Floß der Medusa 2.0

an den Rändern Europas
an den Rändern afrikanischer Staaten
in katastrophalen Flüchtlingslagern
in unmenschlichen Behausungen
da kämpfen Menschen um Leben und Würde

an den Rändern der Welt
im nicht mehr ewigen Eis
in den abgeholzten Regenwäldern
in wachsenden Wüstengebieten
da werden Tier- und Pflanzenarten ausgerottet

im Kampf um begrenzte Ressourcen
in neo-kapitalistischer Logik
herrscht gieriges Raffen
gilt survival of the fittest
da verlieren die Schwachen

klaus.heidegger@aon.at, 1.7.2021

Über das „Floß der Medusa“ in der heutigen Welt

Im Rahmen der Kunstausstellung „Gebt mir Bilder!“ zum Petrus-Canisius-Jubiläumsjahr hing vor kurzem ein großes Bild an der Empore in der Spitalskirche in der Maria-Theresien-Straße. Heute trägt diese Kirche den Namen „Kirche im Herzen der Stadt“. Im Herzen der Stadt hing also dieses Bild, das ein Remake eines der bekanntesten Gemälde der Weltgeschichte ist. Ebendieses hängt im Louvre in Paris.  1816 hat es der französische Romantiker Théodore Géricault gemalt. Der Hintergrund war ein reales Ereignis.

1816 sandte die französische Regierung vier Fregatten mit Infanteristen an ihre neue Kolonie Senegal zum Schutz des überseeischen Besitzes. Dabei erlitt eine Fregatte mit dem Namen „Meduse“ Schiffbruch. An Bord waren 400 Menschen. Es gab zu wenig Rettungsboote. Der Kapitän befahl, dass 146 Personen auf ein notdürftig gebautes Floß gebracht werden, das dann mit den Rettungsbooten gemeinsam an Land gezogen werden sollte. Allerdings wurde das Seil gekappt. Hilflos trieb das Floß auf See. Bald brach Kannibalismus aus. Nur 15 Personen konnten schließlich gerettet werden.

Warum aber ist es heute notwendig, ein solches Bild wieder neu in den Blick zu nehmen, wie es das Künstlerduo SUSI POP mit ihren 28 Siebdrucktafeln in Magenta-Farbton tat? Es stellt uns eindringlich vor die Fragen: In welches Chaos geraten wir heute? Wo sind die Schiffbrüchigen, die von Mächtigeren auf stürmischer See dem Chaos überlassen werden? Solche Fragen führen vor allem zu den Flüchtlingsdramen unserer Zeit, den katastrophalen Zuständen in den Flüchtlingslagern am Rande Europas oder dem Ertrinken von Flüchtlingen im Mittelmeer. Es ist jedenfalls wichtig, dass mit Blick auf die Aufgabe der Kirche heute und die Bitte von Petrus Canisius, „Gebt mir Bilder!“, der Kurator der Ausstellung gemeinsam mit Bischof Hermann dieses Bild in die „Kirche im Herzen der Stadt“ brachte. Zu Beginn der Ausstellung waren im hinteren Teil der Kirche noch die alten Beichtstühle. Sie sind inzwischen der Kirchenrenovierung gewichen. Nicht aber verschwunden ist die Notwendigkeit, dass wir alle angesichts der Tragödien in unserer Zeit dringend das „Sakrament der Versöhnung“ brauchen.