Hl. König Stephan I. oder Hl. Elisabeth – Impressionen aus Budapest

Die grausame Hand des Hl. Stephan

Die größte Kirche Budapests ist nach ihm benannt. Seine Krone ziert seit der Machtübernahme durch Fidesz das ungarische Staatswappen und befindet sich im Parlamentsgebäude. Keine andere Person wird im ungarischen Nationalismus mehr instrumentalisiert. König Stephan I., der Herrscher aus dem Jahr 1000, der Zwangstaufen verordnete, der mit Brutalität und Gewalt das erste ungarische Königreich schuf, der aus Machtinteresse nicht davor zurückschreckte, seinen Vetter blenden zu lassen und in dessen Ohren Blei gießen ließ. Ungeachtet dessen wurde der erste ungarische König vom Papst bald nach seinem Tod heiliggesprochen. Das ungarische Königshaus war nützlich für die Machtinteressen des Papstes. Heute ist er nützlich für das Narrativ eines christlichen Abendlandes und damit für eine Abwehr von all dem, was als „nicht-christlich“ definiert wird. Heiden, Juden oder Muslime. Ein Gemälde in der Matthias-Kirche auf dem Budapester Schlossberg zeigt ihn, wie er mit Ritterrüstung im Kampfgetümmel Menschen aufspießt. König Stephan steht für die schlimmste unheilige Allianz: der Verbindung von Kreuz und Schwert. Mir graut, als ich seine rechte Hand als Reliquie in einem kostbaren Schrein in einer Seitenkapelle der Stephanskirche sehe. Stephans Hand, die gemordet hat und morden ließ, soll seit 1000 Jahren nicht verrottet sein. Wie wahr: Heute gibt es viele Hände, die wie Stephans Hand sind.

Jüdische Geschichte in Budapest

Bei den Streifzügen durch Budapest begegnet uns die jüdische Geschichte. Über Jahrhunderte haben Juden und Jüdinnen das Magyaren-Land geprägt und wurden immer wieder verfolgt. Die faschistische Regierung Ungarns war zur Zeit des Zweiten Weltkriegs auf Seiten der Nationalsozialisten. Während der Nazizeit sollen 400.000 ungarische Juden und Jüdinnen in die Vernichtungslager deportiert worden sein. Heute erinnern Gedenkstätten daran: Eine Trauerweide vor der großen Synagoge in Budapest und die Messingschuhe am Ufer der Donau. Sie befinden sich dort, wo Juden und Jüdinnen 1944 von den faschistischen Pfeilkreuzlern erschossen worden sind. Ein Denkmal in der Nähe unserer Unterkunft im ehemaligen Judenviertel erinnert auch an die andere Seite von Budapest. Raoul Wallenberg, ein schwedischer Diplomat, und Károly Szabó, konnten mit ihrem Mut und Tricks 154 Juden retten. Heute gibt es in Budapest mit 100.000 bis 150.000 Juden und Jüdinnen eine der größten jüdischen Gemeinschaften. Im jüdischen Viertel, in dem wir wohnen, gibt es noch drei Synagogen, unter ihnen die größte von Europa. Antisemitismus ist in Polen wieder aktuell.

Islamisches Ungarn

Dass Europa nicht nur ein christliches Europa ist, zeigt die Geschichte Ungarns. Muslime haben um die Jahrtausendwende  die Stadt Pest wirtschaftlich bestimmt. Bereits Ludwig der Große begann aber in kriegerischen Aktionen die Türken abzuwehren. Mit Berufung auf Maria, die er auf einer Fahne darstellte und in Zell zum Opfer brachte – hier liegt die Gründungsstunde von Mariazell – gelang es ihm, siegreich gegen die Türken zu sein. Mitte des Jahrtausends waren Muslime über 150 Jahre die Herrscher über die heutigen ungarischen Gebiete. Einige der Hauptkirchen wurden Moscheen. Die Matthias-Kirche war von 1541-1686 Eski-Moschee. Ende des 17. Jahrhunderts begannen dann die sogenannten „christlichen“ Herrscher mit der Re-Christianisierung. Und wieder soll die Heilige Jungfrau beim blutigen Treiben ihre Finger im Spiel gehabt haben. Die Herrschaft der Muslime wurde beendet. Re-Christianisierung in Zeiten des Hochmittelalters. Solcher Geist ist lebendig geblieben, wenn ich heute Berichte über Jobbik- oder Fidesz-Politiker höre, die ihrerseits mit den österreichischen Rechtspopulisten gut verbündet sind und zur Verteidigung des „christlichen Abendlandes“ antreten. Ungarn zeigt aber: Dieses Europa ist christlich und jüdisch und islamisch geprägt. Es ist ein multireligiöses und multikulturelles Europa. Heterogenität macht die Buntheit dieses Kontinents aus.

Heilige Elisabeth

Das weibliche Gegenstück zu König Stephan ist die Heilige Elisabeth. Ihre Geschichte ist anders als jene von König Stephan. Obwohl aus hohem ungarischen Adel, sieht Elisabeth die Not der Menschen und teilt grenzenlos. Die Glasfenster in der Matthias-Kirche erinnern an ihre Legenden. Beispielsweise jene von der Begegnung mit der Bettlerin. Als Elisabeth von der Bettlerin in den Dreck gestoßen wurde, sei sie nicht wütend geworden, sondern habe sich einfach den Schmutz von ihren Kleidern gewischt und der Bettlerin zu verstehen gegeben, dass sie sie trotzdem liebe. Elisabeth steht wohl für jenes christliche Europa, das auf Gewaltfreiheit und einer Option für die Armen baut und damit wirklich den jesuanischen Grundhaltungen entspricht.

Klaus Heidegger, 11. Dezember 2016