Teuflische Energien oder göttliche Geistkraft: Zwischen Oppenheimer und Jägerstätter

Der Blockbuster des Sommers 2023, „Oppenheimer“, zählt angesichts meiner pazifistischen Orientierung zum Pflichtprogramm, um die Mentalität jener Männer besser zu verstehen, die die schrecklichsten aller Waffen in Auftrag gegeben und konstruiert haben. Das Dreistunden-Biopic  eröffnet Einblicke, welche teuflischen Energien Menschen antrieben, um Vernichtungswaffen zu erfinden und dann auch anzuwenden. Als Theologe zählt nicht die Quantenphysik zu meiner wissenschaftlichen Expertise, wohl aber die Auseinandersetzung mit dem, was mit „Gott und Teufel“ zu tun hat. Wer sich mit Nuklearwaffen auseinandersetzt, wird aber bald auch zu jener Erkenntnis kommen, die im Oppenheimer-Epos deutlich wird: Physik und Ethik, Naturwissenschaft und Theologie – sie müssen stets zusammen gesehen werden. Jede technologische Erfindung braucht eine aufgeklärte religiöse Perspektive, damit sie nicht zum Unheil für Mensch und Mitwelt wird, genauso wie religiöses Bewusstsein sich an naturwissenschaftlichen Vorgaben zu orientieren hat.

Ich sah den Film von Christopher Nolen am Gedenktag von Franz Jägerstätter. Der selige Kriegsdienstverweigerer aus dem Innviertel wurde vor 80 Jahren in Brandenburg hingerichtet, weil er sich teuflischen Logiken verweigerte: der Brutalität und Unmenschlichkeit der Nazideologie sowie militärischen Logiken widersagte er mit der Gesinnung, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Jägerstätter ist göttlichen Prinzipien gefolgt. Für ihn galten die Worte des Evangeliums: „Selig, die keine Gewalt anwenden, … selig die Friedensstifter, … wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen …“ Mit Beelzebul können Dämonen nicht ausgetrieben werden – wohl aber mit göttlichem Geist – so die jesuanische Logik und Praxis. Das Beispiel Jägerstätter, der Gewaltverzicht Jesu und seine Worte sind auch die Folie, mit der ich auf das Manhattan-Projekt und die Entwicklung der Nuklearwaffen blicke.

Oppenheimer wird im Film als „Vater der Atombombe“ tituliert. Diese hat aber wohl viele „Väter“. Hitler ist der schrecklichste davon, schließlich waren die Forscher im Manhattan-Projekt getrieben von der Vorstellung, dass man noch vor den Nazis eine Atombombe haben müsste. Die US-amerikanische Kriegslogik lautete immer schon – bis zum heutigen Tag: Böses mit noch raffinierterem Bösen bekämpfen oder eindämmen zu wollen. Oppenheimer als Leiter des Manhattan-Projekts, so die Aussage im Film, rechtfertigte seine atomaren Anstrengungen damit, dass die Atombombe so schrecklich sei, dass sie a) einerseits nie eingesetzt werden würde und dass sie b) allein aufgrund ihres Schreckens zu einer Abrüstung führen könnte. Der Film zeigt die Tragik, dass sich in beiden Fällen Oppenheimer und sein Team getäuscht hatten: „Das Besen, Besen sei’s gewesen …“ funktionierte nicht mehr. Oppenheimer musste sich erleben als Zauberlehrling, der nicht mehr Herr über seine Erfindungen sein konnte. Die Herren in Washington hatten ihre Bombe. Zweimal wurde sie eingesetzt. Längst schon hatten die Kriegsherren die Strategie, nicht gegen feindliche Soldaten zu kämpfen und die militärische Infrastruktur des Gegners zu bombardieren, sondern Vernichtungsschläge durchzuführen, die vor allem die Zivilbevölkerung trafen. Die Gräuel von Hiroshima und Nagasaki waren kalkuliert.

Im Film wird Oppenheimer als Mann, Physiker, Naturwissenschaftler und letztlich Philanthrop charakterisiert, der sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs der atomaren Kriegslogik verweigerte. „Ich habe Blut an den Fingern …“, sagte er nach den beiden Atombombenabwürfen in einem Gespräch mit dem Präsidenten Truman. Dem militärisch-industriellen Komplex war es dann in der McCarthy-Ära ein Ärgernis, dass gerade der prominenteste Erfinder der Atomwaffe zum Gegner der atomaren Hochrüstungspolitik wurde. Der Filmplot ist so gezeichnet, dass das Leben von Oppenheimer aus der Perspektive des Anklagetribunals rückgeblendet wird. Oppenheimer fällt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wegen seiner atomkritischen Haltung in Ungnade. Man wirft ihm vor, ein Sympathisant und Unterstützer der Sowjetunion zu sein.

Als wir uns als Katholische Jugend in den 80er-Jahren an den großen Friedensdemonstrationen gegen die NATO-Nachrüstung engagierten, wurde uns – auch von Bischöfen – vorgeworfen, wir seien die „nützlichen Idioten“, die den Sowjets in die Hände arbeiteten. Papst Franziskus spricht mit Blick auf die atomaren Bedrohungen heute – so zuletzt in einer Grußbotschaft an das G-7-Gipfeltreffen in Hiroshima im Juni 2023 – eine eindeutige Sprache ohne Wenn und Aber. Atomwaffen würden die Kriegsgefahr nur vervielfachen und nur eine „Illusion des Friedens“ vortäuschen. Mehrmals hat der Papst davon gesprochen, dass eine Welt frei von nuklearen Waffen nötig und möglich sei. Oppenheimer würde ihm heute wohl Recht geben. Der Weg zur nuklearwaffenfreien Welt geht über Verträge. Wie notwendig dies ist, zeigt einmal mehr die Doomsday Clock. Momentan steht die Weltuntergangsuhr 90 Sekunden vor Mitternacht – so nahe einer globalen Katastrophe wie noch nie seit der Erfindung der Atomwaffen unter Oppenheimer. 1947, als Oppenheimer vor einem atomaren Wettrüsten warnte, waren es noch sieben Minuten. Je mehr vor allem der Krieg in der Ukraine eskaliert, desto näher rückt der Zeiger Richtung Mitternacht; je mehr die NATO sich als Militärmacht Richtung Osten ausdehnt, desto bedrohlicher wird es. Daher gilt mehr denn je: Nicht noch mehr Geld in Aufrüstung und Militarisierung pumpen, sondern Abrüstung; nicht noch mehr militärische Unterstützungen für kriegsführende Länder, sondern Bereitschaft für Waffenstillstand und Friedensverhandlungen fordern.

Klaus Heidegger

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