„Göttinnen“ – Innsbruck-Spaziergang (2)

Wer und wie ist Gott*? Diese Frage ist im Zentrum jeder religiösen Suche. Eine Ausstellung in der Galerie Kunsthalle Tirol beschäftigt sich frech damit. Dass Gott* nicht mit einem graubärtigen Vatergott identifiziert werden kann, ist nicht neu. Da müssten wir nur in die Kirchen in der Nähe der Kunsthalle schauen und würden am Hochalter im Dreieck – weil Gott ist Beziehung der Liebe – das Tetragramm JHWH entdecken – der wohl wichtigste Name Gottes, übersetzt als „ich bin, die ich bin“ oder noch besser als „ich bin da für dich“. Gegenüber vom Taxispalais ist die Klosterkirche der Serviten – damit jener Ordensgemeinschaft, die sich seit 800 Jahren ganz in den Dienst Mariens stellt. Am Ende der Maria-Theresien-Straße wiederum ist die Spitalskirche, die der göttlichen Geistkraft, der Ruach, geweiht ist. An der Spitze des Zwiebelturmes leuchtet sie golden in den stahlblauen Winterhimmel hinein – und sie wurde nicht von Ursula Beiler gemacht. So blinkt sie schon seit 400 Jahren über den Dächern von Innsbruck und zeigt: Gott* lässt sich nicht auf ein männliches Wesen reduzieren.

Doch zurück zur Ausstellung. Da an diesem Nachmittag eine Performance der Tiroler Künstlerin Ursula Beiler stattfindet, orientiere ich meinen Innsbruckspaziergang in die Tiefen des Taxispalais. Die Performance ist typisch für Ursula Beiler, die hierzulande mit dem Schild „GRÜSS GÖTTIN“ für heftige Auseinandersetzungen sorgte und mit ihrem Projekt „INNANNA“ die göttinnenverwurzelte Geschichte Tirols thematisierte. Heute trat sie als „Kümmernis“ auf. Hinter dieser legendären Volksheiligen – ein Fresko von ihr gibt es auch in meinem Heimatdorf – steht eine Figur, die in der feministischen Bewegung gerne verwendet wird. Dargestellt wird sie als weibliche Figur mit Bart am Kreuz. Beiler und ihre Begleiterinnen und Begleiter kommen in Tiroler Tracht gekleidet als ihre Verehrer. Sie beten mit gefalteten Händen und wie eine Litanei werden nun Täler, Bäche, Berge Tirols genannt, so als seien sie alle weibliche Gottheiten, egal ob sie männliche oder weibliche Artikel haben. Während dieser Zeit steht Beiler – sprich die Hl. Kümmernis – mit weit ausgebreiteten Armen, einem Zepter mit drei großen Tannenzapfen, ihrem weißen Kleid und einem Kopfschmuck, der aus einem Ast besteht auf einem weißrunden Podium.

Für mich wirkte die Performance nicht aufbauend, nicht fröhlich, nicht ermutigend – im Gegenteil. So sehr ich das Anliegen von Ursula Beiler verstehe – diese zu klischeehafte und plumpe Darbietung unterstützt nicht das Anliegen, die weibliche Seite des Göttlichen mit Freude zu füllen. Anders ist die Installation, die zu diesem Thema im Eingangsbereich und in einem lachsrosa gemalten Ausstellungsraum zu finden ist. Ein gutes Dutzend Bodenvasen steht vor der weißen Leuchttafel mit dem Schriftzug „Göttinnen“.  Der Titel der Installation: „Polytheismus“. Spontan kann ich mein „Gottesbild“ mit dieser Umsetzung in Einklang bringen. Auch im Ausstellungsraum sind in die Mitte auf kleinen Tischen Bodenvasen platziert. Die Künstlerin aus dem Weinviertel, Elisabeth Samsonow, ist zugleich Philosophin und künstlerische Werke zur Weiblichkeit gehören zu ihrem Schaffen. Dass Vasen Symbol der Weiblichkeit sind, liegt auf der Hand. Ich assoziiere noch etwas damit. Jede Vase könnte wohl auch für eine Geschichte stehen. Für die Rosen, die von einer Liebesgeschichte erzählen, für die Frühlingsblumen, die voll Sehnsucht und Hoffnung in einer Vase arrangiert wurden, für die Herbstblumen, die an einen Hand-in-Hand-Spaziergang erinnern – und am Ende vielleicht auch an Blumen, die tröstend an einen verlorenen Menschen in eine Vase gesteckt werden. So ist Göttliches. Es nimmt die Geschichten auf und bringt sie in ein neues göttliches Licht. Jede Geschichte. Meine Eintrittskarte für die Galerie kann ich noch drei Mal benützen, weil die weiteren Ausstellungsräume erst der Reihe nach gefüllt werden. Wie gehen wir Menschen aus der Galerie? Wie Menschen ohne Vasen?  Wo ist das Vasengöttliche in meinem Leben? Sind es die vielen leeren Vasen, die mich traurig stimmten.  Während ich schweigend in die Einsamkeit gehe, assoziiere ich noch etwas mit den Vasen. Sie sind zerbrechlich. Achtsamkeit ist angesagt. Wie die Seele, die so leicht Sprünge bekommen kann und am Leben zerbricht.

Klaus Heidegger, 12. 2. 2022