Joseph Ratzinger, Papst Benedikt und mein Sein in der Kirche

Symbolbild-Befreiungskirche

Wenn ich meinen eigenen Lebensweg in der Kirche und mein theologisches Suchen aus der Perspektive des nun verstorbenen Kardinals Joseph Ratzinger bzw. Papstes Benedikt XVI. bzw. Papstes emeritus in den Blick nehme, der nun in einer Santo Subito-Stimmung als großer Papst und vor allem als „brillanter Theologe“ seine Ruhe findet – sie sei ihm gegönnt, und ja, nichts Schlechtes soll über Tote gesagt werden – dann könnte man meinen, ich sei die letzten Jahre immer auf der falschen Seite gestanden. Da war die Zeit meines Studiums, in dem mich viel mehr die lateinamerikanische Befreiungstheologie begeisterte und wo meine theologischen Lehrer an der Universität mir mehr einen Referenzrahmen von Yves Congar oder Karl Rahner vorgaben als Schriften des Regensburger Theologieprofessors. Im Priesterseminar lasen wir gemeinsam lieber „Kirche, Charisma und Macht“ von Leonardo Boff, als uns mit Ratzingers „Einführung ins Christentum“ abzumühen. Als später die Glaubenskongregation – deren Chef Ratzinger war – lateinamerikanische Befreiungstheologen als unkirchlich verurteilte, war meine Enttäuschung über den Vatikan groß, und im Rahmen der Katholischen Jugend konnte ich Seminare zur materialistischen Bibellektüre durchführen und Bibelkurse im Stile der Befreiungstheologie organisieren. Selbst das Katholische Bildungswerk lud mich ein, in entlegenen Orten Tirols über Befreiungstheolgie zu referieren. Welche Frage es auch immer war, mit zentralen Negationen von Ratzinger-Benedikt kam ich einfach nicht klar, weil sie sich letztlich theologisch auch nicht schlüssig rechtfertigen ließen. Da war der Ausschluss von Frauen aus den kirchlichen Ämtern, da waren diskriminierende Äußerungen zur Homosexualität, da war das Festhalten am Pflichtzölibat, da waren unversöhnliche Äußerungen im Ökumene-Kontext – nur vier der zentralen Festlegungen seien hier genannt. Gustavo Gutierrez und Jon Sobrino, Dorothee Sölle und Hans Küng, Eugen Drewermann und Elisabeth Schüssler-Fiorenza – es gab für mich die großen Theologinnen und Theologen, und vor allem auch meine theologischen Lehrer an der Uni wie Jozef Niewiadomski, Raymund Schwager, mein Doktorvater Herwig Büchele, George Vass, Nikolaus Kehl und dann später vor allem die Kommunikative Theologie mit Matthias Scharer u.a., auf die ich vertraute. Einer war nicht darunter. Als Religionslehrer versuchte ich gegenüber meinen Schülerinnen und Schülern immer eine Kirche zu vermitteln, die getragen ist von einer Nähe zu den Menschen – so ganz ohne klerikalen Pomp, von einem Engagement für die Armen – so ganz ohne barocken Prunk, von einem Eintreten für Gleichberechtigung und für die gleiche Würde aller Menschen – so ganz ohne patriarchale Diskriminierungen. Vielleicht konnte ich es auch nicht verstehen, warum plötzlich purpurne Schuhe – die Farbe der Cäsaren – und mit Hermelin bestückte Kleidungsstücke zu päpstlichen Inszenierungen zählten. Später habe ich dann die Jesus-Bücher von Benedikt gelesen – und fand mich in beschaulichen Büchern wieder, die geschrieben sind, als gäbe es keine historisch-kritische Forschung. Und dann die letzten Tage: Ist das mein Bild von Kirche? ein Mann in Leichenstarre und mit goldbestückter Mitra ohne Sarg aufgebahrt, damit Tausende an ihm vorbeigehen können? Hunderte Bischöfe und Kardinäle und Tausende Priester – alle männlich natürlich – die beim Begräbnis für Benedikt eine Manifestation eines Kirchenbildes sind, das nicht das meine ist. Und ich weiß: Zum Glück schauen sich „meine“ Schülerinnen und Schüler solche Bilder nicht an – sie würden sie in ihrer Kirchenferne nur bestätigen. Ich freue mich aber auf die Sternsinger, die an der Wohnungstür anklopften und den Segen brachten; ich freue mich über den Vinzibus, der abends wieder den Obdachlosen eine Suppe spendieren wird; mich bestärken die vielen Initiativen in den Pfarrgemeinden und den Gliederungen der Katholischen Aktion und anderer kirchlicher Initiativen. Da lebt Kirche – so ganz ohne mittelalterlichen Papstkult im fernen Vatikan. Da bin ich gerne katholisch ganz in der Tradition der frühen Kirche bis zu den lebendigen kirchlichen Gemeinschaften heute. Papst Benedikt, ruhe in Frieden, bete ich heute ganz ohne Ironie.

Klaus Heidegger, 5. 1. 2022

Kommentare

  1. Herr Heidegger, Sie könnten ein Geisteskind von mir sein (wolfgang-oberndorfer.at). Christian Öhler hat mich auf Sie aufmerksam gemacht.

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