„BLEIBEN IN DER FREMDE“ – eine Ausstellung im Taxispalais Kunsthalle Tirol

Seelenversunken verliere ich mich in der Innsbrucker Prachtstraße. Die goldenen Riesenosterhasen an der Fassade des Einkaufstempels schrecken mich eher ab, als dass sie mein verlorenes Ich ins hektische Treiben locken würden. In diesem Getriebe fühle ich mich wie ein Fremder. Mein innerlich suchender Blick bleibt vor dem Landhaus beim weißen Plakat mit dem tiefsinnigen Titel „BLEIBEN IN DER FREMDE“ hängen. Ein Spiel mit zwei Begriffen, die künstlerisch in Schwarz-Weiß und Grautönen zusammengefügt sind. „GURBETTE KALMAK“ ist als zweiter Titel über das „BLEIBEN IN DER FREMDE“ gelegt, das verschwommen wirkt. Das Plakat selbst wird zum Kunstwerk mit begrifflicher Spielerei. Der Titel zieht mich an. Hat wohl auch mit seiner dialektischen Bedeutung zu tun, der zwei zunächst antagonistisch konnotierte Begriffe zusammenführt. Das Fremde als Bezugsgröße, wo man nicht daheim ist, wo man entwurzelt ist, wo man sich selbst als unbeheimatet suchend fühlt. Ein Ort also, wo man eigentlich nicht auf Dauer „bleiben“ möchte. Und doch geschieht es, dass man in der Fremde bleibt bzw. scheinbar alternativlos bleiben muss und eine Beheimatung nicht stattfinden kann. Trifft es etwa auch auf mich zu: „Bleiben in der Fremde“? Die Massen gehen in das Einkaufszentrum. Es kommt mir vor, als verschlänge es wie ein Monster Menschenmassen und verdaute es in seinen Gedärmen von Rolltreppen und Stiegen, in denen piepsende Geräte wie Verdauungsgeräusche sind. Mich zieht es in die Ausstellung. Da bin ich fast allein.

„GURBETTE KALMAK“ heißt „BLEIBEN IN DER FREMDE“ in türkischer Sprache. Linnea Streit, die Projektleiterin vom Taxispalais, erklärt tiefsinnig die Hintergründe der Ausstellung. Kuratiert wurde sie bewusst in Teamarbeit der Direktorin vom Taxispalais mit Güroy Dogtas, einem Kurator mit türkischem Hintergrund. Nur so kann authentisch der Blickwinkel jener zur Sprache kommen, die in den 1970er Jahren im Zuge der Arbeitsmigration aus der Türkei nach Westdeutschland kamen.  Als Fremde wurden sie wahrgenommen, als Fremde erlebten sie sich, als Fremde wurden sie benutzt und ausgegrenzt zugleich, als Fremde sind sie geblieben. Die Artikulationsformen in der Ausstellung sind zum einen ausdrucksstarke Bilder. Hanefi Yeter hat eine Abschiedsszene gemalt: Ein Mann am Zugfenster, der beide Hände an die Scheibe hält, so als würde er noch seiner Frau und seinem Kind zuwinken. Der Kopf der Frau spiegelt sich verschwommen in der Scheibe, die nun zur Trennung wird. Vom gleichen Künstler sind auch die anderen Ölgemälde. „Kinderwünsche“ heißt eines. Die drei Kinder aus einer türkischen Migrationsfamilie blicken mit großen, fast leeren Augen den Betrachter an. Über ihnen ist wie in einer Kinderzeichnung ein Spielplatz dargestellt. Sind sie ausgeschlossen davon? In ihren engen Wohnungen eingesperrt, in denen eine andere Sprache gesprochen wird? Das Bild ist 50 Jahre alt. Und heute? Ich denke an Udo Landbauer und seine Marionetten und Claqueure, die heute wollen, dass im Schulhof nur mehr Deutsch in niederösterreichischem Idiom gesprochen wird. Eine Installation zeigt den „Turm von Babel“. Acht TV-Monitore sind in einem Kreis auf Stelen aufgestellt und zeitgleich laufen dort Filme und es entsteht ein Sprachengemisch, das zur Unverständlichkeit wird. Es wird geredet und man versteht zunächst doch nichts. Am meisten allerdings sprechen mich wieder Gedichte an, die ich in der Ausstellung entdecke. Sie sind von Semra Ertan. Sie wuchs zunächst in der Türkei auf und zog 1972 mit 16 Jahren nach Deutschland zu ihren Eltern, die dort arbeiteten. In ihren Gedichten fand sie eine Sprache, um den Wunsch nach gesellschaftlicher Gleichberechtigung und die Wut angesichts von Diskriminierungen auszudrücken, vor allem aber auch, um Worte zu finden für das, was jede Fremdheit letztlich im Tiefsten überwinden kann: Die Erfahrung von wechselseitiger Liebe. Mit einem Gedicht von ihr gehe ich als Fremder aus der Ausstellung. „Finden ist schön, / wenn du suchen kannst. / Gesucht werden ist schön, / wenn du dich suchen lässt. / Lieben ist schön, / wenn du dich lieben lässt. / Die Liebe ist schön, / wenn du kannst!“

klaus.heidegger, 30. März 2023

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