Wir sind im Krieg …

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Wenn Papst Franziskus vom „Dritten Weltkrieg“ spricht, in den wir immer mehr hinein geraten oder schon drinnen sind, so hat er nicht Unrecht. Viele haben das katholische Oberhaupt wegen seiner Wortwahl kritisiert. Man könne doch nicht von Krieg sprechen, wenn die Terrorbanden des Daesh nun auch in europäischen Metropolen terroristische Attentate vollstrecken. Doch die Gegenfrage auf solche Kritik lautet: Die massiven Bombardements durch die französische Luftwaffe über syrischem Staatsgebiet, ist das nicht Krieg? Und die russischen oder US-amerikanischen Luftangriffe: Kein Krieg? Wer dieses Wort leugnet, leugnet die Realität des Krieges, leugnet den Schrecken, der hinter diesem Wort steckt. Der Papst nennt es beim Namen, weil er damit die Grausamkeit und Verwerflichkeit des Krieges benennt.

Krieg gebiert nicht Frieden
Fakt ist die Gleichzeitigkeit von Luftangriffen in Syrien und im Irak sowohl von Seiten Russlands als auch von Seiten der USA, Frankreichs und anderer Verbündeter einerseits und den Terroranschlägen in Paris, am Sinai, in Beirut, Bagdad und Bamako andererseits. Je höher das militärische Engagement, so die einfach-militärische Gleichung, desto größer die Terrorgefahr. Kaum ein Staat dieser Welt ist gegenwärtig an so vielen Kriegsschauplätzen der Welt tätig wie Frankreich. Militärisches Engagement bringt keine Sicherheit. Frankreich zählt mit Deutschland, den USA und Russland auch zu den weltgrößten Kriegsmaterialienexporteuren.

Terror nicht durch Abschottung mit Grenzzäunen bekämpfen
Der Terror lässt sich nicht durch Grenzen aufhalten. Daraus folgt nicht, dass der Kampf gegen den Terror und insbesondere gegen den IS nicht geführt werden sollte. Die entscheidende Frage lautet jedoch: Mit welchen Mitteln? Grenzschließungen sind die falsche Antwort, weil sie vor allem gegen jene gerichtet sind, die vor Terror und Krieg flüchten. Neue Grenzzäune mit dem Argument zu begründen, sich vor Terroristen zu schützen, ist perfide, weil sie die Abertausenden von Fliehenden als Gefahr denunzieren.
Geistige und militärische Aufrüstung und Verstrickung Österreichs in den Krieg
Auch das neutrale Österreich wird vielfach in diesen Krieg verstrickt. Dazu passt, dass von freiheitlicher Seite eine massive Aufstockung des Militärbudgets gefordert wird. Zu einer der zentralen Aufgaben zähle heute für das Bundesheer der Schutz der Außengrenze vor den Flüchtenden, wird populistisch gefordert. Kommentatoren nehmen sich ihr Zeitungsblatt nicht vor den Mund und sprechen es aus. Die Neutralität sei überholt. Man müsse gemeinsam mit der EU kämpfen und brauche dafür eine starke Armee. (So Alois Schöpf, Tiroler Tageszeitung, 21.11.2015)
Auch auf einer anderen Ebene ist Österreich ein Kriegsplayer. Aus der heimischen Kriegsindustrie sind vor allem Glock-Pistolen, Sniper-Gewehre von Steyr-Mannlicher und Hirtenberger-Granaten in den Händen von islamistischen Terroristen.

Terror ohne Krieg bekämpfen
„Die haben vielleicht Waffen, aber wir haben Blumen.“ So tröstete ein Vater seinen verängstigten Sohn in einem TV-Magazin. Es gibt so viele Wege, dem Terror den Nährboden zu entziehen und die Strategie der Terroristen, Spaltungen zu erzeugen und zur Gegengewalt zu provozieren, nicht aufgehen zu lassen.
chon jetzt wenden die Sicherheitsapparate den größten Teil ihrer Anstrengungen im Kampf gegen den Terror und für die Sicherheit der Bevölkerungen im nicht-militärischen Bereich auf. Für die Terrorabwehr sind die Innenministerien zuständig. Ja, es braucht mehr Sicherheit durch qualifizierte Sicherheitskräfte im eigenen Land.
Demgegenüber werden fremde Soldaten in arabischen Ländern noch mehr den Widerstand der militanten Islamisten schüren, die sich so noch mehr bestätigt sehen, einen Kampf gegen den Westen führen zu müssen.
Der Krieg gegen den Terror, beispielsweise nach 9/11 der Krieg der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan, hat den Terror nicht beseitigen können, sondern ihn in vieler Hinsicht verbreitet.

Die Ursachen für Terror bekämpfen ist Kampf gegen den Terror
Die Antwort lautet daher: Auf vielen Ebenen dem Terror den Boden entziehen. Dazu braucht es so viel mehr als Zäune im Kopf und Kampfjets in den Kriegsgebieten.
• Indem im Nahen Osten endlich die Besatzung und die Kriegspolitik gegenüber dem palästinensischen Volk beendet wird. Täglich neu wird eine brutale Unterdrückungspolitik gegenüber dem palästinensischen Volk fortgesetzt.

• Indem die sozialen Spannungen zwischen den eingewanderten Migrationsbevölkerungen und der sozial besser gestellten Mehrheitsgesellschaft beseitigt werden. Ein Nährboden für den islamistischen Terror ist die Ausgrenzung junger Menschen in einem elitenfördernden Frankeich.
• Der Terror sei die lauteste Antwort auf die bedrückenden Zustände, die durch das Ungleichgewicht zwischen der Wohlstandsgesellschaft und der Dritten Welt entstanden sind, sagt der Friedensforscher Karl Kumpfmüller. (Salzburger Nachrichten, 20.11.2015) Die wirksamste „Waffe“ gegen den Terror ist für den steirischen Friedensforscher daher der Kampf gegen die Armut.

• Indem der internationale Handel mit Kriegsmaterialien eingedämmt wird. Das Gegenteil ist derzeit der Fall. Allein Deutschland hat seine Kriegsmaterialienexporte in Länder Afrikas und den Nahen Osten im vergangenen Jahr verdoppelt.
• Indem in vielen Dialogforen das Gespräch zwischen den Religionen gefördert wird.
• Indem Islam so klar von Islamismus unterschieden wird und die martialischen Aspekte im Islam aus einer aufgeklärten Sicht hinterfragt werden.

 
Wider die Versuchung, den Islam zu verurteilen
In der Neuen Zürcher Zeitung erschien unmittelbar nach den Anschlägen in Paris ein Beitrag einer Sozialwissenschafterin. Neclar Kerlek schreibt u. a.: „Der Islam ist als Religion gescheitert. Und zwar bereits im Jahr 622 in Mekka. Mohammed konnte die Bewohner von Mekka nicht von seinen zum Teil mystischen Offenbarungen überzeugen und musste sich nach Medina absetzen. Dort wurde aus ihm ein Kriegsherr und aus seiner Botschaft eine Herrschaftsideologie.“ (Zit.in: DER STANDARD, 20.11.2015) Und weiters: Der IS benutze „den Koran als Colt. Der Koran ist ein rauchender Colt.“ Generell wird den Muslimen unterstellt, dass sie sich nicht von den Versen im Koran distanzieren würden, die zum Mord an Andersgläubigen aufrufen, und dass es keine Theologie geben würde, die die Rolle des Propheten als Kriegsherr hinterfragt.
Solche Kritik findet Gehör. Sie ist allerdings nicht berechtigt. Sie zeigt vor allem auf, was auch das Ziel der islamistischen Terroristen ist: Einen Spaltung zwischen Christen und Muslimen zu erzeugen, die durch eine Angst vor dem Islam genährt wird.
Demgegenüber haben islamische Vertreter und Einrichtungen auf der ganzen Welt sich klar von den terroristischen Aktivitäten distanziert und ihr Mitgefühl gegenüber den Betroffenen ausgedrückt. Der Großmufti von Ägypten spricht von einem Mangel an religiöser Bildung bei den islamistischen Terroristen. (Vgl. DER STANDARD, 16.11.2015) Ihre extremistischen Interpretationen des Islam würden in der Realität keine Basis haben. Sie hätten keinerlei Qualifikation, Moral und Religionsgesetze zu deuten. Sie wurden in keiner der autorisiert-islamischen Bildungseinrichtungen ausgebildet.

Wider die Versuchung zu einem nationalistischen Denken mit christlicher Verbrämung
Rechts-nationalistische Parteien in Europa wählen mit Berufung auf die Verteidigung des christlichen Abendlandes eine Kriegsrhetorik. In Frankreich die Front National unter Marine Le Pen, in Ungarn Viktor Orban und nun in Polen die neue Regierung. Hier passt auch der Aufschwung der FPÖ unter HC Strache dazu. Man warnt vor dem Islam, man rüstet auf, man baut die Mauern mit Stacheldraht, man schürt die Angst.

Wider die Versuchung, Hass mit Hass zu beantworten
Die folgenden Worte stammen vom französischen Journalisten Antoine Leiris, dessen Frau im Alter von 35 Jahren beim Terroranschlag auf das Bataclan ermordet worden war: „Am Freitagabend habt Ihr mir das Leben eines außergewöhnlichen Menschen geraubt, die Liebe meines Lebens, die Mutter meines Sohnes, aber meinen Hass, den bekommt Ihr nicht. Ich weiß nicht, wer Ihr seid, und ich will es auch nicht wissen, denn Ihr seid tote Seelen. Wenn dieser Gott, für den Ihr so blind mordet, Euch nach seinem Ebenbild erschaffen hat, dann hat jede Kugel im Leib meiner Frau auch sein Herz verletzt. Deshalb nein, ich werde Euch jetzt nicht das Geschenk machen, Euch zu hassen. Sicher, Ihr habt es genau darauf angelegt – doch auf diesen Hass mit Wut zu antworte, das hieße, sich derselben Ignoranz zu ergeben, die aus Euch das gemacht hat, was Ihr seid. Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich meine Mitbürger mit Argwohn betrachte und meine Freiheit für meine Sicherheit opfere. Vergesst es. Ich bin und bleibe, der ich war.“ Nachdem er die Leiche seiner Frau identifiziert hatte, schrieb Antoine Leiris weiter: „Wir sind zu zweit, mein Sohn und ich, aber wir sind stärker als alle Armeen dieser Welt. Ich habe auch nicht mehr viel Zeit für Euch, denn ich muss zu Melvil gehen, der gerade aus seinem Nachmittagsschlaf erwacht. Er ist noch nicht einmal 17 Monate alt, er wird jetzt eine Kleinigkeit essen wie jeden Nachmittag, und dann werden wir miteinander spielen, auch wie jeden Tag, und dieser kleine Junge wird für Euch sein Leben lang ein Affront sein, weil er glücklich sein wird und frei. Denn, nein, auch seinen Hass werdet Ihr nie bekommen.“ (Zit. in: DER STANDARD, 21.11.2015) Unter den vielen Kommentaren und Berichten, Analysen und Artikeln, die ich in den letzten Tagen seit der Terrornacht von Paris gelesen habe, haben mich diese Worte wohl am meisten berührt. Sie sind für mich die Realisierung des Gebotes der Feindesliebe. Sie drücken die unbesiegbare Hoffnung aus, dass am Ende die Gewaltfreiheit stärker als jede Gewalt sein wird, dass Gewalt nicht mit Gegengewalt und blindwütiger Hass nicht mit Rache beantwortet werden muss. Trotz aller Tragik liegt in den Worten von Antoine Leiris der Glaube an eine Auferstehung jenseits der Brutalitäten dieser Welt. Hier wird auch spürbar, wie der Glaube an Auferstehung im ganzen Schrecken nicht zur Verzweiflung führt. Antoine Leiris weiß, so schreibt er, dass ihn seine Frau an jedem Tag begleiten werde, und ebenso gewiss sei er, dass sie sich in einem Paradies der freien Seelen wiedersehen würden – in eben dem Paradies, zu dem die Terroristen, die er dabei direkt anspricht, niemals Zutritt haben könnten. Das klingt so anders als die Kriegsrhetorik von Präsident Hollande.

 

Klaus Heidegger, 21.11.2015

Kommentare

  1. Lieber Klaus, danke für deinen Text. Anstelle des Wortes islamistischen oder ähnlicher wortverbindungen schlage ich vor, das Wort Pseodoislam zu verwenden. Es macht deutlicher, dass es sich auch nicht annähernd um Islam handelt.
    LG
    M.S.

  2. Also vom 3. Weltkrieg als Terrorkrieg, hat bereits Präsident Richard Nixon gesprochen, da die Geheimdienste diesen Krieg ja bereits seit Jahrzehnten führen. (Siehe Buchliste von Richard Nixon.) Papst Franziskus ist es auch der bereits in seiner kurzen Amtszeit sehr oft von der Gefahr spricht, die von der Waffenproduktion in den westlichen Industrieländern ausgeht. Die Doppelmoral ist doch eindeutig an einem beweisbaren Phänomen nachvollziehbar, nämlich dem Umstand, dass die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates zu den größten Waffenproduzenten auf dem Globus zählen. Das ist doch jenes Paradoxon, das die Politiker vorrangig beschäftigen müsste. Es ist doch nicht weit hergeholt, wenn man annimmt, dass damit die UNO auch gleichzeitig den informellen Sektor bildet, der sich als Umschlagplatz für den internationalen Waffenhandel anbietet. Es ist vielleicht schon 10 Jahre her, als es in der österreichischen Tageszeitung derStandard eine Abbildung zu finden war, in welcher die Waffenlieferungen von den Industriestaaten in den nahen und mittleren Osten dargestellt wurden. Wenn es einen Satz von Adolf Hitler gibt, welcher der Wahrheit am nächsten kommt, dann ist es einer den er als Motivation für den Krieg zu seinen Generälen gesprochen hat: „Es gibt sehr viele Waffen auf dieser Welt, lasst uns die ersten sein die sie benutzen.“

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