Nikolaus und das steinerne Herz

Gierig war ein Kaufmann
nie genug konnte er kriegen
mehr, mehr, mehr schrie seine Gier
teuflischer Versuchung erlegen
sein Herz wurde zu Stein
sein Geld türmte sich auf,
Schätze wie Mauern um ihn
einsam und allein war er dann

Nikolaus sah seine Not
sah die Tränen hinter der Fassade aus Gold
rührte sein Herz an
dass es sich öffne der Not
und jeden Tag ein Stück mehr
löste sich die Härte des steinernen Herzens
wurde weich und empfindsam
befreit von Gier war die einsame Seele

Mit einem geschenkten Lächeln
mit einem liebevollen Wort
mit einer zärtlichen Umarmung
werden Mauern zu Brücken
wird weich was versteinert
löst sich Verkrampfung
kommt Licht in das Dunkle
und Wärme ins Kalte.

Der Nikolauslegende vom steinernen Herzen nachempfunden
Klaus Heidegger, Nikolaustag 20
20

 

Die Legende: Das Steinerne Herz – eine Nikolauslegende
Ein Kaufmann hatte große Reichtümer angehäuft. Doch genug hatte er nie. Als er einmal unterwegs war, umwarb ihn die Stimme einer teuflischen Versuchung: „Ich kann dich noch reicher machen, reicher als alle anderen, wenn du nur willst!“ „Und ob ich das will! Sag mir den Preis“, reagierte der Kaufmann begierig. „Gib mir dein Herz dafür!“ Schnell entschlossen übergab der Kaufmann dem Verführer sein Herz. Zurück erhielt er ein Herz aus Stein. Das Herz aus Stein erwies sich als wunderbarer Geldvermehrer. Mit gnadenloser Härte kaufte und verkaufte er alles, was sich nur zu Geld machen ließ. Unaufhaltsam wurde er reich und immer reicher. Und schließlich einsam und immer einsamer. Eines Tages begegnete er Nikolaus, dem Bischof von Myra. Bald erkannte der Gottesmann die Verlassenheit des Kaufmanns hinter der prunkvollen Fassade. Dieser erzählte ihm seine Geschichte und bat um Rat. Der Bischof sagte: „Dein Herz ist ein Stein. Es ist tot für Freude und Schmerz, für Mitleid und Sehnsucht. Doch du kannst noch heute anfangen, dein Unglück zu wenden. Sieh dir deine Mitmenschen an, besonders die Armen, die Kranken, die Verlassenen, die Kinder. Lass wieder zu, dass dein Herz berührt wird. Lass zu, dass dein Herz sich verschenken will. Dann wirst du von Tag zu Tag spüren, wie dein Herz wieder lebendig wird. Du wirst ein glücklicher Mann werden.“  Der Kaufmann nahm sich den Rat zu Herzen. Er ging zu den Menschen. Jedes gute Wort, jedes Lächeln, jede gute Tat löste die Härte in seinem Inneren, wie der Bischof gesagt hatte. Er wurde ein Schenkender und starb als glücklicher Mann.

 

Eine Geschichte über Kapitalismus und  Gewaltfreiheit

Die bekannte Legende vom Nikolaus und dem steinernen Herzen ist keine Krampusgeschichte, in der die Bösen bestraft werden, während die Braven sich mit dem Nikolaussackerl zurecht finden können.

Die Geschichte erzählt zunächst von einer wohlbekannten kapitalistischen Dynamik. Sie spielt sich über alle Jahrhunderte in gleicher Weise ab, von der Zeit des Bischofs aus Myra bis ins Heute. In der Legende ist es der reiche Kaufmann, der nie genug bekommen kann, der immer reicher und reicher wird, während um ihn herum die Not immer größer wird. Je einsamer er wird, je versteinerter das Herz, desto mehr versucht er mit höchster Aktivität seinen materiellen Reichtum zu mehren.

Die Organisation Attac Österreich zeigt heute auf: Die Corona-Krise hat die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vergrößert. Es gibt allerdings auch die Krisengewinner. Das Vermögen der Milliardär*innen wuchs in der Krise weltweit auf mehr als 10 Billionen Dollar – ein neuer Rekordwert. Amazon-Chef Jeff Bezos etwa wurde seit März 2020 täglich (!) um rund 400 Millionen Dollar reicher. Das riesige Finanzvermögen der Superreichen wäre da. Daher fordern Organisationen wie Attac einen Corona-Lastenausgleich von den Reichsten – einen einmaligen Beitrag von Personen mit über 5 Millionen Euro Vermögen. Das brächte rund 70 Milliarden Euro, mit denen wir die Krise bewältigen und in Gesundheit, Bildung und Klimaschutz investieren könnten. Für so einen Lastenausgleich, der auch von Ökonom*innen unterstützt wird, gibt es erfolgreiche historische Vorbilder wie den deutschen Lastenausgleich von 1952.

Die Nikolaus-Legende vom steinernen Herzen von damals ist eine Aufforderung zu einem Lastenausgleich heute. Der Kaufmann begann sich der Not zu öffnen und den riesigen Schatz mit denen in Not zu teilen und wurde selbst dabei immer glücklicher. Es ist aber auch eine Geschichte, wie durch die Barmherzigkeit Erstarrtes sich verwandelt. So ist es auch eine tiefsinnige Erzählung über  Gewaltfreiheit. Darin gibt es keine Sieger und Verlierer, sondern das Leben von allen Beteiligten gelingt.

Auf diese Dynamik ging ich in meinem Gedicht „das steinerne Herz“ ein. Dabei geht es nicht nur um die ganz großen wirtschaftlichen Fragen. Auch im Kleinen spüren wir diese Dynamik. Je mehr wir uns verschließen, desto einsamer werden wir. Je mehr wir uns schenken können, desto mehr gelingt unser eigenes Leben.

Mit wenigen Worten erzählt diese Legende, wie eine Umkehr gelingt. Erstens ist es die eigene Einsicht. Der Kaufmann merkt plötzlich, dass ihm das Wichtigste fehlt, etwas, das so viel wichtiger ist als Reichtum und jede Karriere. Die Rede ist von Einsamkeit. Wer immer sich verschließt, selbstsüchtig nur auf sich blickt, nicht sieht, wie es den Menschen rundherum geht, wird wie versteinert. Es versteinert das eigene Herz.

Zweitens wäre der Kaufmann wohl nicht aus seiner Einsamkeit herausgekommen, hätte er nicht die Begegnung mit dem Nikolaus gehabt, der ihm hilft, die Augen zu öffnen, den Blick nur von sich zu nehmen, auf andere zu schauen, vor allem auf Menschen in Not. Nikolaus klagt aber nicht an, sondern zeigt einen Ausweg.

Drittens ist der Kaufmann, der sich auf diesen Weg einlässt, nicht jemand, der den Aufbruch auf später verschiebt, nicht auf irgendwann, sondern – wie es der Nikolaus sagt – heute schon, nicht überfordernd, sondern Schritt für Schritt – und Schritt für Schritt und Tag für Tag  gewinnt er sein Herz zurück. Ihm wird Beziehung geschenkt – und damit wohl immer auch die Beziehung mit dem Göttlichen.

Klaus Heidegger