„… you put a gun in my hand“ – Bob Dylan und die politische Wirklichkeit heute

 

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Die Welt preist Bob Dylan in den literarischen Himmel hinein. Das ist gut so. Kein anderer Singer-Songwriter hätte in den letzten fünf Jahrzehnten mit seinen Liedern mehr Einfluss gehabt, wird heute geschrieben und gesagt. Und dann blicke ich in Tageszeitungen und höre die Nachrichten am Wochenende nach der Nominierung von Bob Dylan zum Literaturnobelpreisträger und sehe die postmoderne Wirklichkeit des „anything goes“.

„The country I come from
Is called (Holy Land)
I’s taught and brought up there
The laws to abide
And the land that I live in
Has God on its side.”
Ich blicke nicht auf den Mittleren Westen der USA Anfang der 60er Jahre. Die Titelseite der heutigen „Tiroler Tageszeitung“ (Sonntag, 16.10.2016) wird gefüllt mit einem suggestiven Bild aus dem PR-Fundus des heimischen Militärs. Junge Männer mit schwarzer Tarnfarbe im Gesicht marschieren entschlossen durch einen Wald und führen mit der linken Hand starke Haflinger am Zügel. Die rechte Hand hält das Sturmgewehr 77 und der Zeigefinger ist gestreckt am Abzug, so als könnte diese Wald-Pferd-Idylle in jeder Sekunde durch ein Kriegsgeschehen jäh durchbrochen werden. Die Schlagzeile unter der archetypischen Komposition, das genauso das Monatsbild eines Bundesheerkalenders oder eines jener überdimensionierten Bundesheerplakate sein könnte, lautet: „Tirol macht EU bergfit. … Die 6. Jägerbrigade in Absam übernimmt mit der Heeresreform die alleinige Aufgabe in Österreich, EU-Heere für den Kampf im Hochgebirge zu rüsten.“ Da die meistgelesene Tageszeitung in Tirol ein „Partnerschaftsabkommen“ mit dem Heer hat, kann jeder und jede lesen, wie sich das heimische Militär die Zukunft vorstellt. Künftig wird die 6. Jägerbrigade in „Gebirgskampf“ umbenannt. Nomen est omen, sagten bereits die Römer und meinten: ein Name könne die Absicht verraten. In 10 Tagen werden wieder schöne Reden zum Nationalfeiertag gehalten – auch in der Andreas-Hofer-Kaserne – dem Sitz von „Gebirgskampf“. Die Kernelemente der Neutralität werden mit verbalen Winkelzügen hintergangen. Neutralität würde bedeuten, sich nicht an künftigen Kriegen zu beteiligen. Heute heißt es aus Absam, meinem Heimatort: „EU-Heere für den Kampf im Hochgebirge zu rüsten.“ Neutralität würde bedeuten, keine fremden Truppen auf heimischem Boden zu haben. Heute heißt es: Soldaten aus EU-Ländern werden in Absam und auf dem nahen Truppenübungsplatz Lizum-Walchen kriegstauglich ausgebildet. Dort erklingt in den nächsten 10 Tagen nicht „Mama, put my guns in the ground – I can’t shoot them anymore“, sondern 1200 Gebirgssoldaten werden das Gefecht im Gebirge üben. „Wie oft müssen die Kanonenkugeln fliegen, bevor sie für immer verbannt sind?“ fragt uns gestern und heute und morgen Bob Dylan in „Blowin‘ in the Wind“. Finanzminister Schelling hat vorsorglich in seinem jüngsten Budgetvorschlag mehr Geld für das Militär zugesprochen. Damit ist Österreich im Gleichklang mit der Welt: Deutschland plant in den nächsten Jahren eine Erhöhung des Militäretats um 20 Milliarden Euro – fast eine  Verdoppelung. Die USA geben 3,4 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für militärische Sicherheit aus. Das ist nicht das, was Dylan mit „the times, they are changin‘“ erhoffte. Und wenn ich nur ein wenig die Bilder aus Aleppo heute und aus Mosul morgen an mich heranlasse, dann sind die apokalyptischen Worte von Bob Dylan „A Hard Rain’s a Gonna Fall“ ganz nahe. Mir bleibt die Hoffnung: „If God were on our side, there would be war no more.”

Klaus Heidegger, 16. 10. 2016