Aus dem Evangelium der Maria Magdalena …

„Als Jesus dies gesagt hatte, ging er. Sie aber waren traurig und weinten sehr und sagten: ‚Wie sollen wir zu den Völkern gehen und das Evangelium von der Herrschaft des Menschensohnes predigen? Wenn jener nicht verschont wurde, wie sollen wir verschont werden?‘ Da stand Maria auf, küsste sie alle und sagte zu ihren Geschwistern: ‚Weint nicht und seid nicht traurig und zweifelt auch nicht! Denn seine Gnade wird mit euch allen sein und euch beschützen. Vielmehr lasst uns seine Größe preisen, weil er uns verbunden und zu Menschen gemacht hat.‘ Als Maria dies gesagt hatte, wandte sie ihr Herz zum Guten, und sie begannen, über die Worte des Erlösers zu diskutieren. Petrus sagte zu Maria: ‚Schwester, wir wissen, dass der Erlöser dich mehr liebte als die übrigen Frauen. Sage uns die Worte des Erlösers, an die du dich erinnerst, die du kennst, wir (aber) nicht und die wir auch nicht gehört haben.‘ Maria antwortete und sprach: ‚Was euch verborgen ist, werde ich euch verkündigen.‘“

Liebe Nachfolgerinnen und Nachfolger in der Tradition der Maria Magdalena!

Zu unserem Gottesdienst in der Spitalskirche darf ich heute, am 22. – jener Kalendertag in Erinnerung an die Apostelin Magdalena, ganz herzlich begrüßen. Mein Name ist Klaus Heidegger und ich bin Vorsitzender der Katholischen Aktion der Diözese Innsbruck, einer Plattform, in der sich die verschiedenen Organisationen der Katholischen Aktion zusammenfinden und die auch die Inititiative Maria Magdalena & Co von Beginn an mitträgt.

Hinführung zu Maria Magdalena & Co

Bekanntlich starten wir mit unserer Aktion von Maria Magdalena & Co nun schon ins fünfte Arbeitsjahr. Die Initiative ist ausgegangen von Maria 2.0. Bewusst wurde von uns aber der Name „Maria Magdalena & Co“ gewählt, um auch andere Akzente zu setzen. Das heißt nicht, dass wir uns deswegen von der teils weit radikaleren Initiative Maria 2.0 abgrenzen wollen. Im Gegenteil. Es braucht Maria 2.0 dringend und als Initiative Maria Magdalena & Co fühlen wir uns mit Maria 2.0 verbunden.

Im ersten Jahr haben wir Frauen des Neuen Testaments in den Blick genommen. Im zweiten Jahr waren es Frauen, die mit den Gründerinnen der Ordensgemeinschaften zu tun haben, die in Innsbruck so segensreich wirken. Im dritten Jahr waren es Frauengestalten aus dem Ersten Testament. So konnte ich exakt vor zwei Jahren die Gestalt der biblischen Hagar als Leitgestalt vorstellen und sie in den Kontext von der Gewalt an Frauen und Orange the World stellen. Aus der Perspektive dieser Frauen aus der Hebräischen Bibel haben wir Briefe an die Bischöfe geschrieben. Sie können heute noch auf der diözesanen Homepage nachgelesen werden.

Unser zentrales Anliegen, dass es endlich Gleichberechtigung in der röm.-kath. Kirche gibt, dass sexistische Strukturen aufgehoben und durchbrochen werden, dass Frauen nicht weniger Rechte als Männer in der Kirche haben, dass die kirchlichen Ämter in einer Weise weiterentwickelt werden, die der befreienden Botschaft Jesu Christi entsprechen – dieses Anliegen ist in den letzten Jahren nicht realisiert worden. Auch die Weltbischofssynode in Rom hat in dieser Hinsicht keine Fortschritte gebracht.

Maria Magdalena aus der Perspektive der apokryphen Evangelien

Was sehen wir, wenn wir in dieser barocken Kirche im Herzen der Stadt rundherum blicken?  Was sehen wir nicht? Wir sehen die Büsten von den 12 Aposteln, den 12 Männern, die laut kirchlicher Tradition den innersten Kern der Jesusbewegung bildeten und als deren Nachfolger sich die Bischöfe heute direkt ableiten. Jakobus, Simon, Thaddäus, Judas, Bartholomäus, Johannes … Was sehen wir nicht? Keine Büste von Maria Magdalena! Keine von Susanna! Keine von Martha oder von Maria von Bethanien. Also keine Frau, von denen sich heute eine Bischöfin ableiten ließe.

Aber es gibt sie auch, die Schriften, die uns eine andere Geschichte vergegenwärtigen, jene vor allem von Maria aus Magdala, von Maria Magdalena. Die apokryphen Schriften wie das Evangelium der Maria Magdalena bzw. das Philippus-Evangelium können uns da gut weiterhelfen. Die Theologie nimmt sie heute wieder mehr ernst, als es noch zur Zeit von meinem Studium war, als nur die kanonischen Schriften als Maßstab galten. Natürlich sind die Apokryphen in gewisser Weise vom historischen Jesus und seiner Bewegung entfernt, ja wollen gar keine Historie sein. Vielmehr, und darin liegt ihr Wert, zeigen sie uns heute, wie das christliche Gemeindeleben in der ganz frühen Kirche bis in die Mitte des 4. Jahrhunderts hinein war. Wir sehen zwei in Spannung zueinanderstehende Kräfte: Einerseits eine große Selbstverständlichkeit, mit der Frauen wie Maria Magdalena höchste Leitungsämter innehatten und gleichberechtigt mit den Männern in der Nachfolge Jesu waren, andererseits aber zugleich schon eine patriarchale Abwehr.

Wir haben gerade einen kurzen Abschnitt aus dem Evangelium der Maria Magdalena gehört, ein paar Verse nur aus jenen Texten, deren Herkunft schon eine besondere Bedeutsamkeit hat. Erst 1948 wurden die entsprechenden Papyrustexte in Tonkrügen auf Feldern in Ägypten entdeckt. Warum wohl waren sie dort versteckt worden? Musste man schon vor 2000 Jahren Angst haben, dass solche Schriften nicht tauglich waren für eine Kirche, in denen nur Männer das Wort haben sollten?

Wenn wir uns den Text nochmals vergegenwärtigen, dann erscheint Maria Magdalena als diejenige, die predigt. Maria Magdalena wird als sehr einfühlsam vorgestellt, als klug und weise, empathisch. Ich möchte bewusst nochmals die Worte wiederholen: „Als Jesus dies gesagt hatte, ging er. Sie aber waren traurig und weinten sehr und sagten: ‚Wie sollen wir zu den Völkern gehen und das Evangelium von der Herrschaft des Menschensohnes predigen? Wenn jener nicht verschont wurde, wie sollen wir verschont werden?“  Da stand Maria auf, küsste sie alle und sagte zu ihren Geschwistern: ‚Weint nicht und seid nicht traurig und zweifelt auch nicht!“ Mich spricht auch an, was Maria Magdalena sagt und tut: Sie umarmt die Brüder, sie küsst sie, sie unterweist sie mit ihrem Verstand und ihrer Weisheit. Ihre Autorität wird auch von Petrus anerkannt. Ihre Worte führen zur Diskussion.

Maria Magdalena: Eine spirituelle Autorität.

Historisch-kritisch gesehen handelt es sich hier um einen gnostischen Text, der uns erstens zeigt: Es ist möglich, das Licht der Weisheit zu erfassen. Zweitens macht er uns aber vor allem an der Gestalt der Maria Magdalena aufmerksam, welche Rolle Frauen in der frühen Kirche eingenommen haben. Die Tradition der Priesterinnen, der Diakonissen und der Bischöfinnen der Kirche wurde beim Konzil von Laodicea im Jahr 364 beendet.

Maria Magdalena: Apostolin und Prophetin

Nicht identifiziert werden kann Maria Magdalena, so die kritische Bibelexegese heute, mit jener Frau aus dem 7. Kapitel des Lukasevangeliums, vielmehr aber ist sie die erste Zeugin der Auferstehung, wie wir sie aus dem Johannesevangelium kennen, jene, die unerschrocken bei der Hinrichtung Jesu dabei ist und nach seinem Tod hingeht zum Grab, wo ihr der Auferstandene mit den zärtlichen Worten begegnet: Maria, warum weinst du? Sie ist nicht die Dirne, nicht die Büßerin, nicht die Prostituierte, wie sie über die Jahrhunderte in Bildern und Texten dargestellt wird, vielmehr ist sie aber eine wahrscheinlich wohlhabende Frau aus dem Fischerdorf Magdala, die Jesus und seiner Bewegung ganz praktisch auch materiellen Rückhalt geben konnte. Das ist nicht etwas, das eine typisch weibliche Tätigkeit genannt werden könnte. Sie ist eine ungebundene und finanziell unabhängig Frau. Eine unabhängige Frau, die nicht als „Frau von“ bezeichnet wird, sondern ihr Name ist Maria aus Migdala. Sie ist vielmehr Prophetin und Apostolin, die den Männern – und insbesondere dem Petrus – den weiteren Weg weist. Sie ist nicht die Sünderin, als die sie in der Kirche von Papst Gregor im 6. Jahrhundert an bis 1969 gesehen wurde, sondern die Apostolin, als der sie auch dann von Papst Johannes Paul II. anerkannt worden ist. Heute ist es auch bedeutsam zu betonen: Sie, die Galiläerin, die Palästinenserin, die Jüdin, steht so ganz in der Tradition des Judentums, sie erfährt was es bedeutet, unter Besatzung zu leiden, unterdrückt zu sein.

Mir persönlich hat jener Film aus dem Jahr 2018, Maria Magdalena, sehr angesprochen, vor allem die Schlussszene, wo Magdalena klar anspricht, worin das Reich Gottes besteht: Nicht in einer Vertröstung auf ein Jenseits, sondern im gelebten konkreten Hier und Jetzt, nicht in einem gewaltsamen Umsturz, nicht in einer spirituellen Vertröstung, sondern in gelebter Liebe.

Kommentare

  1. Danke für diesen wunderbaren Text.
    Ich möchte auf eine Trilogie von Kathleen McGowan hinweisen für den Fall, dass Sie diese nicht kennen:
    Das Magdalena Evangelium, Das Jesus Testament, Das Magdalena Vermächtnis.
    Bücher, die mich sehr berührt, und meinen Blick auf das Wesentliche der christlichen Lehre geschärft haben.
    Herzlichst,
    Maria Rehm-Wimmer

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