Österreich ein Rettungsboot oder das „Boot ist voll“?

RettungsringDie ÖVP und die Regierung schicken nun ihr jüngstes Mitglied in die öffentliche Runde um zu verkünden: Eine Grenze für Flüchtlinge müsste gezogen werden, die EU-Außengrenzen müssten besser geschützt werden. (Tiroler Tageszeitung, 24.11.2015) Sebastian Kurz bezeichnet sich dabei als „Realist“ und er sei kein Träumer. Er sei „nicht rechts, sondern realistisch“. „Solidarität und Offenheit“ werden als „Floskeln“ denunziert. Der Außenminister nimmt innenministerielle Agenden wahr und sagt das, was seine Parteikollegin als Innenministerin durchzusetzen plant. Grenzzäune gegenüber den Flüchtlingen. Flüchtlinge seien nur zu einem kleineren Teil „echte“ Kriegsflüchtlinge. Darunter seien ja, so auch der steirische Landeshauptmann, viele Wirtschaftsflüchtlinge, die man einfach aufhalten und abschieben müsse. (Kurier, 22.11.2015)
Die herrschende Politik hierzulande scheint sich nun mehr an Viktor Orban als an Angela Merkel zu orientieren. Es geschieht ein europaweites Downsizing der Humanität, ein Dominoeffekt, der sich gegen die vielen Flüchtlinge wendet. Die Boulevardzeitungen jedenfalls freut es, dass Kurz auf scharf macht. Die FPÖ jubelt und inseriert: Wir haben es immer schon gefordert, Flüchtlinge draußen zu halten, um die heimische Sicherheit nicht zu gefährden. Das Flüchtlingsproblem soll unter den Zaun geschoben werden. Ungarn, Slowenien, Serbien, Kroatien, Österreich – wir sind dabei.
Sind aber die vielen Menschen, die davor warnen, direkt oder indirekt Stimmung gegen die Flüchtlinge zu machen, sind Menschen und kirchliche und humanitäre Organisationen, die für eine Aufnahme statt Abschottung eintreten, keine Realisten?
Es ist die Realität, dass all jene, die wie Sebastian Kurz eine noch stärkere Kontrolle der EU-Außengrenzen einfordern, die Flüchtlinge auf noch gefährlichere Wege führen werden und so das massenhafte Sterben im Mittelmeer und entlang der Flüchtlingsrouten weiter gehen wird. Sebastian Kurz ist ein Träumer, wenn er glaubt, mit Abschottungspolitik das Flüchtlingsproblem lösen zu können.
Es ist die Realität, dass wir in den reichen Ländern des Westens viele Möglichkeiten zum Teilen hätten, so viele Wohnungen, die leer stehen und unbenützt sind, so viele Budgetmittel, die für Flüchtlinge verwendet werden könnten. Wer dies widerlegt, verkennt die Tatsachen. Würden die Steuerhinterziehungen geahndet, würden Gewinne aus Transaktionen versteuert, dann gäbe es noch so viel mehr an Mitteln für die Notleidenden dieser Welt. Niemand müsste hungern und frieren.
Es ist die Realität, dass selbst 100.000 Flüchtlinge in einem reichen Land wie Österreich wenig sind im Vergleich zu den Nachbarländern Syriens, die das Zehnfache an Hilfe leisten müssen. Wer dies negiert, ist blind für die Situation von Millionen Flüchtlingen irgendwo in der Welt.
Es ist die Realität, dass es im wesentlichen Kriegs- und Politflüchtlinge sind und keine Wirtschaftsflüchtlinge, die zu uns kommen, weshalb die Genfer Konvention als rechtliche Basis auch für uns in Österreich oberste Gültigkeit besitzt.
Unwahr ist freilich, wenn mit längst widerlegten Mythen weiterhin Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht wird. Auch in der Schule werde ich immer wieder mit dem Argument konfrontiert, dass Asylsuchende vom Staat die neuesten Handys geschenkt bekommen würden. Natürlich schenkt der Staat niemandem ein Handy – keinem anerkannten Flüchtling und schon gar keinem Asylwerber, der gerade erst über die Grenze gekommen ist. Der Großteil der in Österreich ankommenden Flüchtlinge ist vor Kriegen und Verfolgung geflohen und nicht vor Armut. Folglich besitzen die Menschen auch Smartphones. Nicht zuletzt ist ein Mobiltelefon auch der einzige Weg, um mit den zurückgebliebenen Familien in Kontakt zu treten; der Besitz eines solchen also wohl kaum ein Beweis dafür, dass der Betroffene keinen Schutz verdienen würde.
Die Farben Österreichs sind die Farben eines Rettungsringes. Das sollte Programm sein für die heimische Politik, den Außenminister, die Regierung und für die ganze Zivilgesellschaft. Rot-weiß-rot.
Klaus Heidegger, 24.11.2015