In den Stunden des Krieges für den Frieden

Für Frieden, gegen Krieg

Die militärische Intervention russischer Truppen in ukrainisches Staatsgebiet und das Kriegshandeln von Präsident Putin verletzen grundlegendes Völkerrecht. Diese Aggression muss mit allen nicht-militärischen Mitteln gestoppt werden. Dabei sind folgende Forderungen zentral.

Sofortige Waffenruhe! Dies gilt in erster Linie für die Einheiten der russischen Streitkräfte. Es ist zu hoffen, dass sich die ukrainische Armee und ihre Verbündeten nicht zu einem Waffengang verleiten lassen. Eine militärische Konfrontation zwischen den ukrainischen und den russischen Streitkräften hätte verheerende Konsequenzen mit Tausenden Toten und einer Zerstörung der zivilen Infrastruktur des Landes.

Zurück zu den Verhandlungstischen! Wie die Integrität und Sicherheit der Ukraine wiederhergestellt werden kann, soll nicht mit militärischen Mitteln und kriegerischen Aktionen entschieden werden. Bei Verhandlungen stirbt kein Mensch, im Krieg wären es Abertausende. Militärischer Abwehrkampf würde eine Blutspur nach sich ziehen.

Schritte der Deeskalation! Am Schlachtfeld steht nicht Putin. Auf den Schlachtfeldern stehen Männer und Frauen, die als Soldaten und Soldatinnen in den Krieg geschickt werden. Ihre Herzen gilt es, für den Frieden zu gewinnen. Für jeden Krieg gilt: „Stellt euch vor es ist Krieg und keiner geht hin!“ Dazu zählt freilich auch, dass die ukrainische Seite nicht mit militärischen Kapazitäten ausgestattet wird, sondern zivile Hilfsgüter die Solidarität mit den Menschen in der Ukraine signalisieren. Es ist weiterhin zu hoffen, dass sich die NATO nicht in einen Krieg verstricken lässt, der sich bis hin zu einem Weltkrieg entwickeln könnte.

Warum Krieg?

Warum bekriegen sich Menschen? Warum töten sich Menschen? Warum bricht ein Staatenlenker einen Krieg vom Zaun? So fragen mich meine Schülerinnen und Schüler, ganz einfach, ganz tief – und auch mit Angst vor ihrer eigenen Zukunft.

Ressourcenfluch

Bereits vor vielen Jahren wurde dieser Begriff als Schlüsselwort in der Friedensforschung eingeführt. Er bedeutet: Ein Land mit großen Ressourcenvorkommen wird leicht in kriegerische Handlungen verwickelt, weil der Hunger nach Ressourcen bzw. der Zugriff danach von den großen Mächten gesichert werden will. Das passt auch für die Ukraine. In diesem Land befinden sich die größten Uranerzreserven Europas, die wesentlich sind für die Atomkraftwerke. Aber auch bei anderen Erzen – wie Titan, Mangan, Quecksilber oder Schiefergas – zählt die Ukraine zu den wichtigsten Ländern. In der Frage der Kohlereserven liegt die Ukraine weltweit auf Platz 7. Zugleich ist die Ukraine ein landwirtschaftlich höchst bedeutsames Land. Es liegt am 1. Platz der Welt beim Export von Sonnenblumen und Sonnenblumenöl und weltweit gesehen am 2. Platz bei der Gerstenproduktion. Von weiteren Getreidesorten über Hühnereier bis hin zu Käse – überall liegt die Ukraine im Spitzenfeld, nicht nur europäisch, sondern auch weltweit. Es wurde berechnet, dass die Ukraine den Nahrungsmittelbedarf von 600 Millionen Menschen decken kann.

Die Ukraine ist nicht zuletzt aufgrund seines natürlichen Reichtums und mit 45 Millionen Einwohner:innen eines der größten Industrieländer. Es zählt zu den wichtigsten Exportländern von Stahl und Eisen. Die Rüstungsindustrie sowie die Atomindustrie stellen einen wichtigen Faktor in der ukrainischen Ökonomie dar.

Der Hunger nach Öl und Gas

Fakt ist, dass Österreich 80 Prozent von seinem Bedarf an Erdgas aus Russland bezieht. So trägt die heimische Wirtschaft bzw. jeder einzelne Konsument und Konsumentin von Gas dazu bei, dass Geld in die russischen Staatskassen fließt, aus denen Krieg und Aufrüstung finanziert werden. Ohne die Einkommen aus Erdöl und Gas würde Russland seine Kriegspolitik nicht finanzieren können.

Der Ausstieg aus Erdöl und Gas ist daher nicht nur klimapolitisch zentral, sondern auch aus der Perspektive von Krieg und Frieden. Es gilt die einfache Rechnung für jeden und jede von uns: Je mehr ich an Öl und Gas verbrauche, desto mehr trage ich zur Zerstörung der Welt bei. Je größer mein eigener Energiehunger, desto mehr treibe ich Kriegs- und Rüstungsspiralen an. Die Entscheidung, ob bzw. wie oft ich ein Auto benütze, ist auch eine friedenspolitische Entscheidung. Die Entscheidung, ob ich eine PET-Flasche kaufe oder mein Getränk in einer umweltfreundlichen Trinkflasche ist, hat nicht nur mit der Zerstörung des Planeten zu tun, sondern auch mit Soldaten, die aufeinander losgelassen werden. Natürlich ist die Macht eines „kleinen“ Konsumenten anders als jene von Putin oder Biden. Es gilt aber das bleibende Diktum: Wenn jeder und jede mit dem eigenen Handeln möglichst achtsam – das heißt vor allem ressourcensparend – durch den Alltag geht, dann trägt dies wesentlich zum Frieden in der Welt bei.

NATO-Osterweiterung

Mit der Kritik an der systematischen Expansion der NATO in Europa – darüber habe ich 1998 gemeinsam mit Peter Steyrer ein Buch geschrieben – will ich gerade in diesen Kriegsstunden nicht als „Putinversteher“ kritisiert werden. Die Problematik ist aber offensichtlich, die vom russischen Staatschef für seine Kriegspolitik als Anlass bzw. Vorwand gilt.

Inzwischen sind fast alle Staaten an der Grenze zu Russland, die früher Teil der Sowjetunion waren, Mitglieder im nordatlantischen Verteidigungspakt geworden. Seit der Auflösung der Sowjetunion ist die NATO von 12 auf 30 Mitglieder angewachsen. NATO-Truppen und Rüstungspotenziale sind in unmittelbarer Nähe der russischen Grenze. Der von einem Teil der Ukraine gewünschte NATO-Beitritt wird als Kriegsgrund vorgeschoben. Zum Glück ist heute die Ukraine noch nicht bei der NATO – zum Glück, weil sonst würde die Beistandsklausel der NATO gelten und dann wären Europa und die USA wieder in einem großen Krieg. Wenn der NATO-Beitritt zum Krieg führt, warum ist er dann nicht vom Tisch? Es müsste noch stärker kommuniziert werden, dass die Antrittsgesuche der Ukraine und von Georgien nicht ein Schritt in eine friedenspolitische Zukunft Europas sind.

Daher gilt, was Friedensforscher wie Heinz Gärtner schon lange als sichere Route vorgelegt haben: Ein friedlicher Weg für die Ukraine liegt nicht in einem Beitritt zu einem Militärpakt, sondern in der Neutralität. Sie würde nicht eine Teilung der Ukraine in russische Gebiete im Osten und einer westlich orientierten Ukraine im Westen befördern. Österreich hat mit seiner Neutralität in der Nachkriegsarchitektur eine Teilung verhindern können. Das ist ein Modell.

Versöhnung angesichts vergangener Verbrechen

Gerade mit Blick auf die Ukraine können die alten Wunden in der Seele eines Volkes immer wieder neu aufbrechen und damit auch Ängste instrumentalisiert werden. Die Sowjetunion hat im Holodomor in der Ukraine 1930 4 bis 7 Millionen Menschen absichtlich verhungern lassen. In der Zeit des Zweiten Weltkrieges wüteten die Nazis und allein in der Ukraine starben 8 Millionen Menschen. All diese Fakten haben auf beiden Seiten ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein geschaffen. Vladimir Putin benützt es und verschleiert damit zugleich die oben genannten wirtschaftlichen Hintergründe.

Die bleibend christliche Antwort: Feindesliebe

Gerade im Angesicht des Krieges gilt es, die christliche Grundbotschaft der Feindesliebe in Erinnerung zu rufen, auch wenn sie angesichts der dystopischen Kriegsbilder wie eine ferne Utopie klingen mag. 60 Prozent der 45 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Aber auch Mitglieder der russischen Streitkräfte sind orthodoxe Christen. Eigentliche wäre die christliche Lehre sehr klar: Es gilt die Feinde zu lieben – damit sie zu Freunden werden; es gilt Gutes zu tun denen, die verfolgen, um die Spiralen von Hass und Feindschaft zu durchbrechen. Mit Papst Franziskus heißt es heute zu sagen: „Gott ist ein Gott des Friedens und nicht des Krieges.“ Krieg, so der Papst, wäre ein „Wahnsinn“. „Krieg ist eine schwere Sünde vor Gott!“, meinte der Metropolit der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. Der Appell von Papst Franziskus möge am Ende stehen: „Ich bitte alle beteiligten Parteien von jeder Aktion Abstand zu nehmen, die den Bevölkerungen nur noch mehr Schmerz bereiten wird.“ (Papst Franziskus, 23.2.2022)

Klaus Heidegger, 24.2.2022