gegen die Aufklärung. In viel größerem und gefährlichen Maßstab vereinen sich die Rechtspopulisten aller Länder unter dem Banner der Anti-Wokeness – also gegen das Aufgeklärte.

Als größter Dichter der Aufklärung gilt Johan Wolfgang von Goethe. Um die pazifistischen Fäden aus der europäischen Kulturgeschichte aufzugreifen, könnten wir auf sein Werk „Iphigenie auf Tauris“ blicken. Die Protagonistin schafft es, auf gewaltfreiem Weg durch seelische Aufrichtigkeit Konflikte zwischen Göttern und Menschen und zwischen Menschen untereinander zu lösen. Ihre Sprache ist die der dringenden Beschwichtigung und nicht des gewaltbereiten Aufschaukelns. Der Gedanke an Tod durch Krieg und Gewalttätigkeit bringt sie zum Schaudern. Die Aufforderung zum Duell im Höhepunkt des Spannungsaufbaus im 5. Akt versucht sie folgendermaßen abzuwenden:
„Lasst die Hand / Vom Schwerte! Denkt an mich und mein Geschick. / Der rasche Kampf verewigt einen Mann: / Er falle gleich, so preiset ihn das Lied. / Allein die Tränen, die unendlichen / Der überbliebnen, der verlassenen Frau, / Zählt keine Nachwelt, und der Dichter schweigt / Von tausend durchgeweinten Tag- und Nächten.“

Iphigenie hat die Gewalttätigkeit selber erfahren: sie hat ihre gesamte Familie verloren, wurde fast Opfer eines religiösen Mordes und war auch im Exil Zeugin von Ritualmord. Die andere, die nicht gewalttätige Politik, wird bei Goethe mit dem Weiblichen assoziiert: „Wohl uns, dass es ein Weib ist! Denn ein Mann, der beste selbst, gewöhnt seinen Geist An Grausamkeit und macht sich auch zuletzt Aus dem was er verabscheut, ein Gesetz […] Allein ein Weib bleibt stets auf einem Sinn, Den sie gefasst. Die rechnest sicherer Auf sie im Guten wie im Bösen“

Es waren vor allem Frauen, die als Opfer der Kriege gegen Krieg und Militarismus anschrieben und so selbst zu Subjekten des Widerstands wurden. Eine davon ist Hedwig Dohm, die am Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin als Feministin und Schriftstellerin wirkte. Ich zitiere sie:
„Schrieb ich’s nicht schon, dass ich politisch ganz und gar ungebildet bin? Aber sie behaupten doch immer, Frauen brauchten nichts zu wissen, nichts zu lernen, sie wüssten alles aus sich selbst, intuitiv, mit dem Gefühl. Da siehst du, was aus dem Nurgefühl herauskommt: Fieber der Kriegspsychose, das in dem Krieg nur ein Gemetzel sieht, nicht den Geist, der über den Blutströmen schwebt. – Schwebt er? Ist das deine Meinung? Ach nein – nein – siehst du sie nicht – die vielen, vielen selig grinsenden Kadaver? Weh, ach weh! Aus Massengräbern steigen sie. Schatten nur, und doch rinnen aus furchtbaren Wunden ihnen Bäche von Blut. Gierig, gierig trinkt sie die Erde, und Dämpfe wallen auf wie blutendes Feuer, ihre Funken zersprühen mir das Herz. Weinen muss ich, alle Tage, alle Tage, und alle Nächte muss ich weinen — immerfort.“

Den Worten von Hedwig Dohm und ihrem Weinen über den Krieg möchte ich nichts mehr hinzufügen.

Klaus Heidegger

Kommentare

  1. Lieber Klaus !

    Mit großer Freude habe ich diesen Deinen Bericht über das Seminar an der „Privaten Pädagogischen Hochschule Burgenlands“ gelesen. Wie sehr wünschte ich mir, das solche Seminare an vielen Schulen, Gymnasien, berufsbildenden Schulen, Berufsschulen für Lehrlinge gehalten würden. Offiziere des Österreichischen Bundesheeres dürfen in Schulen, um dem festgestellten“Mangel an Wehrwillen“ der österr. Bevölkerung abzuhelfen. Aber es ist immer nur von militärischer Verteidigungsbereitschaft die Rede mit immer monströseren Waffensystemen, die wir dringends auch haben müssen. Nie von Ermächtigung zu zivilem, gewaltfreien Widerstand, zu Kennenlernen geeigneter Methoden und der Gesinnung dazu.
    Der Bericht atmet Dein großartiges lebenslanges Engagement, gefehlt hat mir, etwas an Beiträgen der Teilnehmenden am Seminar.
    Es ist mir bisher nicht gelungen, das Privatgymasium und die Stiftsgemeinschaft Melk für Vorträge oder ein Seminar für die Oberstufe für gewaltfreie Verteidigung zu gewinnen.

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