Body and Soul: Zum Fest der  „leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel“ in Corona-Zeiten

 

Lebenserfahrungen feiern

Der hohe Frauentag duftet nach der Fülle des Sommers und strahlt in den Farben der Natur. Die Kräuter haben ihre höchste Heilkraft entfaltet. Alles steht „im Saft“. Das Fest von der „leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel“, das wir im liturgischen Kalender am 15. August feiern, kann eine Hilfestellung sein,  unsere existenziell-theologische Befindlichkeit zu begreifen und zu deuten. Zwei Aspekte sind es, bei denen wir bei den eigenen Lebenserfahrungen anknüpfen und unseren Glauben schärfen können. Erstens: Was bedeutet die bewusste sprachliche Festlegung im Dogma auf das Adjektiv „leiblich“? Zweitens: Was bedeutet „aufgenommen in den Himmel“?

Kritische Reflexion des traditionell vermittelten Marienbildes

Zunächst ist es notwendig, sich von heute oft missverständlichen bildhaften Vorstellungen zu lösen, wenn diese fundamentalistisch-buchstäblich verstanden würden, damit nicht der Kerninhalt des Festes in sein Gegenteil verkehrt wird. Wenn dieses Fest mit „unbefleckter Empfängnis“ und „Jungfrauenschaft“ in Verbindung gebracht wird, so entstehen in den Köpfen der meisten Menschen heute Vorstellungen, als ginge es um eine biologische Jungfräulichkeit, was mit sexueller Enthaltsamkeit assoziiert wird. Allein der Begriff „unbefleckt“ in Bezug zur Empfängnis Mariens durch ihre Mutter weckt bei vielen Menschen das Vorurteil, dass die intimsten und tiefsten körperlichen Erfahrungen mit „Beflecktheit“ zu tun haben könnten. So manche Predigt an den Marien-Festtagen geht in die Richtung, Maria als reine Jungfrau und entrückt in himmlische Wirklichkeit zu sehen. Maria, die Mutter Jesu und damit auch Mutter Gottes, so die legendarische Ausschmückung des Festes „der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel“, sei nicht einfach gestorben, sondern mit himmlischen Kräften „entschlafen“ und damit in den Himmel aufgenommen worden. Daher kennt der liturgische Kalender auch keinen Todestag von Maria. Der Himmel wiederum wird, so der zweite Grundfehler in den Vorstellungen, woanders verortet, jedenfalls in der Imagination der Gläubigen eben nicht auf dieser Welt, im gegenwärtigen Geschehen, sondern fern dieser Wirklichkeiten von Zeit und Raum. Dadurch geschieht es, dass Maria in gewisser Weise „entrückt“ bzw. „entleiblicht“ wird.

Papst Franziskus hat dagegen in seinem Buch über Maria auch die leibliche Marienseite aufgezeigt. Es heißt dort: „Das Wohnzimmer Mariens ist die Straße: Wir müssen die Menschlichkeit Mariens wiederfinden, ihre starke Weiblichkeit.“ In diesem Sinne stimmt das Diktum einer Theologin: „Wir müssen Maria von den Altären holen.“ Mit Bezug auf das Mariendogma von der leiblichen Aufnahme Mariens können wir sagen: Wir dürfen und müssen auch Maria in ihrer Leiblichkeit wahrnehmen, weil damit auch unsere eigene Leiblichkeit ins Zentrum des Heilsgeschehens gebracht werden kann.

Leiblich ist auch körperlich

Der Begriff Leib weist uns auf die Einheit von Körper – Seele – Geist hin, weil Leib immer mehr besagt als eine körperlich-materielle Seite. Alle drei Dimensionen des Personseins werden in ihrer Bezogenheit aufeinander angesprochen. Im Dogma von der leiblichen Aufnahme hat die katholische Kirche damit dem Leiblichen – und eben damit auch dem Körperlichen – eine hohe Wertigkeit zugesprochen. Das ist ein so notwendiger Kontrapunkt zu den Jahrhunderten von körper-, leib- und lustfeindlichen Positionen, die sich durch bestimmte griechisch-römische Philosophien in der Lehre und Praxis der Kirchen breit gemacht hatten. Der ganze Leib – damit auch der Körper und wesentlich damit auch die Sexualität – wird in ein himmlisches Heilsgeschehen mit hinein genommen.

Seit der Corona-Pandemie hat die Aufmerksamkeit für den Leib noch eine besondere Bedeutung bekommen. Die vielen ganz normalen leiblich-körperlichen Begegnungsmöglichkeiten sind radikal eingeschränkt oder gar tabuisiert worden. Es hat die Herrschaft des „Babyelefanten“ begonnen, der uns auf die Notwendigkeit eines Mindestabstandes zu Menschen festlegt, mit denen wir nicht in einem gemeinsamen Haushalt wohnen. Auch wenn wir uns schon etwas daran gewöhnt haben, uns auf asiatische Art zu begrüßen, spüren wir, wie sehr uns der körperliche Kontakt zu anderen Menschen fehlt. Wir merken, schreibt auch Christoph Schönborn in seinem Kommentar zum Hohen Frauentag am 15.8.2020, wie sehr wir als „leibliche Lebewesen“ leibliche Berührungen brauchen, wie lebenswichtig diese sind. „Wir alle brauchen Körperkontakt, Streicheln, Händegeben, Händehalten, Umarmen.“[1]

Mit Bezug auf Maria von Nazareth, die am Hohen Frauentag, der in Tirol seit 1959 auch Landesfeiertag ist, im Mittelpunkt steht, heißt dies. Ich darf sie mir vorstellen als eine jüdische Frau, die geliebt hat aber auch das Leid erfahren musste, wenn der Körper erniedrigt wird.

In den Himmel

In der gelingenden Erfahrung von Körper-Seele-Geist-Harmonie können wir eine Tiefe und Zufriedenheit erleben und erfahren, die wir theologisch als „Himmel“ bezeichnen und damit als Begegnungsraum mit dem Göttlichen. Dort, wo im Leben solche ganhzeitlichen Erfahrungen verwehrt werden, gibt es andererseits die Erfahrung von Himmelsferne und es bleiben Hoffnung und Sehnsüchte nach einer „leiblichen Aufnahme“ in himmlische Wirklichkeiten. Diese sollen aber nie als Vertröstung für eine jenseitige Wirklichkeit fehlinterpretiert werden.

Der Aspekt des Vertröstens oder des Verschiebens der himmlischen Wirklichkeit auf eine Zeit nach dem „irdischen Tod“  klingt allzu gerne in all den Auslegungen durch, in denen von „Himmel“ die Rede ist.

Die Heiligung des Leibes

Die Kräuterbuschen, die am Fest „Mariä Himmelfahrt“ in den Kirchen gesegnet werden, erinnern uns duftend daran, dass es darum geht, dass unser ganzes Sein heil wird, und dass die ganze Körperlichkeit und irdische Wirklichkeit in einen Erlösungsprozess im Jetzt des Himmels zur Erfüllung kommen kann. Das wiederum ist ein politischer Auftrag: Überall dort, wo die Leiblichkeit von Menschen gefährdet ist, müssen wir als Christinnen und Christen aktiv werden. Daher resultiert aus einem Nachvollzug des Festes Mariä Himmelfahrt der Auftrag,  sich um jene Menschen zu kümmern, die arm, hungrig, durstig oder krank an Leib oder Seele sind. Daraus folgt auch der radikale Einsatz für eine andere Welt, in der durch Erderhitzung oder die Ausbeutung von Ressourcen oder durch Kriege und Kriegsvorbereitungen nicht das Überleben von Millionen Menschen bedroht wird.

Klaus Heidegger, Mariä Himmelfahrt 2020

[1][1] Schönborn Christoph (2020): Unser Leib in Corona-Zeiten, in: KRONE BUNT, 15.8.2020, 8.