Türkis und grün wird olivgrün? Skizzen der türkis-grünen Verteidigungspolitik im Regierungsprogramm

Bekenntnis zur Neutralität

Schon der erste Satz im Kapitel über die „Landesverteidigung“ im türkis-grünen Regierungsprogramm (Seiten 222-228) lässt aufhorchen. Es heißt dort wunderschön: „Österreich liegt heute als neutrales Land im Herzen eines geeinten und friedlichen Europas.“ Ambivalent wie das ganze Programm ist diese Festlegung. Implizit wird „Neutralität“ mit Frieden in Verbindung gebracht. Ausdrücklich heißt es, dass die Neutralität „unumstößlich“ sei und auch nicht im Widerspruch zu den Verpflichtungen innerhalb der Europäischen Union. Der erste Punkt ist also ein Bekenntnis zur österreichischen Neutralität, was auch in einem anderen Kapitel des Regierungsprogramms verankert ist. Damit wird ein traditioneller Kerninhalt der Friedensbewegung festgeschrieben. Wie ehrlich dieses Bekenntnis jedoch ist, wird erst deutlich mit Blick auf andere türkis-grüne Vereinbarungen.

Ja zur Aufrüstung und zur Wehrpflicht

Gar nicht das Grün der Grünen folgt aber dann in den weiteren Punkten des „Landesverteidigungskapitels“. Es ist vielmehr das Olivgrün des Militärs. Es liest sich wie ein Forderungskatalog des Verteidigungsministeriums, wenn ein „modernes, weiterentwickeltes, vielseitig einsetzbares Bundesheer“ als Ziel gesehen wird, das „ausreichend finanziell, personell und materiell ausgestattet“ werden soll. Selbst einer Neuanschaffung von Militärjets steht laut Regierungsprogramm wohl nichts mehr im Wege.

Ich frage mich, was in diesem Kapitel noch von der einstigen grünen Programmatik geblieben ist. Waren die Grünen nicht einmal groß geworden mit der visionären Idee eines „Österreich ohne Armee“? Jetzt soll die „Einsatzfähigkeit“ des Bundesheeres „im In- und Ausland“ „zielorientiert“ verbessert werden. Waren die Grünen nicht früher für die Abschaffung der Wehrpflicht? Jetzt soll der „Grundwehr und Zivildienst attraktiver“ gemacht werden und die Wehrpflicht wird festgeschrieben. Durch die Änderung in den Tauglichkeitsregelungen – und selbst eine Erhöhung der Wehrdienstzeit ließe sich mit den türkis-grünen Vereinbarungen argumentieren – sollen mehr junge Menschen für die Armee gewonnen werden. Euphemistisch wird das Bundesheer als „Sicherheitsgarantie, auf die wir uns alle verlassen“ können, vorgestellt.

Ja zu militärischen Auslandseinsätzen

Zwei in sich letztlich unversöhnliche Positionen sind im türkis-grünen Programm festgeschrieben. Da ist einerseits das neutralitätspolitische Vorzeichen. Aus dem Kern des Neutralitätsgedankens folgt jedoch eine eindeutige Verpflichtung : Keine Beteiligung an kriegerischen Situationen und damit auch keinerlei militärische Bündnispolitik. Im Regierungsprogramm jedoch steht nun wortwörtlich: „Sicherstellung der Erfüllung der eingegangenen internationalen Verpflichtungen, insbesondere EU-Verpflichtungen, einschließlich der Leistung eines militärischen Solidarbeitrags im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen.“ Implizit hat sich das türkis-grüne Verhandlungsteam damit auf den auch von den Vorgängerregierungen eingeschlagenen Weg einer Beteiligung am Aufbau einer gemeinsamen militärischen EU-Militärpolitik im Rahmen von PESCO eingelassen.

Dual-Use-Armee

Im Regierungsprogramm wird die bisherige Strategie festgelegt, das Bundesheer nicht nur mit den klassisch verteidigungspolitischen Aufgaben zu belassen. Unter anderem wird ein „verstärkter Einsatz des ÖBH im Rahmen von Assistenzeinsätzen nach geltender Rechtslage zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit“ angepeilt. Das Bundesheer also als „Law-and-Order“-Instrument für innere Sicherheit? Ist das nicht eine gefährliche Kompetenzüberschreitung? Auch die Fokussierung auf Katastrophenschutz ist in sich unlogisch. Dieser kann von zivilen Kräften wohl besser erledigt werden, wenn es dazu entsprechende Mittel gäbe. Um es bildlich zu formulieren: Für das Sandsäcke-Tragen braucht es keine Ausbildung mit der Waffe, für den Hochwasserschutz sind Panzer ungeeignet.

Resümee

Zumindest im Kapitel über die Landesverteidigungspolitik zeigt sich nicht die Handschrift einer gewaltfreien und nicht-militärischen Friedens- und Sicherheitspolitik. Im Gegenteil. Türkis-Grün folgt in diesem Teil ganz der klassisch-militärischen Logik. Nicht der Geist einer Bertha von Suttner und ihrem „Die Waffen nieder“ war federführend, sondern der militärische Interventionismus, der im Widerspruch zu den neutralitätspolitischen Vorgaben steht. Ein Blick in die Welt heute würde zeigen, dass nicht ein Mehr an militärischen Kapazitäten Frieden bringen und sichern kann, sondern eine aktive Außen- und Sicherheitspolitik. Staaten mit dem höchsten Aufwand an Militär sind zugleich Staaten mit größter Unsicherheit.

Zum Glück gibt es vor diesem militärischen Part auch jenes Kapitel im Regierungsübereinkommen mit dem Titel „Österreich in Europa und der Welt“. Dort sind durchaus friedenspolitische Vorgaben formuliert, die auch im Widerspruch zu militärischen Optionen stehen. Ausdrücklich wird beispielsweise die Etablierung eines Zivilen Friedensdienstes vorgeschlagen, etwas, das für friedensbewegte und auch pazifistische Organisationen stets ein Herzensanliegen war. Ebenso könnte jener Punkt auch von diesen Organisationen stammen, wo es heißt: „Aktiver Einsatz für die internationale Abrüstung und Einsatz für eine Welt ohne Atomwaffen – die Bundesregierung tritt weiterhin für ein globales Verbot von Atomwaffen ein und appelliert an alle Staaten, den Nuklearwaffenverbotsvertrag zu ratifizieren; Initiativen zur Abrüstung und Rüstungskontrollen sind fortsetzen.(sic)“

Freilich sind auch im Europateil dann Widersprüche eingebaut, wenn die türkis-grüne Bundesregierung einerseits wieder „aktive Neutralitätspolitik“ beherzigen soll, zugleich aber eine „Verstärkte Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung auf europäischer Ebene“ anpeilt. Ausdrücklich wird dann PESCO und FRONTEX genannt, wo sich Österreich engagieren soll. Auf EU-Ebene will sich Österreich etwa für die Aufstockung der Frontex-Einsatzkräfte zum Außengrenzschutz auf 10.000 Personen starkmachen. Aus friedenspolitischer Sicht nicht genügend ist auch die laxe Formulierung in puncto Kriegsmaterialienhandel. Waffenlieferungen sollen lediglich in „kriegführende Länder“ unterbunden werden.

Die alten friedenspolitischen Hoffnungen von einem Österreich, das sich im Rahmen der friedensstiftenden Neutralität nicht am weltweiten und ressourcenvernichtenden Waffengetöse beteiligt, sondern auf die Instrumente der friedlichen Konfliktbewältigung setzt, sind weiterhin in den zivilgesellschaftlichen pazifistisch orientierten Organisationen geborgen. Das Regierungsprogramm wird deren Forderungen nach Abschaffung der Wehrpflicht, nach einer Nichtbeteiligung an militärischen Kriegseinsätzen, nach Ab- statt Aufrüstung und einem Nein zu sündteuren neuen Kampfjets nicht aufgeben. In diesem Sinne gilt es, von unten her die kommende Regierungsarbeit kritisch zu beobachten und – wenn nötig – ihr auch mit Widerstand zu begegnen und dabei den grünen pazifistischen Forderungen treu zu bleiben.

Klaus Heidegger, 3. 1. 2020