Sebastian Kurz und sein Verständnis für die Politik Orbáns

26c_lazarusQuasi am Vorabend der Abstimmung über die EU-Flüchtlingsquote in Ungarn meinte der österreichischen Außen- und Integrationsminister  in einem Interview, man müsse für den Nationalismus und die Flüchtlingspolitik in osteuropäischen Ländern doch Verständnis haben. (Tiroler Tageszeitung, 1.10.2016) Verständnis dafür, dass der ungarische Staatschef mit einer Angst-Propaganda gegen Migranten und Flüchtlinge vorgeht und „Migration als Gift“ bezeichnet, die Terrorismus nach sich ziehe? Verständnis für seine islamophoben Äußerungen, wonach die „muslimischen Einwanderermassen“ die christliche und nationale Identität der Völker Europas zerstören würden? Verständnis für die meterhohen Stacheldrahtzäune an der ungarischen Grenze zu Serbien und Kroatien? Verständnis für einen Mann, der lauthals eine Massenausweisung von Einwanderern aus der EU fordert und Flüchtlinge lieber in Massenlagern irgendwo in Libyen sehen möchte. Verständnis für einen EU-Staatschef, der die Solidarität innerhalb der EU zur Verteilung der Flüchtlinge mit einem Referendum torpediert? Für Orbán sind selbst 1300 Flüchtlinge zu viel, die laut geplantem Verteilungsschlüssel in Ungarn Schutz finden sollten. Kurz übt lieber Kritik an Merkel als an Orbán und signalisiert, dass die EU nicht länger an einer Verteilung von Flüchtlingen festhalten solle.

Sebastian Kurz wird bereits als künftiger ÖVP-Obmann und Spitzenkandidat bei den kommenden Nationalratswahlen gehandelt. Ist das die neue Richtung einer Partei, die sich einmal auf christliche Grundwerte berufen hat? Der österreichische  Außenminister wurde zum Paten der geschlossenen Balkanroute und nähert sich Tag für Tag in der Flüchtlingsfrage der FPÖ. So ganz anders als die „alte“ Riege der ÖVP – von Busek über Karas und Fischler – verbeißt er sich jede Kritik an Norbert Hofer und gibt die Linie der neuen VP vor, keine Wahlempfehlung für Van der Bellen abzugeben. Es drängt sich der Verdacht auf, dass sich der Star der neuen ÖVP eine Koalition mit der FPÖ nicht verbauen wolle. Die ÖVP, die stets so vehement für eine Integration im Rahmen der EU eingetreten ist, wo bleibt sie, wenn nun ihr neuer Star die Grundbeschlüsse infrage stellt?  Der Beschluss, 130.000 Flüchtlinge innerhalb der EU gerecht zu verteilen, kann nicht von einem Mitgliedsstaat einfach aufgehoben werden

Die Botschaft der Sonntagsevangelien in den letzten Wochen scheint für die Politik von Sebastian Kurz keine Rolle zu spielen. Immer wieder fordert Jesus im Lukasevangelium dazu auf, aus der Perspektive der Armen und Verarmten, der Notleidenden und Opfer von Ausbeutungsverhältnissen zu denken und zu handeln. Da war die Gleichnisrede vom reichen Mann, der namenlos ist, und vom armen Lazarus, der den Namen „Gott hilft“ bekommt. Derjenige, der vor den Toren liegt, soll zum Fokus der Anstrengungen werden. In der Erzählung von Jesus sind es die Tore des Reichen, die dem Lazarus verschlossen bleiben. Heute sind es die Tore Europas, vor denen die Flüchtlinge scheitern. Im Sonntagsevangelium der katholischen Kirche, das am Tag des ungarischen Referendums gelesen wurde, fordert Jesus die Apostel und Apostelinnen dazu auf, sich in die Situation der Ausgebeuteten zu versetzen, derjenigen, die Sklaven und Sklavinnen von ungerechten Wirtschaftsverhältnissen geworden sind.

Sebastian Kurz jedenfalls hat diese Perspektive nicht. Statt solidarischer Aufnahme von Flüchtlingen fordert er rigorose Abwehr mit dem euphemistischen Begriff vom „Schutz“ der Außengrenzen.

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