verklärtes Sosein

verklärt
wie verliebte Blicke
in die Tiefe der Seele
ohne Scham den Blick zu wagen
ohne Angst einem Du zu wenig zu sein
mit der Erfahrung
einem Du wertvoll zu sein

verklärt und klar
wie ein eiskalter Bergsee
frei vom Dreck
mit Blick in die Tiefe
verstehen was nottut
begreifen was hilft
beschenkt sein im Augenblick

an einem siebten Tag war es
in der Fülle der Zeit
Jakobus, Johannes und Petrus
drei starke Typen
Jakobus, der Rebellische
Johannes, der zweite Donnersohn
Petrus, die Leitperson

auf einen Berg wollten sie gehen
bereit mit Jesus zu ziehen
bereit zum beschwerlichen Aufstieg
hinaus aus der Komfortzone
hinaus aus dem alltäglichen Trott
bereit zum Gebet und zur Aktion
bereit Grenzen zu überwinden

drei Apostel sie waren
drei suchend Wagemutige
die Drei sahen Mose, Elija und Jesus
mit verklärten Augen sahen sie
Mose und die Bedeutung des Gesetzlichen
Elija und die Bedeutung des Prophetischen
beides vereint in prophetischer Gesetzlichkeit Jesu

drei Hütten wollten sie bauen
keine Tempel und keine Kirchen
nur ein flüchtiger Schutz für die Träume
nur ein Ruheplatz in Zeiten der Unruhe
eine für Mose
eine für Elija
eine für Jesus

Klaus Heidegger, am Fest der Verklärung Jesu, 6.8.2022

Die Verklärung Jesu

Die Geschichte von der Verklärung Jesu hat sich tief in unser christliches Glaubenswissen eingeprägt. Viele Bilder und Darstellungen helfen uns, die bei allen drei Synoptikern in fast gleicher Weise geschilderte Szene in Erinnerung zu halten. Ich erinnere mich noch heute daran, wie ich vor einigen Jahren in den Vatikanischen Museen lange vor Raffaels Gemälde „Die Transfiguration Christi“ gestanden bin – zu lange für die Schülergruppe, die ich damals führte und die ungeduldig auf ihren Prof. wartete.

Die Geschichte von der Verklärung Jesu ist schnell erzählt: Jesus hat drei Jünger – Andreas, Jakobus und Petrus – beiseite genommen und sie auf einen nicht näher bezeichneten Berg geführt. Dort verwandelt sich Jesus vor ihren Augen. Sie sehen ihn mit Mose und Elija reden. Ganz hell-weiß-strahlend ist dieses Erlebnis für sie, wunderschön. Da kommt die so verständliche Reaktion des Apostelfürsten Petrus, dem Struktur und Amt stets ein großes Anliegen sind. Ganz praktisch denkend will er dieses Ereignis bewahren und schlägt sofort vor: „Lasst uns drei Hütten bauen!“

Sozialhistorisch-politisch ist die Haltung des Petrus und der Jünger verständlich. Sie wussten wohl längst, wohin ihr radikaler Weg des Widerstands führen könnte. Wenn sie mit ihrer Kritik an der römischen Besatzungspolitik und an der Lokalaristokratie in Jerusalem so weiter machen würden, dann könnte es ihnen ergehen wie all den jüdischen Widerstandskämpfern: im schlimmsten Fall ein grausamer Tod am Kreuz. Dass Jesus aber mit Mose und Elija auf Augenhöhe ist, ermutigt die Jünger dann doch trotz all der Gefahr, ihre Existenz als Wanderradikale wieder aufzunehmen und die messianischen Verheißungen nicht aufzugeben. Gestärkt vom Verklärungserlebnis wagen sie wieder den Abstieg in die Niederungen.

Die römisch-katholische Kirche hat sich manchmal auf Geheiß der Nachfolger des Petrus im Laufe der Kirchengeschichte nicht mit „Hütten“ begnügt, sondern Paläste erbauen lassen. Manche dieser Mauern lähmen heute noch christliches Leben und verfestigen Ungleichheiten und Abhängigkeiten.  Die manifestierte Genderungerechtigkeit in der Kirche ist ein Ausdruck davon.

Die Geschichte von der Verklärung Jesu hat aber nicht nur die genannte politische sowie kirchlich-systemkritische Funktion. Ich denke an eigene Verklärungserlebnisse und Erfahrungen, wo ich wie Petrus fühlte und dachte und Hütten bauen wollte. Dann aber kommt es zu jenem auch schmerzlichen Augenblick: Ich kann das erfahrene Licht nur als kostbaren Schatz in der Seele bewahren. Zugleich schenken mir solche Verklärungserlebnisse den Glauben an eine Welt, in der Himmel erfahrbar werden kann, oder, um es mit einem Aphorismus von Nietzsche und später von Frankl zu sagen: „Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie?“

Klaus Heidegger