Phase out now! Über die Rettung der vier Jahreszeiten

Im Landestheater

in Innsbruck sehe und erlebe ich eine Interpretation der „Vier Jahreszeiten“. Als Vivaldi sein Meisterwerk Anfang des 18. Jahrhunderts komponierte, war die globale Durchschnittstemperatur gut 1,2 Grad unter dem heutigen Stand und die Treibhausgasemissionen konnten noch zu keinem negativen Effekt führen. Im strömenden Winterregen radle ich zum Landestheater und es fühlt sich an, als wäre Herbst, dabei brennt schon die zweite Adventkerze.

Die Inszenierung des populären Stücks von Vivaldi im „Großen Haus“ als Umsetzung als Tanztheater verbindet den musikalischen Ablauf von Frühling, Sommer, Herbst und Winter mit der Klimakrise heute. Videoausschnitte mit der Stimme und dem Bild von Armin Wolf begleiten das Tanzensemble durch die vier Jahreszeiten. Im Chaos unserer Zeit tanzen schöne und anmutige Körper im Ablauf von Lieben und Loslassen, von Annehmen und Abstoßen, von Wachsen und Vergehen. Tanzen sie einem Chaos entgegen oder tanzen sie sich aus dem Chaos heraus oder tanzen sie einfach in diesem menschengemachten Chaos? Ist es mein eigenes Erschrecken angesichts der Klimakrise, dem ich durch die Unterstützung der Aktionen der Letzten Generationen etwas Ausdruck verleihe, dass ich im Streichen der Violinen und Violas mehr das Bedrohliche heraushöre, als die Zuversicht nach einem Frühling, der mit Aufbruch in Verbindung gebracht werden könnte. Glutrotorange ist nun der imitierte Himmelskörper über den Tanzenden, die sich mit den bedrohlich klingenden Klängen der Musik in den Tod schwitzen – moderiert wieder von den nüchternen Zahlen mit Hitzerekorden aus dem vergangenen Sommer. Die Stimme von Armin Wolf erinnert symbolträchtig an die Hungersteine, die in den Flussbetten bei Niedrigstwasser zum Vorschein kommen. Auf einem dieser steht das Orakel: „Wer jetzt mich sah, der hat geweint, wer jetzt mich sieht, wird weinen.“ Auch die kommenden Jahreszeiten bieten keine Ausweichmöglichkeit. Wohl versuchen die Tanzenden, sich durch die Flucht in einen Partywagen aus dem apokalyptischen Geschehen wegzustehlen, doch wird ihnen das nicht gelingen. Wo das Rettende liegt, zieht sich wie ein regenbogenbunter Faden durch die ganze Inszenierung – durch alle Jahreszeiten durch. Es ist die bunte Liebe – und hier achtet die Inszenierung wohl ganz bewusst auf LGTBQ+-Qualitäten – von Menschen, die sich im Spiel von Körper und Leidenschaft immer wieder neu aufeinander einlassen.

Im Fernsehen

sehe ich unmittelbar nach der Aufführung den ZIB-2-Anchorman wieder in seiner gewohnten Rolle. Diesmal nicht menetekelhaft auf einer großen runden Scheibe, die wie ein Mond über der Bühne auf- und abgeht, sondern als Moderator. Er berichtet von den Ergebnissen der Weltklimakonferenz. Man applaudiert über ein dürftiges Abschlussdokument und sei schon zufrieden, wenn ein schrittweiser Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Energieträger beschlossen sei. Die Vertretungen von pazifischen Inselstaaten bei der COP28 sprechen von einem „Todesurteil“. Die Klimawissenschaft warnt einmal mehr, dass mit halbherzigen Absichtserklärungen der Planet nicht gerettet werden kann. Reinhard Steurer spricht nicht von einem „historischen Durchbruch“, sondern von einem „historischen Versagen“. Im Interview mit Armin Wolf gibt sich die heimische Umweltministerin trotzdem zufrieden. Man habe nun endlich global erkannt, dass fossile Energie zum Klimawandel beitrage und ein Ausstieg notwendig sei. Angesichts dessen, dass die fünf Kipppunkte bald erreicht sein werden, klingen solche Worte zugleich doch irgendwie zynisch. Meine Hoffnung setze ich heute einmal mehr auf den globalen Aufstand von unten: Menschen, die heute schon beginnen, in ihrem Alltagsleben so weit wie möglich ein „PHASE OUT“ zu leben: in der Wahl des Verkehrsmittels, im Einkaufsverhalten und in der Wahlkabine. Es ist bestärkend zu wissen, dass gleichzeitig mit der Aufführung der Vier Jahreszeiten die Letzte Generation zu einer Informationsveranstaltung in der Spitalskirche eingeladen hat. Wohl wird es aber noch viel mehr Blockaden brauchen, um den Zerstörungswahn zu stören – und ich werde dabei sein! Die Musik von Vivaldi mit den Vier Jahreszeiten wird mir das nächste Mal als Ohrwurm mit dabei sein und ich werde das wütende Hupen von Autofahrenden weniger bedrohlich wahrnehmen.

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