#AndereMänner

Sex sells

Genüsslich delektieren sich seit Wochen Boulevardmedien über Sexgeschichten angeblich oder tatsächlich übergriffiger Männer. Es ist furchtbar und verwerflich, was etwa der Hollywood-Regisseur Harvey Weinstein Frauen angetan hat. Ich will aber gar nicht genau wissen, welche Übergriffe und Anwendungen sexueller Gewalt es gegeben hat. Bei Berichten, die schon zum Pornogenre zählen könnten, hört meine Aufmerksamkeit auf und der Verdacht erhebt sich, dass damit eher die Auflagenstärke eines Mediums gesteigert werden soll, als dass es um die Sache geht. Die Anschuldigungen der Opfer sollen Angelegenheiten der Gerichte sein, nicht aber Stoff für sensationslüsterne Berichterstattung. Es ist gut, dass die Opfer anklagen, dass sie aufdecken und verurteilen und andere Opfer dabei ermutigen, nicht länger zu schweigen. #MeToo ist wichtig für die Opfer. #MeToo ist wichtig gegen eine sexistisch geprägte Kultur, in der Männer zu Tätern und Frauen zu Opfern werden.

Differenzierungen sind nötig

Ein Pograpscher ist verwerflich. Ein geiler Pfiff eines Mannes oder das Anstarren bestimmter Körperteile oder sexistische Witze – all das soll und darf nicht sein und ist doch nicht gleichzusetzen mit sexuellen Übergriffen oder gar sexueller Gewalt. Pograpscher gehören angezeigt, Missbrauch gehört aufgedeckt und geahndet, Vergewaltiger sollen strafrechtlich verurteilt werden. In der medialen Berichterstattung freilich fehlen dann vielfach Differenzierungen. Längst vergangene, eingestandene und vielleicht auch zwischen den Beteiligten aufgearbeitete Geschichten von sexuellem Fehlverhalten werden auf eine Stufe mit Weinstein & Co gesetzt. Damit wird die schlimmste Gewalt an Frauen verharmlost.

 Gegen öffentliche Pranger

Was immer ein angeklagter Mann getan oder nicht getan hat, soll Sache der Gerichte oder der Gleichbehandlungskommissionen sein und ist nicht Materie öffentlicher Spekulationen. Die Öffentlichkeit ist nicht das Gericht. Der Pranger gehört einer Zeit an, die wir längst überwunden haben sollten. Es gilt auch das Recht des Angeklagten, vor Vorverurteilungen, unbewiesenen Behauptungen oder Diffamierungen geschützt zu werden.

Sexistische Kultur

Als Mann muss ich mich nun gegen ein Bild wehren, das mich als Mann automatisch gefährlich für Frauen macht. In manchen Vorstellungen des Islams wird ein solches Bild verstärkt. Eine Frau möge sich bedecken, um sich vor den lüsternen Blicken der Männer zu schützen. Ein Mädchen dürfe nicht in Schwimmbäder, weil da eben auch Burschen sind. Man könnte meinen: Der Mann ist ein potentielles Sexmonster. Dabei ist es wohl eher der grassierende Sexismus und eine Macho-Sexkultur, auf deren Boden sexuelle Schandtaten geschehen können. Welches Bild zeichnen Boulevardmedien beispielsweise von Frauen? Die „Krone“ jedenfalls preist täglich auf Seite 5 die Ware Frau an, halb- oder ganznackt. Versehen mit einem dumm-lasziven Spruch, räkelt sich eine Frau auf eine Art und Weise, als würde sie die geilen Blicke der Männer geradezu auf sich lenken wollen. Vor allem Autowerbungen bedienen sich eines Bildes, als könne man die Frau gleich zum Auto dazukaufen. Frauen werden über ihr Aussehen, nicht aber über ihre Intelligenz Fähigkeiten definiert. Machtverhältnisse – ob in Wirtschaft oder Politik – zementieren eine Kultur, in der Männer Macht ausüben können. Solche eintrainierte Machtausübung endet dann so manches Mal eben nicht vor der Schlafzimmertür. Die männerbündische Ideologie der Burschenschafter – so schreibt beispielsweise Hans-Henning Scharsach – bedeute eine „Verfügungsgewalt“ der Männer über die Frauen. Männer sollen den Frauen Schutz geben, Frauen sollen den Männern dienen. Scharsach zitiert das Männerbild eines FPÖ-Abgeordneten, der erst kürzlich wieder im Parlament einzog, wie folgt: Frauen seien vom „Nestbauinstinkt“ geprägt und „suchten den Löwenmann, der dann im Nest sitzen soll“. Das wolle der Löwenmann aber nicht, „denn Alphatiere sind – wie im Tierreich – oft polygam und haben den Drang, den eigenen Samen weit zu verbreiten.“

Von der politischen Instrumentalisierung sexueller Übergriffe

Es ist jedenfalls seltsam, wie just zu politisch sensiblen Zeiten Dinge an die Öffentlichkeit gespielt werden. Warum wird Peter Pilz gerade wenige Tage vor seinem Einzug ins Parlament hinausgeschossen? Warum wird nun so plötzlich Mesut Onay aus dem Innsbrucker Gemeinderatsklub ausgeschlossen? Was hier geschieht, von wem immer diese Geschichten lanciert, breitgetreten, inszeniert, negiert, entschuldigt, aufgebauscht, verharmlost, weggewischt, herumgedeutet, erfunden, verharmlost werden, es schadet jedenfalls nicht nur einer politischen Partei massiv, sondern auch der Politik und der Republik und der Gesellschaft insgesamt. Man muss sich freilich fragen: Cui bono? Wem nützt das Ganze? Den Opfern wohl nur sekundär.

Inszeniertes Ablenkungsmanöver

In diesen Tagen steht die Republik Österreich aufgrund der türkis-blauen Koalitionsverhandlungen vor einer der größten Veränderungen seit der Unabhängigkeit. Es geschieht eine „stille Machtergreifung“. Die Hälfte der Ministerien soll in den nächsten Wochen burschenschaftlich bestellt werden. Österreich sollte darüber diskutieren, wie dieser Umbau unserer Politik geschieht, welche Kürzungen sind im Sozialbereich vorgesehen, welche Verletzungen grundlegender Menschenrechte in der Asylfrage werden festgeschrieben, welche Pläne zur Änderung der Verfassung hin zu einer Plebiszit-Diktatur werden überlegt, wie werden bewährte sozialpartnerschaftliche Instrumentarien ausgehebelt? All diese Fragen sind wichtig – wichtiger jedenfalls als eine Debatte darüber, ob es weiterhin ein Rauchverbot in Gasthäusern geben soll. Die großen Fragen der Menschheit – egal ob Klimawandel oder das tägliche Sterben tausender Menschen in den Hungergebieten – treten in den Hintergrund. #MeToo-Sexgeschichten dürfen solche Fragen nicht verdrängen, nur weil Menschen es eben nicht gerne hören und lesen, dass wir nur mehr 20 Jahre Zeit haben, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu stoppen.

Burschen und Männer sind anders

Täglich haben wir alle mit Burschen und Männern zu tun, die so weit weg sind von jenem Bild, das durch die Untaten mancher Männer entstanden sind: Väter, die sich liebevoll um ihre Kinder kümmern und sich vor der Haus- und Kinderarbeit längst nicht mehr drücken. Partner, die ihre Frauen treu und fürsorglich lieben. Burschen, die zwar flirten, nie und nimmer aber auf die Idee kämen, ein Nein eines Mädchens zu ignorieren. Männer, die sich verlieben, ohne besitzen zu wollen. Männer, die den Frauen mit Respekt begegnen und Männer, die Seite an Seite mit den Frauen für eine Gesellschaft kämpfen und leben, in der Mädchen und Frauen die gleichen Rechte haben wie Männer und wo sich Mädchen und Frauen nicht mehr fürchten müssen, wenn sie nachts alleine auf die Straße gehen.

Jesus, der andere Mann

Als Religionslehrer und Vorsitzender der Katholischen Aktion denke ich bei all dem an einen ganz besonderen Mann und nehme ihn mir zum Vorbild: Jesus von Nazareth. Er wusste, wie gefährlich es ist, sich für die Frauen einzusetzen, die zu seiner Zeit Opfer sexueller Gewalt wurden. Er nahm die Sexsklavinnen in Schutz und viele von ihnen wurden Teil der Jesusbewegung. Er suchte religiöse und gesellschaftlich-politische Diskurse mit Frauen und sträubte sich nicht dagegen, wenn sie klüger als er selber waren. Er berührte liebevoll und absichtslos die Frauen und ließ sich von ihnen liebevoll berühren. Er deckte die Diskriminierungen auf und beendete die Ausgrenzung von Frauen aus dem gesellschaftlichen und religiösen Leben. Jesus würde heute wohl Frauen, die Opfer sexueller Gewalt wurden, zu einem Hashtag-Tweet auf #MeToo ermuntern, zugleich würde er aber wohl auch all jene Männer bestärken, ihre Männlichkeit ganzheitlich, zärtlich und stark zu leben, weder unterwürfig noch herrschaftlich.

Klaus Heidegger, 14. November 2017