Erfahrungen mit dem Kamel durch das Nadelöhr (Mk 10,17-30)

Dass Einfachheit glücklich machen bzw. eine Reich-Gottes-Erfahrung in Miniaturform sein kann, konnte ich in meinem Leben immer wieder spüren. Ich kann die Natur besser erleben mit dem Fahrrad, als unterwegs zu sein mit einem teuren Auto. Ein Stück Brot oder ein Apfel bei einer Jause am Berg kann so viel besser schmecken, als in einem feinen Restaurant zu dinieren. Die Übernachtung im Matratzenlager auf einer Hütte würde ich wohl jedem feinen Hotelzimmer vorziehen. Und vor allem: Einfache Menschen in einfachen Lebensverhältnissen, ohne Ambitionen zu Protz und Reichtum, ohne künstliche Aufplusterungen und Angebereien können mich begeistern.

Die Stelle im Markusevangelium vom reichen jungen Mann, der den Neubeginn wagen möchte, aber in seinem alten System des Verhaftetseins an Reichtum verhaftet bleibt, will wieder nicht vertrösten auf eine Zeit nach dem Tod. Reich Gottes kann hier und heute erfahren werden. Viele geraten beim Nachdenken über diese Stelle, sobald also von Reich Gottes, Himmel oder ewigem Leben die Rede ist, in die eschatologische Engführung. So formulierte es Christoph Schönborn in seiner sonntäglichen Bibelauslegung (14.10.2018): Den reichen Jüngling bewege die Frage: „Wie komme ich in den Himmel? Er will nicht wissen, wie er im Leben Erfolg haben kann, sondern was er tun soll, damit sein Leben über den Tod hinaus ein Erfolg bleibt.“ Wer die Bibel so liest, für den wird das Evangelium zur Drohbotschaft. Vor allem: zur Drohung, dass nicht der Himmel, sondern die Verdammnis auf die Sünder wartet. Wer jedoch Reich Gottes bzw. Himmel nicht erst als Post-Vita-Angelegenheit begreift, kann in dieser Stelle einen Aufruf zur Umkehr im Hier und Heute sehen.

Mit Blick auf die globale Situation aber auch die unmittelbare Umgebung wird sichtbar, dass Reichtum nicht Glück bedeutet. Die Jagd nach Reichtum hat vielfach zerstörerische Qualitäten und führt so vom Reich Gottes weg.

Für mich selbst bedeutet das Evangelium: Mich täglich neu an der Einfachheit orientieren. Mich zu bescheiden mit dem, was möglich ist, weil in dem Kleinen schon die ganze Welt stecken kann. Ich muss keine Weltreise machen – doch die Weltreise kann schon eine kurze Fahrt mit dem Zug sein, die im Reich Gottes stattfindet.

Klaus Heidegger, 14.10.2018