Fülle des himmlischen Friedens!

„Fülle des Friedens und Leben möge vom Himmel herab uns und ganz Israel zuteil werden, / sprechet Amein. / Der Frieden stiftet in seinen Himmelshöhen, / stifte Frieden unter uns und ganz Israel, / sprechet Amein.“ In Gedanken an das grausame Massaker der Hamas vor zwei Jahren und nicht weniger in Gedanken an die Abertausenden getöteten Palästinenserinnen im Vernichtungskrieg der israelischen Streitkräfte, an die Zerstörungen und die Vertreibungen – gehe ich an diesem Tag bewusst durch Innsbruck und verweile bei der Kunstinstallation „Kaddish“. Sie wurde soeben an der Außenfassade des Volkskunstmuseums in Innsbruck angebracht. Auf der dreißig Meter hohen Leinwand stehen in hebräischen Buchstaben Verse eines der wichtigsten jüdischen Gebete, dem Kaddish. Es wäre zu kurz gegriffen, es als reines Totengebet darzustellen, weil es mehr ist. Hier wird auch darum gebeten, dass der himmlische Frieden herabkomme. Die beiden Künstler sehen ihre Kundstinstallation als Mahnmal gegen Antisemitismus und als Solidarität mit dem jüdischen Volk. Der dreißig Meter hohe Schriftbanner hängt bewusst auch auf jenem Platz, der in der Schreckensherrschaft der Nazis „Adolf-Hitler-Platz“ hieß. Heute denke in an all die Grausamkeiten, die seit dem 7. Oktober 2023 in den israelischen Orten an der Grenze zu Gaza geschahen und an die folgenden systematischen Vernichtungsfeldzüge der IDF. Im Innenhof des Volkskunstmuseums liegt ein Textfragment des Kaddish-Gebetes am Boden, mit Scherben übersät und mit braunen Fußabdrücken. Ich denke an die grauenvollen Bilder der Kibbuzim nach dem Massaker, ich denke an die Ruinenstädte im Gaza-Streifen – erst heute sah ich in Al-Jazeera Fernsehbilder von einem Mann, der nach einem israelischen Angriff auf sein Wohnhaus seinen kleinen toten Sohn aus den Trümmern zog. Die rechtsextreme Regierung unter Netanjahu machte den Gazastreifen zur Todeszone. Gewalt ist grenzenlos geworden.

„Töten löst keine Probleme!“, sagt der österreichische Bundespräsident in seinen Gedenkworten zum zweiten Jahrestag des Massakers. Die Geiseln müssen frei – und auch die Tausenden zu Unrecht und ohne Gerichtsurteil in Haft sitzenden palästinensischen Gefangenen. Die Gewalt im Gazastreifen muss enden – ein Stopp der Vertreibungen, der Bombardierungen, der Verweigerung von Hilfslieferungen. Nein zum Genozid! Heute lege ich meine Hoffnung in Aktionen des Widerstands gegen den Genozid, die Abertausenden Menschen, die aufstehen gegen Gewalt und an Brücken des Friedens zwischen dem palästinensischen Volk und den Israelis bauen, die sich gegen jeden Antiislamismus und Antisemitismus wehren, weil es geht um uns Menschen als Schwestern und Brüder der einen Menschheitsfamilien. Was immer einem sofortigen Waffenstillstand dient, rettet Leben und schafft einen Ausweg aus den verheerenden Eskalationsdynamiken. Solidarität bedeutet, gegen jede Gewalt zu sein, von welcher Seite auch immer, bedeutet die Anerkennung der Rechte der einen wie der anderen. Noch ist nicht die Zeit, die konkreten Lösungen für einen kommenden Frieden zu buchstabieren. Jetzt braucht es einmal nur die Forderung: Die Kämpfe müssen aufhören! Die Vernichtung und Vertreibung müssen aufhören! Die Geiseln müssen frei! Die kriegerische Logik zeigt nur ihre teuflischen Fratze und führt zu keinerlei Frieden, sondern schafft nur neues unvorstellbares Leid. Jetzt ist das Momentum für Kompromisse, für ein Aufgeben absolutistischer Positionen. Eine Zweistaatenlösung könnte so ein Kompromiss sein.

Klaus Heidegger, 7. Oktober 2025

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