Menschheitsträume nach himmlischen Harmonien

(Brief an Tirol, Tiroler Tageszeitung, 6. 1. 2023)

Der Legende von den „Drei Königen“ verdanken wir unseren heutigen Feiertag. Sie ist aus dem Stoff der Weltenträume geschrieben, ein Stoff, der unserer von Disharmonien geprägten Welt Frieden und Gerechtigkeit bringen könnte. Die Sterndeutergeschichte aus dem Matthäusevangelium und ihre späteren Zudichtungen sind älter als die Produktionsstätten von Hollywood, aber auch letztere verwenden ähnliche mythische Metaphern und utopischen Bilder als Gegenentwurf zu gegenwärtigen Dystopien. Dass der zweite Teil des Mega-Blockbusters Avatar gerade in der Weihnachtszeit in die Kinos kam, ist kein Zufall. Die Sci-Fi-Welt von Avatar und die Geschichten rund um die Geburt Jesu haben Parallelen. Avatar als religiöses Grundvokabel bedeutet in den asiatischen Religionen ein göttliche Herabkunft. In der Avatar-Saga passt Kiri, eine der Schlüsselfiguren, wohl am besten zur Jesus-Story. Die Na‘vi-Gottheit Eywa könnte der zweite Elternteil von Kiri sein. Sie spürt Eywas Herzschlag in sich und verfügt über besondere Fähigkeiten. Die erste Harmonie in den bleibend-gültigen Legenden und Mythen liegt darin, dass göttliche und menschliche Wirklichkeiten nicht länger getrennt sind. Die Sternsuchenden haben erkannt, dass im Kind von Betlehem diese Gott-Mensch-Einheit zu finden ist. Die biblischen Weihnachtsgeschichten erzählen von Rettung und Bedrohung zugleich, vom Retterkind und vom grausamen Kindermord, von Engeln und von Mördern, von Aufnahme und Verfolgung, vom Aufbauen und vom Zerstören. Avatar erzählt von Kriegen und von der Zerstörung der Natur. „Ich brauche deine Hilfe …“, sagt der Held Jake Sully in Avatar. Neytiri vom Stamm der Na‘vi fällt es nicht schwer. Sie liebt Jake. Es klingt nach Romanze, ist aber wahr: Wo Menschen sich liebend begegnen, ist Rettung möglich. Das ist die zweite Harmonie. Wenn wir uns die mittelalterlichen Verdichtungen der Sterndeutergeschichte vergegenwärtigen, wird noch ein dritter Einklang sichtbar. C + M + B – ob gedacht als Caspar-Melchior-Balthasar oder als die göttliche Dreieinheit von Catharina-Margareta-Barbara – wird nicht durch Zäune und Mauern aufgehalten. Zu Weihnachten ist die Welt eine grenzenlose geworden. In die Drei-Königs-Tradition ist schließlich noch ein vierte Harmonie verstrickt. Es gibt keine Rivalität zwischen den Jungen und den Alten. Der Jüngling, der Mann und der Greis machen sich gemeinsam auf den Weg der Erlösung. Der alte König sagt nicht zum Jungen: du bist zu mir zu „grün“ hinter den Ohren, der Junge nicht zum Alten, „du gebrechlicher Greis, du bist mir zu alt“. Auf der Spur der Letzten Generation gibt es nur ein Miteinander. Am Dreikönigstag können wir uns vergegenwärtigen: Wo begegnet mir Göttlich-Himmlisches? Wenn mir dies staunend bewusst wird, finde ich meine Gaben und Fähigkeiten, die ich dafür dreikönigsmäßig schenken kann. Oder im Avatar-Narrativ: Dann kann ich selbst mit Hilfe von anderen zum Avatar des Positiven verwandelt werden.

Dr. Klaus Heidegger, Vorsitzender der Katholischen Aktion der Diözese Innsbruck

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