Brief an Saulus anlässlich seines Festtages, 29. Juni 2018

 

Lieber Saulus,

Weil du mir vor allem über Briefe vertraut geworden bist, schreibe ich dir auch am heutigen Festtag einen Brief. Meine Anrede dürfte dich schon etwas verwundern, schreibe ich dir doch als europäischer Christ aus dem „Abendland“, in dem du üblicherweise als Paulus angesprochen wirst. Selbst im Unterricht – ich bin Religionslehrer an einem Oberstufengymnasium – beginne ich bei der Themeneinführung über dich gerne mit der Frage: „Was wisst ihr denn über den Apostel Saulus?“ Die Schülerinnen glauben zunächst, ich hätte mich versprochen, und manch einer antwortet: „Meinen Sie nicht den Apostel Paulus?“ „Ist es der, der vom Saulus zum Paulus wurde?“ Und schon bin ich mitten im Thema, kann beginnen von dir zu erzählen, deinem Jüdischsein, das so typisch für dich war. Ich erzähle dann davon, wie du aufgewachsen bist in Tarsus in einer Diasporagemeinde, benannt nach einem der ganz Großen des Judentums, als Pharisäer gebildet in Jerusalem, wie du dich zugleich mit den jüdischen Erneuerungsgedanken des Jeschua und seiner Nachfolger Stephanus, Mirjam, Simon, Jakobus und wie sie alle hießen auseinander gesetzt hast. Als Jude und Pharisäer hast du gespürt und gewusst, was sich dann im Damaskuserlebnis kristallisierte: Ja, dieser Zimmermann aus Nazareth – von Beruf ein Pharisäer und Handwerker wie du – zeigt uns, wie das Reich der Himmel funktionieren könnte, wie das Volk Jahwes sich in einer enormen Unterdrückungssituation neu bilden konnte, wovon auch die Propheten immer schon träumten. Mit Blick auf eine schreckliche antisemitische und antijüdische Vergangenheit – mit ewiggestrigen Resten in der Gegenwart – ist es mir im Kontext von Schule und Bildungsarbeit wichtig, von einem „Saulus zu Paulus“-Denken wegzukommen, weil damit die Konnotation verbunden ist, von einem Judesein zu einem Christsein, mit dem heute umgangssprachlich gemeint ist: Vom Bösen zum Guten.

Ich bin dir, Saulus-Paulus, so dankbar für die morgenländischen jesuanisch-jüdischen Werte, die in unserem Abendland oft von Leistungsfixierung, Konkurrenz, Gier, Konsumismus, Gewaltverherrlichung, Gottlosigkeit und Egoismus verdrängt werden. Du, Saulus-Paulus, stehst mit deinem Doppelnamen, deinen großartigen Briefen und deinem Leben für das Verbindende zwischen den Kulturen und Religionen, konkret für die Verbindung von Orient und Okzident. Die Konfliktlinien der Vergangenheit, die im Laufe der Jahrhunderte so oft als Clash of Civilizations Anlass für Kriege und Feindschaft waren, werden in der Gegenwart von den Rechtspopulisten in Form eines plumpen Antiislamismus neu instrumentalisiert. Du, Saulus, bist ein Anwalt dafür, das Jüdische an unserem Christlichsein nicht zu vergessen, denn es ist – wie du selbst geschrieben hast – unser Rebstock und unsere Wurzel. Weil du selbst in der Multikulti-Stadt Tarsus aufgewachsen bist, als Jude inmitten von Griechen und Römern, selbst Römer und Jude, wurdest du zum Völkerverbinder und ließt deine Erfahrungen – keine schöne Theorie nur – in dem Satz Gestalt werden „es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht mehr … denn ihr seid alle eins …“ Von diesem Geist der Akzeptanz und Toleranz, des Dialogs mit den Anderen und der Freude über die Verschiedenheit könnte unser Europa gestaltet werden, das vor  allem wegen dir als christliches Abendland bezeichnet worden ist.

So vieles mehr verbinde ich mit dir und deinem Leben. Ich stelle mir vor, wie du als Jude in Damaskus die jüdische Gemeinschaft von Menschen entdeckt hast, die in der Nachfolge Jesu das Brot teilten und füreinander sorgten. Obwohl du sie verfolgt hast, oder vielleicht gerade deswegen, haben sie den vom Pferd Gestürzten aufgenommen. Ihre Feindes- und Nächstenliebe hat dich wohl überzeugt, dass die Auferstehung Jesu kein leeres Geschwätz ist, sondern konkrete Eutopie.

Ich sehe dich als Charismatiker, dem es zugleich gelang, im ehrlichen theologischen Disput mit Petrus zu einer großen Einigung auf dem Apostelkonzil zu kommen. Mein Lieblingsbild ist jenes alte Fresko, wo du Wange an Wange mit dem Petrus abgebildet bist, eine Einheit in der Verschiedenheit und eine Versöhnung, die ich mir auch für die christlichen Kirchen heute wünsche. Meine Kirche, die katholische, braucht deinen charismatischen Eifer und du sollst nicht länger vor den Mauern Roms begraben sein. Mein Lieblingstext bleibt jener aus deinem ersten Brief an die Korinther, in dem du so wunderbar über die Liebe schreibst. Du konntest wahrscheinlich auch nur so schreiben, weil du selbst die Erfahrung von Verliebtsein und Liebe kanntest. Das macht dich für mich noch sympathischer.

Dein „Saulus-Schüler“ und Paulus-Fan,
Klaus

Kommentare

  1. Danke für diesen Brief an den Völkerapostel, der im heutigen Griechenland den Weg von Asien nach Europa das Christentum in damals bekannte Welt gebracht hat, jedenfalls in die Welt die wir aus unserer Geschichtsschreibung kennen.

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