Es fliegt, es fliegt … über die postmoderne Unbekümmertheit der Vielfliegerei im Anthropozän der Klimakatastrophen

Fridays for Future

Greta Thunberg hat es eindrucksvoll vorgelebt. Konsequent fuhr sie in den vergangenen Monaten selbst zu all den Veranstaltungen, Konferenzen und Begegnungen in verschiedenen Teilen Europas nicht mit dem Flugzeug und lehnte Einladungen außerhalb Europas ab, die mit einem Fliegen verbunden gewesen wären. So reiste sie medienwirksam zum Weltklimagipfel nach Kattowiz, zum Weltwirtschaftsforum nach Davos, nach Brüssel zum Europäischen Parlament oder in der Karwoche in den Vatikan zu Papst Franziskus. Sie ist damit auch Teil einer Bewegung in Schweden, die das Wort  „Flygskam“ – „Flugscham“ geprägt hat. Einer der prominentesten Vertreter ist der ehemalige Biathlet und Olympiasieger Björn Ferry, eine Leitfigur im Langlaufsportland Schweden. Als Kommentator für das Fernsehen reist er nur noch mit dem Zug.

Von der Zerstörung des Planeten und der Vielfliegerei

Die Hurrikans und Zyklone in den Weltmeeren mit ihren dramatischen Folgen für die Bevölkerung in den letzten Monaten sind ein warnender Hinweis. Die gewaltigen Zerstörungen betreffen dabei vor allem die Ärmsten der Armen, nicht aber jene, die in großem Ausmaß mit ihrem Verhalten den Klimawandel antreiben. Weniger als 20 Prozent der Weltbevölkerung haben jemals ein Flugzeug bestiegen. Diese Luxuselite ist die größte Bedrohung für das Klima des Planeten. Die Heftigkeit der Wirbelstürme ist vor allem Folge der Erwärmung der Ozeane. Hinzu kommt das Steigen des Meeresspiegels aufgrund des Schmelzens riesiger Eismassen, was vor allem die Millionen Menschen bedroht, die in Küstennähe wohnen. Die Klimaziele der Konferenz von Paris aus dem Jahr 2015 – die Erderwärmung bei höchstens zwei Grad zu stoppen – werden nicht eingehalten. Die Folgen der Klimaveränderung im Alpenraum sind besonders merk- und fühlbar. Im abgelaufenen Jahr gab es mit 25,2 Metern den höchsten Gletscherrückgang seit 1960. Der Verkehr ist hierzulande der Hauptverursacher für klimaschädliche Emissionen. Damit sind eine Verkehrspolitik und eine Änderung in der Art und Weise, wie Menschen und Waren transportiert werden, der Schlüssel für eine nachhaltige Klimapolitik. Das betrifft nicht nur den Schwerverkehr auf den Straßen mit fast täglich neuen Rekordmeldungen, sondern auch den Individualverkehr. Kaum thematisiert und problematisiert wird jedoch der Flugverkehr.

Klimasünder Flugzeuge

Das beschleunigte globale Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre kommt auch im Luftverkehr an: Laut Europäischer Umweltagentur haben sich die durch den Flugverkehr verursachten Treibhausgase in der EU seit 1990 mehr als verdoppelt. Seit 2010 stiegen sie noch mal um mehr als ein Viertel. Jedes Jahr rechnen Behörden mit einer globalen Zunahme von drei bis vier Prozent. Insgesamt wuchs die weltweite Luftfahrt zuletzt um 7,6 Prozent. Besonders stark war das Wachstum in Europa, wo der Luftverkehr um 8,2 Prozent zulegen konnte. Bereits im Jahr 2013 hatte der Flugverkehr in Österreich rund 705.000 Tonnen Treibstoff verbraucht und dadurch 2,17 Millionen Tonnen CO2 verursacht. Der Flugverkehr trug also bereits vor sechs Jahren so viel zu Treibhausgasen bei wie rund eine Million Autofahrer mit ihrem privaten Pkw in einem ganzen Jahr emittieren. Der Flugverkehr trägt zum Klimawandel bei, auch wenn er in der Kyoto-Klimabilanz nicht aufscheint. In Österreich sind die CO2-Emissionen des Flugverkehrs 1990 um mehr als das Doppelte gestiegen. Pro Personen-Kilometer verursacht der Flugverkehr doppelt so viele CO2-Emissionen wie Diesel- und Benzin-Pkw und 31-mal so viel wie die Bahn.

Fliegen ist eindeutig die klimaschädlichste Fortbewegungsart, die zugleich am meisten beworben und am wenigsten besteuert wird, was heißt: Die ökologisch bedenklichste Fortbewegungsart wird von der Politik gefördert. Laut Greenpeace belastet eine einzige Flugreise von Wien nach New York die Erdatmosphäre durchschnittlich so stark wie ein Jahr Autofahren.Kurt Langbein zeigt in seinem Film, Zeit für Utopien, auf, wie klimaschädlich Fliegen ist. So entspräche eine Flugreise nach New York genau jenem CO2-Verbrauch, den ein Mensch pro Jahr beanspruchen könnte, damit die Kyoto-Klimaziele eingehalten werden könnten.

Durchschnittlich verbraucht ein Flugpassagier pro 100 Kilometer 5 Liter Kerosin. Aufgrund der in 10.000 Kilometer Höhe gegebenen Bedingungen kommt die Verbrennung von 5 Liter Kerosin einer Klimaschädlichkeit von 25 Liter zu.

Kondensstreifen hinter Flugzeugen und ihre Folgen heizen die Erde stark auf. Sie verursachen bereits mehr Erderwärmung als das angesammelte Kohlendioxid seit Beginn der Luftfahrt ausgestoßen wurde. Aus den Kondensstreifen entstehen so genannte Zirren – Wolken aus Eispartikeln. Ihre Fläche ist etwa neunmal größer als der linienförmige, meist sichtbare Streifen, den Flugzeuge am Himmel hinterlassen. Da Kondensstreifen in der Luft enthaltene Feuchtigkeit verbrauchen, reduzieren sie die Bedeckung durch natürliche Wolken. Beide – natürliche und künstlich erzeugte – Zirren verringern jedoch die Infrarotausstrahlung der Erde und erwärmen so das Klima.

Wie sehr die Fliegerei zunimmt, zeigt auch ein so kleiner Flughafen wie Innsbruck. So verzeichnete allein der Innsbrucker Flughafen im vergangenen Winter an manchen Wochenenden bis zu 120 Starts und Landungen, was einem Zehn-Minuten-Takt gleichkommt. Die Aufwärtsentwicklung geht weiter. Neue Direktverbindungen von Innsbruck in verschiedene Städte Europas sind geplant. Lärmgeplagte Anrainer des Flughafens werden mit Lärmschutzfenstern vertröstet. Kritische Berichte über das steigende Flugverkehrsaufkommen gibt es kaum.

Wertvolles Öl wird als Kerosin verbrannt

Die Ölvorräte dieser Welt gehen zu Ende. Dort, wo gebohrt und gefördert wird, werden ganze Landstriche verwüstet und wird das Leben der ansässigen Bevölkerung gefährdet. Die Bohrinseln sind ein permanentes Gefährdungspotenzial: Dennoch bleibt der Preis für Kerosin auf niedrigem Niveau. Wegen der knapper werdenden Ölvorräte werden heute schon Kriege geführt und künftige geplant. Der Arktis drohen durch Ölbohrungen gigantische Umweltdesaster.

Unbekümmerte Bewerbung von Flugreisen mit öffentlicher Unterstützung

In den Printmedien inserieren Reisebüros fast täglich für Flugreisen. Tausende Maturantinnen und Maturanten wurden für „megageile“ Maturareisen in irgendeinem Club am Meer gekeilt, wo unbegrenzt der letzte Funken an Ökogefühl hinunter gesoffen werden kann. Selbst einwöchige Maturareisen nach Thailand stehen am Programm. Um einen lächerlichen Preis werden Wochenendflüge in irgendeine Stadt angeboten. Selbst Zwickeltage werden genützt, um schnell in eine Großstadt Europas zu jetten. Großflächig lassen Airlines ihre Angebote affichieren. Man fliegt in den Urlaub. Selbst die Kirchenzeitung, die ansonsten ökologische Achtsamkeit predigt, wirbt in regelmäßigen Abständen für Pilgerreisen mit Flugzeugen.

Die öffentliche Hand fördert den Ausbau von Flughäfen. Diesel und Benzin werden besteuert. Die Mineralölsteuer beträgt rund 50 Cent pro Liter. Das ist im Vergleich zu anderen Ländern immer noch weniger – weswegen der Tanktourismus in Österreich rund 20% beträgt – doch immerhin wird dadurch eine gewisse Lenkung erreicht. Wie steht es aber mit der Besteuerung des Kerosins? Im Gegensatz zu Benzin und Diesel ist Flugbenzin für den kommerziellen Flugverkehr von der Mineralölsteuer befreit. Das ist ein eindeutiger Wettbewerbsnachteil für alle anderen Verkehrsmittel.

Kerosinsteuer

Das vermeintlich günstige Fliegen ist eine hoch subventionierte Form der Fortbewegung. Solange Kerosin nicht besteuert wird, führt dies zu einer krassen Marktverzerrung: Schätzungen zufolge beläuft sich die Steuerfreiheit für Flugzeugtreibstoff auf 14 Milliarden Euro pro Jahr alleine in der EU, dazu kommen Begünstigungen aus der Mehrwertsteuerbefreiung im Wert von 16 Milliarden Euro.

Oben ohne – der Verzicht auf das Fliegen

Innerhalb von Europa kann wohl gänzlich auf ein Flugzeug verzichtet werden. Der positive Nebeneffekt für Bahn-Reisende: Man nähert sich dem Urlaubsland langsamer, nimmt landschaftliche Eindrücke auf und kann sich bereits auf dem Weg in den Urlaub oder zu beruflichen Zwecken auf die veränderten klimatischen Bedingungen einstellen. Vor allem aber gilt heute besonders: Muss es wirklich eine ferne Destination sein, oder könnten nicht viel mehr die Schönheiten vor Ort mehr entdeckt und genossen werden? Ein Selfie von einer Südseeinsel wird ein Enkelkind in 40 Jahren, wenn die Gletscher verschwunden sein werden und ebendiese Insel unter Wasser sein wird, einmal anders beurteilen.

Längst müssten wir alle zur Einsicht gelangt sein, dass ohne „Verzicht“ auf bestimmte Verhaltensweisen der ökologische Supergau nicht mehr aufzuhalten ist. Jeder und jede muss sich daher zehnmal und mehr prüfen, ob eine Flugreise wirklich sein muss oder ob das Ziel nicht auch mit der Bahn erreicht werden könnte. Daher ist es gut, wenn nun wieder mehr daran gedacht wird, das Bahnsystem – vor allem bei Nachtfernzügen – wieder zu verbessern. Es gäbe genügend Geld für solche Maßnahmen, wenn beispielsweise eine Kerosinsteuer oder bestimmte Flugabgaben für eine ökologische Trendwende benützt würden. Wenn ein Ziel sich ohne Flug nicht erreichen ließe, muss selbst das angestrebte Ziel infrage gestellt werden.

Schulen als Flugreisebüro

Angesichts der dramatischen Folgen des Klimawandels und angesichts der Tatsache, dass die Klimaziele von Paris nur mehr mit radikalen Maßnahmen erreicht werden können, sind Schulen in besonderer Weise herausgefordert. Die Frage muss gestellt werden, auch wenn sie liebgewonnene Gepflogenheiten in manchen Schulen infrage stellt und im Kollegium teils nicht gern gehört wird. Sind Flugreisen mit Schulklassen aus pädagogischen wie auch aus ökologischen Gründen überhaupt noch vertretbar oder konterkarieren sie nicht letztlich den Werten, die in einem Unterricht vermittelt werden sollen? Wenn eine Geographielehrerin die weitreichenden Konsequenzen des Klimawandels wie das Ausbreiten der Wüsten aufzeigt, wie passt es dann zusammen, dass eine ganze Schulklasse das Flugzeug wählt, weil es einfach das billigste und bequemste Transportmittel ist? Wenn in Geschichte und Politische Bildung die Konsequenzen erarbeitet werden, die mit der Vielfliegerei verknüpft sind – Ausbeutung und Kampf um Ressourcen, Kriegsgefahr, Migrationsbewegungen, wie passt es dann noch zusammen, wenn Schüler*innen zum Teil dieser Zerstörungsmaschinerie werden. Sollen Schulen nicht vielmehr konsequent-ökologisch nur mehr solche Bildungsreisen wählen, die ohne Flugzeug gewählt werden können, und damit auch eine wichtige Erziehungsfunktion erfüllen, nämlich zu zeigen: Es geht auch oben ohne? Der für viele unbequeme Aufruf  heute lautet jedenfalls ganz einfach: „Hört endlich auf zu fliegen!“

Klaus Heidegger, 16. Mai 2019