
Lang und schön und sanft ansteigend ist das Hochtal, das vom kleinen Weiler Stein im hinteren Pfitscher-Tal zur Hochfeiler-Hütte führt. Von der Pfitscher-Joch-Straße biegt rechts ein Steig ab. Es geht über eine imposante Holzbrücke über der Schlucht des Oberbergbachs und dann stets hoch über dem Gliderbach den Flanken entlang. Der Steig ist gut begehbar. An einer exponierten Stelle sind Seilversicherungen. Die Sträucher und Bergwiesen duften an diesem frühen Morgen. Der Himmel ist tiefblau. Unwetter oder Wetterumschwung wird es heute nicht geben. Die Hochfeilerhütte lassen wir nach zwei Stunden beim Aufstieg rechts von uns liegen. Ein kürzerer Steig führt daran vorbei. Je höher wir steigen, desto mehr tun sich Tiefen und Grate und Gipfel um uns herum auf. Das Gestein unter unseren Füßen ändert sich ständig. Einmal ist es schottrig mit lettig-braunem Untergrund, ein anderes Mal sind es unendlich viele Granitplatten, von denen etliche als Wegweiser aufgestellt wurden, dann wieder gehen wir über silbrig schimmerndes Gneisgestein und der sich auftürmende Gipfelgrat ist eine Mischung aus verwitterten Gesteinsbrocken und festen Felsen dazwischen, die mir zum Glück etwas mehr Halt geben als das rutschige Zeugs zwischendrin. Nur mehr ganz schwach hält sich am Südwestgrat ein Firnstreifen. Man kann rechts davon über Blockwerk ohne Schnee-Eis-Kontakt hinaufsteigen. Einst galt die „Hochfeiler-Nordwand“, die fast senkrecht 300 Meter zum Schlegeiskees hinunterfällt, als eine der größten Eiswände der Alpen. Von einer Eiswand sieht man nichts mehr. Grün-bläulich erstreckt sich weit unten der Schlegeisspeicher. Auf der anderen Seite pickt darüber an den grünen Flanken das Furtschaglhaus. Der Große Möseler hat wie all die anderen einstigen Gletscherberge viel von seiner Gletschermasse verloren. Gräulich ist die Gletscherzunge, die sich von seinem Gipfel hinunterzieht. Tief unter uns liegt zur Rechten der Gliderferner mit vielen Spalten und links davon die Reste des dahin schmelzenden Weißkarferners. Dorthinein kullern lautstark Steine, die sich von der Flanke des Hochferners gelöst haben. Nach einer langen Gipfelrast, bei der ich ein Bein nach Österreich und das andere nach Italien baumeln lasse, wählen wir den Abstieg über die Hochfeilerhütte (2765m) und werden dort vom Hüttenpersonal verwöhnt. In einer Internetbeschreibung steht, dass die Hütte von wunderbarer weißer Gletscherwelt umgeben sei. Wir sehen nackte steinerne Moränen und all die Wände hinauf sind ohne Schnee und Eis. Dieses Bild und diese Eindrücke nehme ich dann mit hinunter ins Tal und verknüpfe es mit Aussagen, die die Gletscherforscherin Andrea Fischer erst gestern in einem Zeitungsinterview formulierte. Die Klimaveränderung lasse sich am Schwund der Gletscher am besten nachweisen. Unter den gegenwärtigen Klimabedingungen seien die Gletscher nicht mehr existenzfähig. Der Rückgang des Permafrostes werde weitere Massenbewegungen auslösen. Was sagt die Wissenschaftlerin aber noch? Sudern hilft nicht. Und: Jedes halbe Grad weniger Erwärmung würde den Gletschern nützen.
Dazu bräuchte es eine Änderung in der Politik wie im Verhalten der Masse und während ich das Tal hinaus wandere – zurück in das, was „Zivilisation“ genannt wird, denke ich nach über das, was mich als politische Wirklichkeit gegenwärtig umgibt: Eine Abkehr von einer klimabewussten Politik, weil die fossile Autowirklichkeit trotz ihrer Klimaschädlichkeit nicht eingeschränkt wird. Im Gegenteil: Das Dieselprivileg bleibt und das Klimaticket wird verteuert, der Pendlereuro wird verdreifacht und die Normverbrauchsabgabe für leichte fossile Nutzfahrzeuge wird abgeschafft. All die Menschen, die in diesen Tagen Hunderte von Kilometern zu irgendwelchen Urlaubsdomizilen fahren oder fliegen, möchte ich gerne die sterbenden Gletscher und bröckelnden Berge zeigen. Ob sie auch zum Umdenken anfingen?