Kunstintervention in der Fastenzeit vor der Wiltener Sitftskirche

Innsbruck in der zweiten Woche der Fastenzeit. Ein älteres Ehepaar geht schwerfällig über den großzügigen Platz vor der Wiltener Stiftskirche in Richtung Klosterladen. Was sie sehen und eigentlich nicht sehen wollen, empört sie. „Was soll das?“, fragt der Mann, ohne sich von irgendwem eine Antwort zu erwarten. Die Frau zieht ihn genervt weiter. Mich lässt die künstlerische Intervention meines Freundes Hans Seifert nicht los. Ich gehe mehrmals um den Trümmerhaufen herum. Er erinnert in analoger Weise an die so vielen digitalen Kriegsbilder. Kinderpuppen liegen auf dem Schutt. Kaputte Kloschüsseln. Zerbrochene Spiegel. Scherben. Gewandfetzen wie nach einem Bombenangriff. Ein geöffneter Sarg mit einem Leichentuch, das daraus hervorquillt. Gedenkkerzen liegen kreuz und quer. Auf einer weißen Trauerschleife steht in goldener Schrift: Alexei Nawalny – ermordet 16.2.2024. Eine weiße Rose steckt in einem Schuh. Vor dem Haufen eine Tafel mit drei Begriffen in Großbuchstaben: DENK PLATZ * HOFFNUNGSFELD * TROSTHOF. Es braucht keine weiteren Erklärungen, um zu verstehen, was Hans Seifert mit seinem Kunsthaufen möchte: Die so grausame Wirklichkeit des Krieges wird hier handgreiflich. Die zerbombten Häuser in der Ukraine und im Gaza berühren weit weniger, wenn sie in den Fernsehbildern sichtbar werden. In der Kirchenfassade hinter dem Haufen sind die riesigen Statuen der legendären Riesen Haymon und Thyrsus. Kultur aus alter Zeit trifft auf neue Darstellungsform und es ist, als hätte der Künstler diesen Ort ganz bewusst gewählt. Im Kampf, so die Sage, habe Haymon Thyrsus mit seinem Schwert getötet. Ein See von Blut habe sich gebildet. Haymon zeigte danach Reue über seine verwerfliche Gewalttat. Er habe das Kloster Wilten erbauen lassen, in das er schließlich selbst als Ordensbruder eintrat. Und wie sähe eine Umkehr heute aus, damit nicht an zu vielen Orten der Welt viel größere Trümmerhaufen entstehen? Es bräuchte einen Ausstieg aus der Logik des Krieges und nicht noch mehr Aufrüstung, nicht Kriegsfähigkeit, sondern Friedensfähigkeit. Ich sehe mich in einem der zerbrochenen Spiegeln.

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