
Vögel fliegen unweit der Bergstation der Albonabahn II. oberhalb von Stuben zu einem mehrstöckigen Vogelhaus. Schneefahnen haben sich am Holz gebildet. Mein Gedanken gehen zu den zarten Geschöpfen, die doch so stark sind. Nur wenig brauchen sie, um hier oben in Kälte, Wind und Schnee leben zu können. Ihr Körper ist angepasst an das Natürliche. „Lernt von den Vögeln …“, sprach einst ein Weisheitslehrer, dessen Worte in die Evangelien eingegangen sind.
Unter den 85 Liften, die es im Skigebiet Arlberg gibt, mag ich die wenigen alten am liebsten: Den Schlepplift bei der Vallugabahn oder den alten Sessellift im Albona-Gebiet. Meine Gleichung lautet: Je mehr monströse Technik, desto weniger Begeisterung bei mir. Ich brauch keine geheizte Sitzfläche und keine Bügel, die sich von alleine öffnen. Ich möchte Natur spüren und keine Technik. Eine andere Gleichung habe ich noch: Je mehr plattgewalzte oder feinrippige Piste, desto weniger mag ich es, je unberührter die Hänge, desto lieber suche ich mir da eigene Spuren. Je mehr Partybetrieb rund um eine der gigantischen Liftstationen, desto schneller suche ich das Weite, je mehr ich nur dem Wind lauschen kann, desto wohler fühle ich mich. Da tut es gut, solche Eigenheiten miteinander zu teilen und die Freude an den Bergen und der Bewegung darin, an den frisch verschneiten imposanten Gipfeln, den Schneeflanken, deren strahlendes Weiß sich vom schwarzen Felsen am diesem Strahletag deutlich abhebt, den Nebelschwaden, die das Stanzertal und das Klostertal am Morgen noch bedecken.
An diesem Tag, an dem der Frühling schon zu warm geworden ist und der Technikschnee – Kunstschnee ist der Schnee aus Kanonen und Lanzen wohl nicht, vielmehr technokratisches Wassergemisch – sich beginnt, wieder in Wasser aufzulösen, lasse ich mich wieder ein in freizeitticket-ermöglichtes Skigebietserleben. Meine Stimmung schwankt zwischen zivilisationskritischen Gedanken einerseits und Dankbarkeit, eine besondere Bergwelt gemeinsam erleben zu können.
Beim Durchgehen durch eine der Talstationen in Lech wird mein Sprachsinn herausgefordert. Die Sprache wird zurecht gerichtet und entfremdet, so wie die Berge zurecht gerichtet und entfremdet werden für – Karl Marx würde es so nennen – die entfremdeten Bedürfnisse der Menschen, die sich fremd geworden sind und entfremdet werden, damit sich Kapital bilden und vermehren kann. Ein Plakat wirbt für das Music-Festival – warum nicht Musikfest? Auf Ankündigungen wird dazu eingeladen, sich auf den „Dancefloors“ zu angesagten „Sounds“ einzufinden.
Gegen Mittag wird der Schnee immer weicher. Eine Naßschneelawine ist auf eine der Skirouten hinunter nach Lech abgegangen. Wir waren beim Abseitsfahren heute trotz LVS-Ausrüstung sehr zurückhaltend. Noch einmal nehmen wir einen Umweg und folgen dem Weißen Ring – hinauf und hinab, der nasse Schnee bremst – pünktlich sind wir aber dann nach einer Speedabfahrt beim Zug. Das Klimaticket ist wohl eine der besten politischen Erfindungen der vergangenen Jahre. In der Seele soll die Schönheit der Bergwelt abgespeichert bleiben und die Sehnsucht, diese erhalten zu wollen. Dazu braucht es wohl ein Leben, das im Einklang mit der Natur sein will – und Menschen, die sich in solchem Bemühen unterstützen.
klaus.heidegger
(Fotocredit.: M.)