Dylan statt Trump

 

mastersofwarIn diesen Tagen tut es gut, die Aufmerksamkeit darauf zu legen, dass die USA so viel größer sind als Donald Trump und Hilary Clinton. Der Fokus der internationalen Aufmerksamkeit legt sich zumindest kurzfristig auf Bob Dylan, der am 13. Oktober den Literaturnobelpreis zugesprochen bekam. Diese Aufmerksamkeit sollte auch aus religiöser Perspektive gelten. Für mich als Religionslehrer sind die Songs und das Leben von Dylan stets eine Quelle der Inspiration im Unterrichtsgeschehen.

Dylan war ein religiös Suchender, der sich zugleich nicht in religiöse oder kirchliche Schablonen pressen lässt. Mehrmals hat er die Grenzziehungen von Religionsgemeinschaften oder Kirchen überwunden. Bob Dylan, geboren als Robert Allen Zimmerman in Duluth, Minnesota und aufgewachsen in Hibbing, Minnesota, spiegelt in vieler Weise auch die bunte religiöse Welt der USA wider. Er wuchs in einer gläubigen jüdischen Familie auf und hatte mit 13 die Bar Mitzvah. Immer wieder hat Dylan zugleich seine religiösen Ansichten und Zuordnungen geändert. Das Jahr 1979 markiert seine Zuwendung zum Christentum. Manche seiner Fans aus dem agnostischen oder atheistischen Eck waren enttäuscht. Dylan dazu: „I don’t think I’ve been an agnostic. I’ve always thought there’s a superior power, that this is not the real world and that there’s a world to come.” Musik war freilich seine Spiritualität und eine Beheimatung in einer bestimmten christlichen Kirche fand er nicht.  Seine Söhne wuchsen in die jüdische Gemeinschaft hinein.

Vor allem aber wurde Bob Dylan mit seiner „Literatur-Musik“ ein Sprachrohr für jene, die sich beginnend mit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts in den sozialen Bewegung engagiert hatten: der Friedensbewegung gegen den Vietnamkrieg und gegen die atomare Aufrüstung sowie der Bürgerrechts- und Anti-Apartheidbewegung.  Mögen manche seiner religiösen Ansichten aus theologisch-aufgeklärter Perspektive kritikwürdig sein, weil sie in das schillernde Spektrum neu-christlicher US-amerikanischer Bewegungen passen, so atmet doch sein politisches Engagement und Gespür zutiefst das Kernanliegen jeder Religion:  ein Aufschrei gegen Gewalt und Ungerechtigkeiten, ein Plädoyer für Gewaltfreiheit und die Option für jene, die am Rand der Gesellschaft stehen. Möge sein Song “The Times They Are A Changin‘“ (1964) gerade mit Blick auf den unerträglichen Wahlkampf in den USA in Erfüllung gehen.  Möge eine neue Zeit kommen und die alte Welt mit ihren Zerstörungen vergehen. Möge in Erfüllung gehen, dass die jetzigen Verlierer die Gewinner und die Letzten die Ersten sein werden, möge sich die zerstörerische Ordnung des Neokapitalismus auflösen. Heute, am ersten Tag nach der Nobelpreisverleihung, brauchen wir seinen Song „Blowin‘ in the Wind‘“ noch mehr als vor einem halben Jahrhundert.  Ich trage die Melodie und die Lyrics in meinem Herzen und werde sie den Schülern und Schülerinnen vorspielen:
„ How many roads must a man walk down
Before you call him a man?
How many seas must the white dove sail
Before she sleeps in the sand?
Yes, and how many times must the cannonballs fly
Before they are forever banned?
The answer, my friend, is blowin‘ in the wind
The answer is blowin‘ in the wind …”
Die Schwedische Akademie hat mit ihrem Preis verstanden, was unsere Welt heute braucht.

Klaus Heidegger, 14.10.2016