Gemüsebrühe oder Frankfurter mit braunem Senf, klirrende polare Kaltluft aus dem Osten und wertvolle Wahlen in Tirol

Die eine Partei verteilte fastenzeitgemäß Gemüsebrühe aus heimischem Wintergemüse, die andere lockte mögliche Wählerinnen und Wähler mit Würstl, Semmel und braunem Senf, die im Riesenwahlkampfbus zubereitet worden waren, der obendrein symbolträchtig ertappt wurde, als er an einem Radfahrstreifen parkte. Tirol hat die Wahl. Wenn am Sonntag der neue Landtag gewählt wird, stehen Werte am Prüfstand. Als Vertreter einer katholischen Organisation möchte ich aus der Perspektive meiner Kirche auf diesen wichtigen Tag blicken. Die Katholische Soziallehre mit ihren Grundprinzipien bietet gute Entscheidungshilfen, wenn sie entsprechend auf die konkrete Situation im Land Tirol angewandt werden.

Da ist zunächst der Wert der Demokratie, dieses Recht und diese Pflicht für alle Wahlberechtigten, mit der eigenen Stimme selbst über die Zukunft des Landes mitentscheiden zu können. Bei den letzten Landtagswahlen blieben zu viele der Wahlurne fern. 2013 lag die Wahlbeteiligung knapp über 60 Prozent. Als Beisitzer in einem Wahllokal meiner Heimatgemeinde werde ich wieder einen Tag lang miterleben können, wie sich jede Person, die in die Wahlkabine geht und ihre Stimme abgibt, von der Erstwählerin bis zum Greis, in diesem so entscheidenden Augenblick ganz wichtig wahrnehmen kann. 2018 erinnern wir uns daran, dass Frauen lange für ihr Wahlrecht kämpfen mussten. Auch in Tirol ist die Geschichte der Demokratie noch relativ kurz im Vergleich zu den Jahrhunderten absolutistischer Herrschaften, Adelsverwaltungen, Bevormundungen durch kirchlich-klerikale-königlich-kaiserliche Dominationen oder gar der faschistischen Diktatur. Freilich gibt es auch in unserem Land jene frühen demokratischen Wurzeln – sei es die Landesverfassung unter Michael Gaismaier oder die Versuche der Täuferbewegung unter Jakob Huter, selbst Kirche demokratisch zu gestalten. Würde Michael Gaismaier heute leben, er würde jedenfalls vom Wahlrecht Gebrauch machen – oder vielleicht würde er als Spitzenkandidat einer Partei antreten.

Die Sozialprinzipien der katholischen Kirche, wie ich sie als Religionslehrer mit meinen Schülerinnen und Schülern im Unterricht durchdekliniere, sind klar und bieten eine wertorientierte Entscheidungshilfe, um sich für eine der acht kandidierenden Listen zu entscheiden. Ganz oben, so die alte Lehre der Kirche, steht das Personprinzip. Jeder Mensch hat als Mensch – und nicht aufgrund von bestimmten völkischen Abstammungskonstruktionen – eine unbedingte Würde. Darauf bauen die Menschenrechte auf. Im Artikel 1 der Menschenrechtserklärung, deren 70. Jahrestag 2018 gefeiert wird, liest sich dies wie folgt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Wissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ Das ist so klar im Widerspruch zu völkisch-rassistischen Ideologien, wie sie auch in Österreich am Beispiel des Deutschnationalismus in letzter Zeit wieder neu im Gespräch waren. Das steht so klar im Widerspruch zum „Straßenantisemitismus“ und stinkenden Antijudaismus, der von populistischen Kräften genährt und instrumentalisiert wird. Artikel 1 der Menschenrechte und das Personprinzip der Katholischen Soziallehre haben im Kern die idente Aussage, die sich in meinen Gedanken materialisiert in der Frage: Was ist mit den Rechten der Flüchtlinge in Tirol? Können sie sich in unser Land integrieren oder müssen sie selbst bei einem positiven Asylbescheid bangen, dass ihr Recht in ein „Asyl auf Zeit“ umgewandelt wird? Bekommen sie – wenn sie im Asylverfahren sind – die nötige Unterstützung und menschenwürdige Lebensbedingungen? Am Tag vor der Wahl lässt jedenfalls der Vizekanzler dieser Republik stolz und groß in der Tageszeitung inserieren, was seine Partei in den letzten Wochen alles geschafft hat. Ganz oben auf der Liste der „Errungenschaften“: Verschärfung der Asylpolitik, Verschärfung des Strafrechts, Stopp der illegalen Migration, Kampf dem politischen Islam, Sicherheitsoffensive. Polarluft aus dem Osten, die auch im Westen Österreichs angekommen ist. Möge jedenfalls bald der Föhn kommen!

Auch wenn diese Fragen zunächst die Bundespolitik betreffen, so gilt heute mehr als sonst bei der Wahl des Landtags: Gewählt werden Parteien, die ihre Verknüpfungen in die Bundespolitik haben. Die Abstimmung zum Landtag ist auch eine Abstimmung über die Arbeit der gegenwärtigen Bundesregierung. Nicht von ungefähr tourten in den vergangenen Wochen in Tirol die Chefs der Bundesparteien, sofern es entsprechende Pendants in Wien gibt, und warben kräftig für die hiesigen Spitzenkandidaten und Spitzenkandidatinnen.

Aus den anderen Menschenrechtsartikeln, die im Kern das Personprinzip tragen, ließen sich eine Reihe von „Wahlempfehlungen“ ableiten. Wie steht es in Tirol mit dem Auftrag zur Gleichbehandlung und dem Diskriminierungsverbot? (Artikel 2) Niemand darf benachteiligt werden. Das würde – und hier argumentiere ich als Lehrer an einem Oberstufengymnasium – bedeuten, Schritte in Richtung einer gemeinsamen Schule zu setzen. Wer dies verhindert, und die Akteure sind bekannt, verschärft ausgehend von der Bildungspolitik soziale Schieflagen. Wie sieht es mit dem Recht auf ein Privatleben (Artikel 12) aus angesichts aktueller Tendenzen zu einer immer noch stärkeren Überwachung?

Aus dem Personprinzip, der Achtung der Person – das heißt der Achtung von Geist, Seele und Körper von jedem Menschen – folgt das Prinzip der Solidarität. Wer überall plakatieren ließ, Mindestabsicherungen nur für „unsere Tiroler“ gewähren zu lassen, weckt primitiv dumpfe Neidgefühle auf Kosten jener, die in Not sind. Wer landauf landab auf Plakaten ein „Asylchaos“ behauptet, weckt die Ängste vor jenen, die aus Angst um ihr Leben zu uns gekommen sind. Die letzten Landtagswahlen fanden in der warmen Jahreszeit statt. Kälte mit Polarluft ist gegenwärtig angesagt.

Die besondere Sorge für die Umwelt ist zum Markenzeichen von Papst Franziskus geworden, das sich besonders in der Enzyklika „Laudato si“ manifestierte. Mein Land ist beschenkt mit einer wunderbaren Natur. Zugleich leidet die Bevölkerung an einer gigantischen Belastung, die sich in sieben Buchstaben festhalten lässt: T R A N S I T. Wer irgendwo im Inntal lebt, wird dauerbeschallt. Lärm und Emissionen machen krank. 2017 fuhren 2,23 Millionen Lkw über den Brenner und im Jänner 2018 gab es eine Zunahme um 22,2 %. Noch mehr gestiegen sind die Zahlen im Privatverkehr. Neue Projekte im Straßenbau wurden für die nächsten Jahre genehmigt. Die herrschende Politik baut auf den Ausbau der Straßen. Kann man wirklich so stolz sein auf die bewährte Politik der Vergangenheit? Lösungen zur Belastungsminderung gäbe es einige, für die sich die Tiroler Politik entschieden einsetzen könnte: Vom Streichen des Dieselprivilegs über Tempobeschränkungen und Transitbeschränkungen. Ein Politiker, der Tempo 100 als „g’schissen“ bezeichnet, ignoriert die Aussagen der Umweltmediziner, die den Verkehrslärm als Ursache für viele Krankheiten ansehen, ignoriert auch die Tatsache, dass die Reduktion des Tempos von 130 auf 100 den Lärm halbiert. Ich möchte jedenfalls einen Verkehrsminister, der selbst eine Tempobeschränkung von 130 auf Autobahnen lockern möchte, einladen, mit mir eine Schulstunde lang bei offenen Fenstern an meiner Schule zu unterrichten.

Als Theologe und Religionslehrer ist mir der Blick auf die Religionen in Tirol sehr wichtig. Die Frage der Religionsfreiheit berührt das Thema Landtagswahlen in mehrfacher Hinsicht. Tatsache ist, dass eine Partei nicht müde wird, Angst vor dem Islam zu schüren – auch wenn diese Angstmache inzwischen kaschiert wird mit dem Zusatz „politischer Islam“. In Tirol leben rund 30.000 Muslime. Die Menschenrechte und davon abgeleitete Gesetze garantieren ihnen freie Religionsausübung. Pauschalkritik am Islam ist störend.

All die Probleme, die uns in Tirol zu Recht beschäftigen, sind freilich so klein im Vergleich zu den himmelschreienden Ungerechtigkeiten, Kriegen und Gewaltverbrechen in der Welt. Allerdings sind wir Menschen in Tirol durch unseren Lebensstil und die Wirtschaftsweise darin verstrickt. Ein Lebensstil, der auf einem hohen Konsum von Ölprodukten basiert, ist mehrfach kriegsfördernd. Unser Lebensstil zerstört. Klimaveränderungen wirken sich für die Menschen in Afrika katastrophal aus. Wir kaufen Öl von jenen Staaten, die mit unseren Geldern wieder Kriegsgeräte kaufen und Krieg führen. Wir importieren massenhaft Produkte aus Staaten, die sich keinen Deut um Menschenrechte kümmern und auf Kosten von Mensch und Umwelt produzieren lassen. „Diese Wirtschaft tötet“, so das knackige Zitat aus dem Mund von Papst Franziskus. Daher brauchen wir Menschen in politischen Schaltstellen, die bereit sind,  das zentrale biblische Wort der Fastenzeit in den Mund zu nehmen, das da lautet: „Umkehr!“

Dr. Klaus Heidegger, Vorsitzender der Katholischen Aktion der Diözese Innsbruck