Rennradschaukelnd an den Rändern von Ötztal, Pitztal und Kaunertal

Verkehrslamento

Zusätzlich zum Klimaticket habe ich stets die Monatskarte (€ 18,-) zum Mitnehmen des Fahrrades. Ich schreibe dies bewusst als Ansporn, dass manche, die meinen Blog lesen, zu solcher Öffi-Variante greifen, wenn sich nicht alles von der Haustür weg mit dem Rad erreichen lässt. Und wieder könnte ich mit meinem Lamento beginnen: Vom Autolärm in der Stadt, in der sich Auto an Auto reiht, die die Straßen verstopfen und wo Radfahrende an die Ränder gedrängt werden (Passivum!). Von den Autokolonnen, die ich auf der Oberinntalautobahn sehe, während ich im fast leeren Regionalexpress sitze. Jene, die im ganz „normalen“ Stau stehen, empören sich, wenn zu ganz seltenen „heiligen“ Zeiten – weil diese Zeiten „geheiligt“ sind – eine kurze Blockade oder ein Slowmarch der Letzten Generation stattfindet. Der letzte kurze Demozug war am Montagmorgen in Innsbruck. „Hört auf den Klimarat“ stand auf einem der Transparente, das mit den beiden Gehzeugen mitgetragen wurde. Angesichts der dramatischen Unwettersituation sollten doch alle noch mehr begreifen: Es braucht eine radikale Umkehr in der Verkehrspolitik!

Tälerschaukeln mit Rennrad

Meine Tour beginne ich am Bahnhof Ötztal. Die Kältephase der letzten Tage hat die Bergspitzen bis weit hinunter mit frischem Schnee angezuckert. Der Weg führt kurz durch das Naturschutzgebiet Forchet mit den Tomahügeln. Der Sturm, der vor zwei Wochen hier tobte, hat einige der Kiefern wie Strohhalme geknickt. Jedes Mal, wenn ich durch das Forchet radle, spüre ich Dankbarkeit, dass ein kleines Stück vom Inntal noch relativ unberührt ist und dass hier Tausende Tier- und Pflanzenarten ein Refugium gefunden haben. Für meine Fahrt wähle ich eine Strecke, in der ich möglichst wenig „Auto-Kontakt“ habe. Von Roppen zweigt die kleine Landstraße nach Wald ab – die erste rechtsseitige Gemeinde hoch über der Schlucht, mit der das Pitztal vor dem Inntal endet. Für die Erdpyramiden, die hier zu finden wären, nehme ich mir ein anderes Mal Zeit. Dafür verweile ich in der denkmalgeschützten Pfarrkirche von Jerzens. Figuren und Statuen erzählen mir Geschichten: Ein Grabrelief aus dem frühen 16. Jahrhundert, das aus dem Engadin stammt. Reformatoren sollen es im Engadin in den Inn geworfen haben und bei Prutz soll es dann herausgefischt worden sein – und jetzt erzählt es mir ein Stück Kirchengeschichte. Die heilige Barbara am rechten Seitenalter mit einem Kelch und einer großen Hostie protestiert wohl dagegen, dass Frauen über Jahrhunderte der Dienst am Altar verweigert wurde. Der Kirchenpatron Gotthard lässt mich eintauchen in das Mittelalter – und tatsächlich geht auch die Besiedelung von Wald und Jerzens in diese Zeit zurück. Gotthard war jedenfalls ein Reformator zu seiner Zeit – und solche würde es heute dringend brauchen.

Wie bei einer Schaukel geht es nun hinab zur Pitze und auf der anderen Talseite meine „Heimstrecke“ hinauf zum Piller auf knapp 1600 m. Manchmal zucke ich zusammen, wenn Motorräder mit ihrem Höllenlärm an mir vorbeidonnern. Am Waldweiher kurz vor der Pillerhöhe komme ich nicht vorbei, um mir Zeit für eine Rast zu nehmen und ins braune Moorwasser zu schauen, in dem sich Himmel und Bäume zugleich spiegeln und so werden Himmel und Wasser und Bäume eins. Die dicken und großen Fische, die nun dort sind, anmieren mich aber nicht, um selbst ins Wasser zu steigen. Die weitere Strecke über Wiesenhof, Kaunerberg, Kauns und vorbei an der Burg Berneck, die stolz auf einem Felsen hoch über dem Faggenbach thront, ist wohl eine der schönsten von Tirol. Die mächtigen Felstürme des Kaunergrats tragen ein frisches Schneekleid.

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