Den starken Mann fesseln …

Markus 3,27: „Niemand kann in das Haus eines starken Mannes eindringen und ihn berauben. Erst wenn der Starke gefesselt ist, kann man ihn ausplündern.“

Beim heutigen Sonntagsevangelium, das in den katholischen Gottesdiensten gelesen wird, muss ich unweigerlich an den G7-Gipfel und an jene Tausenden denken, die ihn mit ihrem Protest begleiten. Es ist ein buntes, prophetisches Volk, das sich auf der anderen Seite eingefunden hat. Im friedlichen Protestzug durch Garmisch war auch eine Pax-Christi-Fahne zu sehen. Am Demonstrationszug in München am Fronleichnamstag – die Symbolik jenes typischen Prozessionstages könnte nicht besser sein, weil an ihm für die Sache Jesu traditionell auf die Straße gegangen wird – waren auch kirchliche Organisationen beteiligt. 40.000 sind es gewesen. Sie sind nicht „der starke Mann“ in der jesuanischen Parabel, in der die Verbindung zwischen Haus, Satan und starker Mann hergestellt wird. Für Jesus und seine Bewegung war das Haus leicht zu identifizieren: Es waren die Prachtbauten des Herodes, während 95 Prozent des Volkes in extremer Armut lebten. Schuldsklaverei war an der Tagesordnung. Das Satanische war die römische Besatzungsmacht mit ihrem Terror. Jene, die in der Perspektive der Herrschenden als „Diebe“ galten, wollten zurückholen, was dem Volk gestohlen worden war.

Die starken Männer plus einer starken Frau werden von Tausenden Polizeibeamten beschützt, tagen heute hinter einem weitläufigen, eigens errichteten Eisenzaun, der rundum das Luxusschloss errichtet ist. Das Haus ist das Schlosshotel Elmau. In den Worten von Jean Ziegler übersetzt könnte das Jesuslogion heute lauten: Wir müssen die „kannibalische Weltordnung“ stürzen. Es gilt, die Oligarchien des globalen Finanzkapitals zu bändigen. Im Widerstandscamp treffen sich jene, die nicht mehr schweigen wollen, wenn eine Milliarde Menschen in extremer Armut lebt, wenn alle 5 Sekunden irgendwo in der Welt ein Kind unter 10 an Hunger und den Folgen stirbt, wenn Tausende im Mittelmeer ertrinken, wenn Kriege geführt und für neue Kriege gerüstet wird. Die Schuldigen werden genannt – so wie die Zuhörer um Jesus wussten, wer der starke Mann ist. Die absurde Weltordnung, die mit TTIP und Co nur beschleunigt wird, wird kritisiert und die Unvernunft des Kapitalismus entlarvt.

Klaus Heidegger, 7. Juni 2015