Die nie gehaltene Widerrede von Markus Abwerzger

Der ORF-„Tirol heute“-Beitrag über eine Wahlkampfveranstaltung der Freiheitlichen im Olympischen Dorf in Innsbruck am 8. Februar war gleich mehrfach apokalyptisch im Sinne von aufdeckend. Da wagt es jemand vor laufender Kamera das Unsägliche zu sagen. Warum nur traut sich in der Atmosphäre der Freiheitlichen der „stinkende Antisemitismus“ an die Öffentlichkeit? Glaubte der alte Mann etwa Verständnis bei den Tiroler FPÖ-Funktionären Abwerzger und Federspiel zu finden? Er sei militärisch bei der Hitlerjugend ausgebildet worden, da habe es noch Zucht und Ordnung gegeben, brüstete sich der sichtlich hasserfüllte 86-Jährige. Spätestens da schon hätte ein schlagfertiger Politiker wie Abwerzger die rhetorisch rote Karte ziehen müssen. Er ist ja nicht auf den Mund gefallen, wenn es darum geht, seine Erzfeinde anzugreifen, seien es die „Gutmenschen“ oder die „linke Jagdgesellschaft“. Wartet Abwerzger nun darauf, dass gesagt wird, was von den Freiheitlichen landauf landab auf ihren Wahlkampfplakaten propagiert wird: Dass Tirol im „Asylchaos“ versinke, dass Unsicherheit herrsche, dass die Kriminalität gestoppt werden müsse usw. usf.? Wartet er darauf, dass die Stimme des Volkes sich erhebt, auf die er sich so gerne beruft? Abwerzger nickt und lässt reden. Ein Anwalt, dem nun keine Worte mehr einfallen? Spätestens nach dem ersten Satz hätte er dem Mann widerreden müssen. Würde einer meiner Schüler solche Äußerungen machen, es bliebe nicht bei einer harmlosen Antwort von „das soll man aber auch nicht sagen“. Angesichts der grauenvollen Worte müsste der Widerspruch heftig sein und selbst jene, die nicht Jura studiert haben, wissen: Das waren Äußerungen gegen die Verbotsgesetze nationalsozialistischer Wiederbetätigung. Abwerzger hätte spätestens hier zur Gegenrede ansetzen müssen und ich bin überzeugt, der ORF hätte es gebracht, wenn er gesagt hätte:

„Was Sie jetzt daherbringen, ist gegen die NS-Verbotsgesetze der Republik Österreich. Als Anwalt muss ich Sie davor warnen. So dürfen nie mehr Juden und Jüdinnen beleidigt werden. Solche Worte über das jüdische Volk zu verwenden, ist zutiefst verwerflich. Und lassen Sie auch die Kirche aus dem Spiel. In unseren Kirchen und auf den Berggipfeln hängen und stehen die Kreuze, die daran erinnern: Der Jude Jesus wurde umgebracht, weil er als Jude für das Reich Gottes gelebt und gekämpft hat. Sie schmähen mit Ihren Worten auch Jesus. Er verkündete die Botschaft der Gewaltfreiheit, die so gar nicht zu Ihrer militärischen Ausbildung in der Hitlerjugend passt. Ja, der Gegensatz könnte nicht größer sein. Es erfüllt mich als Politiker mit Entsetzen, wenn es heute noch Menschen gibt, die so denken und reden wie Sie. Die Kirche, mit der Sie Ihren Antisemitismus auch noch rechtfertigen möchten, hat sich zum Unterschied von Ihnen längst für den vergangenen christlichen Antijudaismus entschuldigt. Wer die Juden wie Sie beleidigt, beleidigt auch das Christentum. Mir gefallen die Worte von Kardinal Schönborn, der einmal meinte: ‚Wer Christ sein will, muss sich der jüdischen Wurzeln seines Glaubens bewusst sein, muss sie lieben und hochschätzen.‘ Von Ihnen möchte ich jedenfalls nicht gewählt werden. In unserer Partei haben Menschen mit nationalsozialistischem Gedankengut keinen Platz. Vielleicht gehen Sie aber nun besser da drüben in die Kapelle. Sie ist auf einen der wirklich großen Männer Tirols geweiht: Otto Neururer. Er ist übrigens Opfer jener Zucht-und-Ordnung-Ideologie geworden, die Sie gerade glorifiziert haben.“

Der ORF-Beitrag von „Tirol heute“ hätte, so bin ich überzeugt, diese Widerrede in voller Länge ausgestrahlt. So aber blieb das Cut, weil die schwache Antwort des FPÖ-Chefs letztlich nichtssagend war. Und wieder erleben wir seither das typische FPÖ-Spiel. Die Freiheitlichen stilisieren sich als Opfer von Journalistinnen und Journalisten. Die Opfer-Täter-Umkehr erinnert eins zu eins an jenen mächtigen Mann auf der anderen Seite des Atlantiks, der sich täglich neu als Opfer der Lügenpresse aufplustert. Weil Abwerzger als Politiker in diesem Fall selbst versagt hat, schiebt er die Schuld auf jene, die seine Unschlagfertigkeit aufgedeckt haben. Nicht der ORF müsste sich entschuldigen für diesen Beitrag, sondern Abwerzger hätte sich zu entschuldigen, weil er zu wenig scharf reagiert hat. Ein Jurist müsste den § 286 des StGB kennen, der die Unterlassung einer Verhinderung einer Straftat regelt. Würde er angewandt, hätte Abwerzger jedenfalls mehr tun müssen als nicken und freundlich zuhören und schwächlich widersprechen. Es mutet daher seltsam an, dass sich Helmut Krieghofer als ORF-Tirol-Chef nun von diesem Beitrag distanziert und seine Redakteurin kritisiert, anstatt der freiheitlichen Zensurstrategie zu entgegnen.

Als Theologe, Religionslehrer und Vorsitzender der Katholischen Aktion der Diözese Innsbruck hat mich in besonderer Weise empört, dass der Mann mit der Aussage „wie damals in der Kirche“ seinen rassistischen Sager auch noch mit Bezug auf die Kirche rechtfertigen wollte. Der christlich verbrämte Antijudaismus wurde im Zweiten Vatikanischen Konzil verurteilt und seither haben sich die Päpste immer wieder mit Worten und Zeichen gegen jegliche Form des Antijudaismus und Antisemitismus gestellt. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an Bischof Reinhold Stecher, dem es ein großes Anliegen war, im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Ritualmordlegenden die Wunden des christlichen Antijudaismus in unserem Land zu heilen. Heute werden in der theologischen Aus- und Weiterbildung, in der Verkündigung und im Religionsunterricht sowie in der interreligiösen Zusammenarbeit bewusst die gemeinsamen jüdisch-christlichen Wurzeln betont. Heute braucht es die klare kirchliche Widerrede überall dort, wo gruppenbezogene Menschenfeindlichkeiten genährt und artikuliert werden, sei es gegenüber Jüdinnen und Juden, gegenüber Muslimen, Asylsuchenden oder Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung. Gerade in Wahlkampfzeiten ist diesbezüglich höchste Sensibilität geboten. Es ist daher bedenklich, wenn auf einigen Wahlplakaten mit Angstparolen rhetorische Hetzjagd auf Asylsuchende oder Ausländer gemacht wird. Tirol hat eine andere Zukunft verdient. Ein Land, wo nie mehr Jüdinnen und Juden beleidigt, sondern in Schutz genommen werden. Ein Land, das sich dankbar des Widerstands von Männern und Frauen wie Schwester Autsch, Otto Neururer oder Jakob Gapp erinnert. Ein Land, in dem keine deutschnationalen Burschenschafterlieder gesungen werden, sondern Lieder des Friedens und der Versöhnung. Ein Land, wo Flüchtlingen die Chance auf eine neue Heimat gegeben wird. Ein Land, wo Menschen nicht mit Neidparolen aufeinander gehetzt werden, sondern in Frieden miteinander leben können. So etwas könnte dann ein wenig als „Heiliges Land“ bezeichnet werden.

Dr. Klaus Heidegger, 13. Februar 2018

Kommentare

  1. Danke Klaus für diesen wichtigen und klarstellenden Kommentar! Wenn wir nicht eindeutig und heftig gegen die schleichenden Anti-…-ismen Stellung beziehen, kann einem bange werden, was da so langsam an die Oberfläche unserer Gesellschaft schwimmt.

  2. Vielen Dank Herr Dr. Heidegger für diese überaus klaren Worte. Genau solche Botschaften sollten nicht nur in Tirol , sondern in ganz Österreich und darüber hinaus verbreitet werden, gegen diesen Hass und Neid, der auf politischer Seite permanent und massiv von der Freiheitlichen Partei plakatiert und gelebt wird und der leider durch die derzeitige Bundesregierung in keinster Weise eingebremst, sondern vielmehr von türkiser Seite noch gefördert wird. Christliche Werte sucht man leider vergebens.

  3. Schöner Text, der in der angesprochenen Situation sicher angemessen und korrekt gewesen wäre. Nur – abgesehen vom offensichtlich nicht vorhandenen Willen beider FPÖ-Protagonisten – würde ich weder beim alten noch beim jungen F-Funktionär Geld darauf verwetten, dass man intellektuell ausreichend bestückt ist um Gedanken dieser Art zu fassen und zu artikulieren. Sollte man bedenken, wenn’s um die Wahl eines Bürgermeisters oder eines Rechtsanwalts geht …

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