St. Pantaleon, Heinrich Böll und in die Mitte des Christentums

Faschingssonntag in Köln. Die verkleideten Massen sind in der Innenstadt rund um den Kölner Dom, der irgendwie wie eine gigantische Bahnhofskirche ist – oder ist der Bahnhof ein Dombahnhof? Irgendwie wohl beides. Fern von den verkleideten Massen, wo doch jeder und jede individuell bleibt, als Schlumpf oder Wikinger, als Pippi Langstrumpf oder Clown, als Skifahrerin oder Imker, als Harlekin oder Giraffe, als … den Verkleidungsphantasien sind an diesem Wochenende keine Grenzen gesetzt. Nur Business-Anzüge oder noble Garderoben würden wohl nicht ins Bild passen.

Nur wenig abseits von den Verkleidungen und Umzügen und Alaaf-Rufen umkreise ich eine der 12 prächtigen romanischen Kirchen von Köln, die allesamt aber letztlich im Schatten des mächtigen gotischen Domes stehen und entsprechend nicht im Fokus touristischer Aufmerksamkeiten sind. Das macht sie daher besonders interessant. Ich bin an diesem Tag der Einzige, der die Kirche umkreist. Das Innere ist auch wegen Renovierungsarbeiten gesperrt. Umso eindrucksvoller wirkt die formschöne Westfassade mit den beiden hohen Rundtürmen und dem rundbogigen Eingangsportal – alles gemauert aus hellbräunlichem Tuffstein. Von hier, im Süden der Altstadt von Köln, nahm die Pantaleon-Verehrung in Europa ihren Ausgangspunkt und ich finde Pantaleon in meinen heimatlichen Kirchen und Kapellen immer wieder als einen der 14 Nothelfer. Seine Vorbildfunktion für die christlichen Kirchen gilt über die Jahrhunderte: Er ist Patron der Ärztinnen und Ärzte und der Hebammen, weil es ihm gelang, selbst unheilbar Kranke wieder zu heilen. In der Zuwendung zu den an Seele und Leib Erkrankten geschehen die Wunder. Diese Zuwendung, so die Legenden über den frühchristlichen Märtyrer, galten in besonderer Weise auch den Verarmten, die dem Arzt für seine Dienste keinen Obulus leisten mussten. Er heilte sie quasi „gratis“, aus reiner Gnade und Liebe, vorbehaltlos.

In einer efeuüberwachsenen Nische denke ich mit Blick auf das romanische Bauwerk an jenen Dichter, der hier in der Südstadt seine Heimat hatte. In meiner frühen Jugend las ich seine Bücher. Heinrich Böll. Ich mochte seine Sprache und seine Gedanken. Meine Mutter wollte mir das Lesen des „Linkslinken“ und „Kirchenverräters“ verbieten – so ihre Definition. Ich ließ mich lesend von ihm prägen. Wofür würde der Literaturnobelpreisträger heute eintreten? Böll würde, wie damals wohl zur Zeit der Nato-Nachrüstung, gegen die fortschreitende Militarisierung und vor allem gegen die Atomwaffenstrategien anschreiben. Böll würde, wie damals, für Versöhnung zwischen den verfeindeten Blöcken sein und würde heute wohl als „Putinversteher“ diffamiert werden.  In einer gemauerten Nische ist eine Statue des Heiligen Pantaleon. Jemand hat der Steinskulptur eine Jacke umgehängt. In seiner linken Hand hält er eine Märtyrerpalme. Zu seinen Füßen sind zwei Kranke, die Heilung bei ihm suchen. Auf seinem Kopf trägt er eine Mütze, die mich irgendwie an die schwarze Baskenmütze von Heinrich Böll erinnert. Der Schriftsteller hat den Karneval in seiner Heimatstadt mit einer ansteckenden Krankheit verglichen. So wie diese keine Klassenunterschiede kenne, sei auch der Karneval klassenlos. Alaaf.

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