Karwendel- und Rofandurchquerungen

Wie gewohnt startet meine Bergunternehmung heute wieder mit einer kurzen Fahrt mit dem Zug. Von Innsbruck hinauf nach Scharnitz. Ab der Waldgrenze sind die Berge mit frischem Schnee bedeckt. Bei Seefeld werden die Bergspitzen von der aufgehenden Sonne rot gefärbt. Beim Start in Scharnitz ist es winterlich frisch. Ich kenne die kommende Strecke sehr gut. Einmal im Jahr – meistens im Herbst, nachdem der erste Schnee weiter oben gefallen ist – mache ich die klassische Karwendeltour. Heute plane ich noch eine Verlängerung hinein in den Rofan und hinunter nach Brixlegg. Ganz einsam geht es das Karwendeltal hinein. Dort, wo tief unten der Karwendelbach durch eine Schlucht rauscht, erwischt mich ein erster Sonnenstrahl. „Hallo Sonne!“, sagt mein Herz, und wünsche, dass sie auch ins Dunkle dieser Welt scheine. Ich fahre moderat und passiere die erste von vielen Almen, über die ich heute fahren werde. Knapp vor dem Karwendelhaus begegnen mir die ersten Menschen, die auf der Hütte schliefen. Weil ich so meditativ fuhr, brauche ich dann bis zum Hochalmsattel knapp länger als die geplanten zwei Stunden. Auf 1800 Hm. Mein höchster Punkt heute. Nur ein paar Meter musste ich im Schnee schieben. Das Panorama ist wieder einzigartig. Wie ein Adlerhorst pickt das große Karwendelhaus an den Felsen hoch über dem Karwendeltal. In den Felswänden kann sich dort, wo die Felswände nicht ohnehin senkrecht sind, der Neuschnee halten.

Tiefblau ist der Himmel. Schneeweiß die Wolken darin. Ich atme die kalt-frische Berg-Schnee-Karwendelluft ein. Die Trailstrecke hinunter zum Kleinen Ahornboden ist inzwischen weit besser gemacht worden und zum Fahren problemlos. Noch sind die knorrig-dicken Ahornbäume nicht im Herbstkleid. Mächtig bäumt sich im Norden die Kesselwandspitze auf. Hinten bei der Falkenhütte sind die Riesenwände der Laliderer. Einsam weiter hinaus durch das Johannestal Richtung Hinterriß und dann wieder Richtung Eng. Es wird Mittag, als ich vom Großen Ahornboden aus den Anstieg hinauf zur Plumsjochhütte beginne. 650 Höhenmeter sind es bis auf 1650 Hm. Die Sonne wärmt etwas, ohne dass es wirklich warm wird. Kuhherden sind auf den Almweiden. Nur einmal werde ich von zwei E-Mtb-Fahrern überholt. Am zweiten Joch nun der Blick hinüber zur Seekarspitze und Seebergspitze – zwei Gipfel hoch über dem Achensee, auf dem ich noch vor wenigen Wochen stand. Der Herbst bietet mir immer Gelegenheit zurück zu blicken auf die Bergtouren des vergangenen Sommers.

Die Fahrt hinunter ins Falzthurntal ist stellenweise so steil, dass ich zwei Mal absteige und liebe schiebe. Vorbei am Gasthaus und hinaus nach Pertisau. Nun bin ich wieder in dem, was als Zivilisation bezeichnet wird. Der Achensee als Hot-Spot des Tourismus. An seinem West-Süd-Ostufer fahre ich entlang, mein Blick meist auf das tief-grüne Wasser zu meiner Linken. Achenkirch. Stärkung mit zwei Kasweckerl und es beginnt der letzte größere Anstieg für heute. Es wird wieder sehr sehr einsam.  Hätte ich einen Unfall, würde mich niemand finden in dieser verlassenen Berglandschaft zwischen Köglam und Steinberg im Rofan, dort, wo nur mehr Wälder, Schluchten, weißgezuckerte Bergketten und Almen sind. Von Steinberg schließlich  Richtung Kaiserhaus und dann über Aschau – noch einmal einen 160 Hm-Anstieg – der Brandenberger Ache entlang nach Brixlegg. Zwischen Wattens und Innsbruck ist Schienenersatzverkehr und ich habe die überraschende Gelegenheit, das heutige Kilometerkonto noch zu erhöhen. 3490 Höhenmeter und 130 Kilometer zeigt mir der Radcomputer. Unmessbar ist die Fülle an Natur, am Erlebnis von Höhen und Tiefen, an Gerüchen, an Gedanken und Gefühlen.

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