Großer Krottenkopf und eine Öffi-Tour: Auf den höchsten Gipfel der Allgäuer Alpen

Öko-Perspektiven

Großer Krottenkopf? Noch nie hatte ich diesen Namen gehört. Etymologisch soll das Wort von Kröte – womit eine Sage von in Amphibien verwandelte Bösewichte verbunden ist – oder von Crypta kommen, weil der Gipfel aus vielen Zacken, Türmen, Überhängen und Felsnischen besteht. Noch nie war ich in den Allgäuer Alpen unterwegs. Manchmal schaute ich zwar bei meinen Rennradfahrten durch das Lechtal und über das Hahntennjoch hinauf und dachte mir beim Anblick der steilen grasbesetzten Flanken, über denen meist nochmals steilere Felstürme und Gipfel thronen: „Das sind wohl keine Berge zum Besteigen für mich.“ Diesmal genügte aber ein Anruf und die Frage: „Kommst mit auf den höchsten Berg der Allgäuer Alpen?“ Die Anreise mit Öffentlichen Verkehrsmitteln in ein Gebiet, das aus Innsbrucker Perspektive als entlegen wahrgenommen wird, war eine zusätzliche Motivation. Beide experimentieren wir gerne, wie sich Berg- und Skitouren mit Öffis gut machen lassen. Für Mitglieder der größten Naturschutzorganisation Österreichs, dem Alpenverein, ist dies ein Auftrag. Das Fazit gleich vorneweg. Die Anreise ist von Innsbruck bis zum Ausgangspunkt in Elbigenalp mit zweimaligem Umsteigen unkompliziert. Bei den Anschlüssen gibt es keine Wartezeiten: Ein ICE bringt uns nach Imst – die Fahrt im topmodernen Zug, der bis Dortmund fahren würde, ist eindeutig zu kurz. Umsteigeort ist aber nicht Dortmund, sondern Imst. Wenige Minuten später sitzen wir relativ alleine in dem gelben Linienbus, der dreimal täglich über das Hahntennjoch ins Lechtal fährt. Einmal nicht vom Rennrad aus erlebe ich die Passstraße wieder ganz neu aus den Blickwinkeln des Busreisenden. Heute möchte ich die Strecke nicht mit dem Rennrad fahren. Autos und Motorräder haben die Straße für sich erobert. In Elmen ist ein direkter Anschlussbus lechtalaufwärts nach Elbigenalp. Mit Öffis unterwegs zu sein bedeutet nicht nur mehr Zeit für entspanntes Schauen, sondern auch Gelegenheiten für Begegnungen wahrzunehmen. Wir treffen den Pfarrer von Elbigenalp, den ich seit Studienzeiten kenne. Heute ist der bald 70-Jährige Seelsorgeraums-Pfarrer auch noch zuständig für die Pfarren Gramais, Häselgehr, Bach, Stockach, Holzgau, Hägerau, Steeg und Kaisers. Pfarrer Otto Walch ist geprägt von der Suche nach alternativer Energieversorgung. Er stellte auf dem Grundstück neben der Kirche schon vor vielen Jahren das erste Windrad Tirols zur Stromversorgung auf. Inzwischen wurde es ergänzt von zwei großen Photovoltaikanlagen. Am Kirchturm, im Widumgarten und an weiteren Messstellen oberhalb von Elbigenalp hat er kleine Anlagen, um die Windstärke zu messen. Für den Lechtaler Pfarrer ist klar: Windkraft gehört zum Mix, mit dem in Zukunft saubere Energie für Tirol geschaffen werden kann.

Hermann-von-Barth Hütte

Es geht vorbei am Geierwally-Haus. Beim Serpentinenweg durch den Wald hinauf zum Kasermandl-Gasthaus denke ich an die wohl berühmteste Heimatsaga Tirols, die stets geeignet ist als Spiegelbild für eigenes Gefühlsleben und sozio-kulturelle Gegebenheiten. Jetzt im August wächst am Rande des Steiges eine Fülle an Kräutern. Immer wieder lasse ich meine Finger an ihnen streicheln und rieche dann den Duft, der sich an den Fingern festklebt. Wir haben Zeit und nehmen sie uns, um bei der Jausenstation Kasermandl einen Sauren Radler zu trinken. In Serpentinen geht es hinauf zur Hermann-von-Barth-Hütte. Sie liegt wunderschön in einem Kessel, der von steilen Felswänden umrahmt wird und vor allem mit einem großartigen Panoramablick hinüber zu den Lechtaler Alpen. Es ist ein Traumplatz, um hier den Abend und die Nacht zu verbringen. Draußen hat Gewitterregen eingesetzt. Hüttenatmosphäre. Ja, gäbe es da nicht die großen Probleme in der Welt – die klimatisch bedingten Unwetter mit Feuersbrünsten und Überschwemmungen, die täglich neuen Horrormeldungen von flüchtenden Menschen im Mittelmeer, die ertrinken, der 534. Kriegstag in der Ukraine – ich könnte mich ungestört der Schönheit der Bergwelt hingeben, würde ich dies ausblenden. Ich kann es nicht und so erscheint es mir immer als Luxusproblem, wenn Bergwandernde von ihren Blasen an den Füßen erzählen. In der Hütten-Speisekarte findet sich auch eine Lebensbeschreibung des Namensgebers dieser Hütte. Mit 31 Jahren hat sich Hermann von Barth, dieser so starke, wagemutige aber doch wahrscheinlich sehr einsame Mann, der eine große Zahl von Erstbesteigungen im Karwendel und in den Allgäuer Alpen machte, selbst das Leben genommen.

Großer Krottenkopf und Kraxelei

Auf einem exponierten Steig kommen wir in einen weiten Karkessel. Immer ist der mächtige Krottenkopf vor uns und permanent denke ich mir: „Wo und wie soll es da wohl hinaufgehen?“ Nachdem wir bald nach der Hütte die erste Gruppe hinter uns ließen, sind wir nun allein unterwegs. Nur ein Rudel Gämsen benützt auch den Steig. Warnende Pfiffe von ihnen. In einer Querung ober uns macht es einmal einen lauten Knall in der Felswand und dann steigt eine weiße Staubwolke auf. Steine rollen hinunter. Kein angenehmes Gefühl. Im Hermannskar See spiegelt sich die Steilwand vom Krottenkopf. Auf der Krottenkopfscharte sind dann noch andere, die von der Oberstorfer-Seite über die Kemptnerhütte aufgestiegen sind. Ein Steig führt von dort weiter auf die Spitze. Bei manchen ausgesetzten Kraxelei-Stellen bin ich doch relativ angespannt und froh, nicht allein unterwegs zu sein. Luftig geht es dann noch über den Grat zum Gipfelkreuz. Weit ist nun der Blick hinaus in die nördlichen Ebenen Deutschlands und im Süden die Bergwelt der Lechtaler Alpen.

Abstieg und Ausklang

Als Abstieg wählen wir die direkte Variante hinunter ins Bernhardstal: Steile Latschenhänge, in denen sich die Hitze eines heißen Augusttages staut; Almböden und Kuhglockengebimmel; ein rauschender Bach, der in Talnähe in einer großartigen Schlucht endet.  Auf der Gibleralm knapp oberhalb von Elbigenalp verlassen wir die Einsamkeit der Bergwelt und sind zurück im moderaten Tourismus des Lechtales und eines sonntagnachmittäglichen Treibens. In Elbigenalp erreichen wir exakt den Bus nach Elmen – wo uns das Warten auf den Bus noch Zeit für einen ausgiebigen Gasthausbesuch schenkt.  

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