Spiegeltuxer und seine christlich-politische Neuinterpretation

In Absam findet heute der große Matschgererumzug statt. Alle vier Jahre ist dies das größte und aufregendste Ereignis in meinem Heimatdorf, auf das sich die Vereine – vor allem aber die Matschgerer – seit vielen Monaten vorbereitet haben. Bei diesen Umzügen gibt es eine ganz besondere Figur: Der Spiegeltuxer. Wir finden diese Figur bei ähnlichen Umzügen in den MARTHA-Dörfern wie bei den Mullerern in Thaur oder Rum oder auch in vielen anderen Dörfern Tirols. Es ist die prächtigste und teuerste Figur. Sie gilt als der „König der Fasnacht“. Wann immer ein Spiegeltuxer im Fasnachtsgeschehen kommt, steht seine Gestalt im Mittelpunkt und alle anderen unterwerfen sich seinem Auftreten. Die dunklen Figuren des Winters machen Platz für das Licht. Um den großen Spiegeltuxer herum tanzen die normalen Tuxer, welche ihn bis zum Ende des Auftritts begleiten. Die Maske hat einen Aufbau von bis zu 120 Zentimeter. Im Zentrum ist ein Spiegel, rundherum sind dann kreisförmig Verzierungen, unzählige Blumen und außen ein Kranz mit weißen Hahnenfedern angebracht.

Der Spiegel lässt eine doppelte Deutung zu. Zum einen soll den Dämonen des Winters ihre Hässlichkeit und Grausamkeit gezeigt werden. So sollten die Dämonen durch ihre eigene Abschreckung vertrieben werden, um dem Frühling Platz zu machen. Wir könnten es auch als Selbsterkenntnis und Umkehr deuten. Das Böse erkennt selbst seine Bosheit und lässt ab vom Bösen.

Zum anderen haben Spiegel aber auch noch eine weitere Funktion. Mit ihrem großen Spiegel und vielen kleinen Spiegeln will der Spiegeltuxer auch den kleinsten Lichtstrahl auffangen und dieses Licht auf die Menschen und die Welt zurückwerfen. So bringt er in die heller werdenden Tage des Februars noch mehr Licht und will das Dunkle vertreiben.

Eine christliche Deutung oder Neuinterpretation des alten Brauchtums kann gewagt werden und legt sich nahe. Als Christinnen und Christen können wir dazu beitragen, das Licht Jesu Christi widerzuspiegeln und so das Böse in die Schranken zu weisen und ins Gute zu verwandeln. Das Böse wird nicht bekämpft auf der Basis von Gewalt-Gegengewalt, sondern durch einen Ausstieg aus den mimetischen Zirkeln, indem göttliches Licht in dieser Welt durchscheinen kann. Wir können Licht – auch göttliches Licht – in diese Welt bringen, wenn sich in uns Göttliches widerspiegelt.

Wenn es dem Spiegeltuxer darum geht, mit seinem Spiegel die „bösen Geister“ zu vertreiben, so assoziiere ich politisch-ökologisch denkend an viele Entwicklungen in unserer Welt und Gesellschaft, beispielsweise an die Zerstörung der Umwelt durch klimaschädliches Verhalten und Ausbeutung der Ressourcen. Da wünschte ich mir ein Auftreten des Spiegeltuxers auf der Inntalautobahn, wo Tag für Tag der Individual- und LKW-Verkehr zunimmt. Da wünschte ich mir nicht das permanente Dröhnen von Flugzeugen, sondern ein wütendes Peitschenknallen angesichts der ökologischen Unvernunft und dem egoistischen Streben nach Spaß und Genuss. Ich möchte den Matschgererumzug in die Herrengasse in Wien umleiten, damit das neue „Sicherheitspaket“ seine menschen- und demokratiefeindliche Fratze zeigt.

Jesus Christus ist eine Art Spiegeltuxer, auch wenn er in unserer Ikonographie keine Hahnenfedern trägt, sondern einen goldenen Nimbus, der göttliches Licht versinnbildlicht. Er ist unser König, mit dessen Hilfe es gelingen kann, die Bären zu bändigen, dem die Tuxer und andere Gestalten huldigen. Er ist unsere Frühlingsfigur, die den Winter dieser Welt in Wärme und Licht verwandeln kann. Auch Jesus hält uns immer wieder barmherzig den Spiegel entgegen, in dem wir uns selbst in einer Weise wahrnehmen können, sodass wir umkehren und neu beginnen können, damit Frühling und Sommer in die Welt kommen können. Wenn Christus  – wie der Spiegeltuxer bei den Umzügen – die Mitte in einem dörflichen Leben ist, dann wird Frühling werden.

Klaus Heidegger, 12.2.2017