In den 80er Jahren, zur Zeit der NATO-Nachrüstung, wurde ich als „nützlicher Idiot“ bezeichnet, als ich mich friedensbewegt bei Demonstrationen, Mahnwachen oder Hungerstreiks beteiligte. Ich würde den Sinn einer wechselseitigen Abschreckung nicht verstehen, ohne die das Sowjetimperium eine unberechenbare Gefahr für den Weltfrieden sei. Das Gleichgewicht des Schreckens sei der Preis für den Frieden. Mit diesem vorherrschenden Narrativ wollte uns als Kath. Jugend die bischöfliche Obrigkeit die Teilnahme an Friedensdemonstrationen verbieten. Heute lehrt die katholische Kirche, dass nicht nur die Anwendung, sondern schon der Besitz von Atomwaffen unmoralisch sei, und fordert daher eine sofortige und umfassende atomare Abrüstung.
Als Zivildiener galt ich als „Drückeberger“, der den Wehrwillen des österreichischen Staates untergrabe und selbst nichts zu seiner Verteidigung beitragen wolle. Bei der Zivildienstkommission musste ich meinen Standpunkt zur Verweigerung wie bei einer Strafverhandlung rechtfertigen. Noch heute werden Zivildiener mit einer 50prozentigen längeren Pflichtdienstzeit gegenüber dem Wehrdienst bestraft. Zugleich sehen die Zivildienst-Einsatzorganisationen den großen Wert der Zivildiener, auf die sie in vielen Bereichen angewiesen sind.
Als der Aggressionskrieg gegen die Ukraine im Feber 2022 begann und meine Meinung nicht jenem mächtigen militärischen Mainstream entsprach, wurde ich als „Putinversteher“ diffamiert. Diese Punzierung ist mir auch nach dreieinhalb Kriegsjahren geblieben. Wer nicht für eine massive militärische Unterstützung der Ukraine sei, würde dem Diktator im Kreml in die Hände spielen. Ich wurde in die Rolle eines Menschen gedrängt, der unsolidarisch sei gegenüber dem Leid der Bevölkerung in der Ukraine. Die vielen Argumente mit ihrer wissenschaftlichen Evidenz aus der Friedensforschung und mit Blick auf die historischen Beispiele werden nicht gehört: Frieden entsteht immer noch weniger auf den Schlachtfeldern, sondern im Gespräch der verfeindeten Seiten, im Suchen nach Kompromissen mit Händen, die von den Waffen befreit sind.
Meine Ablehnung des genozidalen und mehrfach völkerrechtswidrigen Vorgehens von Benjamin Netanjahu und seiner rechtsextremen Minister brachte mir den Vorwurf ein, ich sei „Antisemit“ und „Hamas-Freund“. Mein Hinweis auf das Leiden, den Hunger und das Sterben der Kinder im Gazastreifen wurde quittiert mit dem Hinweis, dass ich wie ein Vertreter der Ritualmordlegende des Anderle von Rinn sei. Doch sehen wir wieder: Im Gewalt lässt sich Gewalt nicht stoppen, mit Terror der Terror nicht eindämmen, dass auf Rache und Vergeltung nur neue Vergeltung und Rache folgen.
Warum dann muss ich mich als Pazifist immer neu rechtfertigen? Selbst in Friedensorganisationen glauben manche, sich von einem Pazifismus abgrenzen zu müssen. Dann heißt es, ich sei gesinnungsethisch motiviert und würde eine Verantwortungsethik missachten. Dann wird Pazifismus mit Passivität gleichgesetzt. Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Friedensforschung sind eindeutig: Gewaltfreie Methoden der Sozialen Verteidigung sind wesentlich effizienter und nachhaltiger als jene der Gewalt. Kriege lassen sich mit friedlichen Methoden beenden. Terroregime können ohne Gewalt mit zivilem Widerstand gestürzt werden. Pazifisten sind nicht feige, sondern mutig, sind nicht passiv, sondern höchst aktiv. Sie wollen Ungerechtigkeiten nicht akzeptieren, sondern diese mit gewaltfreien Mitteln überwinden.
Klaus Heidegger