Barmherzigkeit oder unbarmherzige Rechtgläubigkeit

Unbarmherziger Anspruch auf die Rechtgläubigkeit
Wo hört es auf, wenn man beginnt, anderen vorzuhalten, man sei vom „rechten Glauben“ abgekommen? Die salafistischen Extremisten begründeten ihren Anschlag auf eine schiitische Moschee in Kuwait (26.6.2015) mit dem Argument, die Shiiten seien vom rechten Glauben abgekommen. Der Grundakkord des Glaubens an einen barmherzigen Gott wird wegen eines einseitig interpretierten, historisch bedingten Glaubenssatzes missachtet.
Wer bestimmt die Rechtgläubigkeit? Fundamentalisten machen sich selbst zum Richter über das, was wahr sein soll. Die Welt wird fein säuberlich sortiert: Hier sind wir, die Rechtgläubigen, dort sind die Ketzer, die Irrgläubigen, die es zu bekämpfen gilt. Das unbeugsame Diktum lautet: „Die Kirche lehrt den Willen Gottes, der auch heute gilt.“ Das ist der Boden, aus dem sich die Glaubenskriege der Vergangenheit nährten. Es wird zum „Höllensturz der Irrlehrer“, wie er sich landauf landab in den barocken Fresken unserer Kirchen abgebildet hat. Die Kreuzzüge des Mittelalters, die brutale Verfolgung der hutterischen Gemeinden hierzulande, der Dreißigjährige Krieg und vor allem die Pogrome gegen Juden und Jüdinnen: Jene, die zu den Schwertern griffen, die Scheiterhaufen errichteten, Guillotinen aufbauten, Gewehre munitionierten, um den eigenen Glaubenssatz zu verteidigen, gaben jede Barmherzigkeit auf.
Die selbsternannten Rechtgläubigen gründen ihre Ideologie auf eine fundamentalistische, meist buchstäbliche Umsetzung von willkürlich ausgewählten Sätze von heiligen Schriften, die auch die Basis wurden für religiöse Doktrinen, die wiederum nicht interpretiert, sondern exekutiert werden sollen. Historisch-kritische Exegese und Bezug auf vernunftgemäße, human- oder sozialwissenschaftliche Erkenntnisse werden ignoriert.
Wir kennen die selbsternannten „Rechtgläubigen“ auch in der katholischen Kirche. Das Scheidungsverbot aus dem Matthäusevangelium war von Jesus und der matthäischen Gemeinde gedacht, um Frauen vor der Willkür der Männer in Schutz zu nehmen. Kein Mann sollte mehr seine Frau einfach in die sprichwörtliche Wüste schicken können, in die Rechtlosigkeit, in die Sexsklaverei – nur weil er sich in eine andere verschaute oder mit dem Vorwand, seine rechtmäßige Ehefrau habe ihm den Hirsebrei nicht gut genug gekocht. Barmherzigkeit war das Motiv für den Satz „was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen“. Mit Unbarmherzigkeit wollen die Rechtgläubigen heute einer Situation begegnen, in der sich Frauen von ihren Männern oder Männer von ihren Frauen trennen, weil die Erwartungen an eine Beziehung nicht erfüllt werden konnten. Die ursprüngliche Intention wird von den traditionalistischen Rechtgläubigen ins Gegenteil verkehrt, wenn sie geschieden Wiederverheiratete vom Empfang der heiligen Kommunion ausschließen wollen oder den neuen Beziehungen den Segen der Kirche verweigern. Geschiedene sollen sich wie Sünder und Ausgestoßene fühlen.
Ähnlich ist auch der Umgang mit Homosexuellen. Der Apostel Paulus hatte nicht die Absicht, schwule Beziehungen zu diskriminieren, wenn er vor der Homosexualität warnte. Ihm ging es um eine berechtigte Kritik an der Praxis von Lustknaben, die heute unter den Pädophilenparagrafen fallen würde.
Die Grundmelodie von Papst Franziskus ist der „Dialog des Lebens“ (Evangelii Gaudium). Das hat nichts mit Beliebigkeit zu tun, sondern mit der Grundentscheidung, die Zärtlichkeit und Barmherzigkeit unseres Gottes inmitten der Lebenswirklichkeiten zu entdecken und durchzuhalten. Wenn kirchliche Lehre mit dem „Wort Gottes“ identifiziert wird, dann widerspricht es wohl dem Grundgebot, sich kein fixes Bild von Gott zu machen. Daher würde ich jenen Satz von Pater Volker (Kirchenzeitung, „Sonntag“, 25.6.2015) „… das Wort Gottes und die kirchliche Lehre stellen sich wenn notwendig der menschlichen Sicht- und Lebensweise entgegen…“ selbst nie schreiben können, sondern erfahre vielmehr. Gerade in den Gebrochenheiten und Unzulänglichkeiten unseres Lebens kann Gottes Gegenwart – vermittelt durch menschliche und gemeinschaftliche Nähe – erlebt werden. Gott stellt sich nie gegen unser Leben, sondern hilft uns, dass wir – wenn wir wollen – uns an ihr ausrichten können. Jedenfalls ist es ein Gott, der den Regenbogen zu seinem Zeichen erkoren hat: Ein bunter Regenbogengott, fern von allen fundamentalistischen Kleinkariertheiten, ein Gott, der leben lässt, eine Geistkraft, die immer wieder neue Anfänge schenkt, nicht verurteilt, sondern aufrichtet. In den Worten von Professor Niewiadomski höre ich diese Botschaft heraus. Darum bin ich der Redaktion der Kirchenzeitung dankbar, dass sie diese Worte hörbar macht.
Klaus Heidegger, 27.6.2015

Kommentare

  1. Danke, Klaus für deinen Artikel.
    Barmherzigkeit ist in jeder Religion notwendig. Und gerade in unserer Glaubensgemeinschaft scheint es eine nicht kleine Gruppe zu geben, die meint, das Wahre und Reine zu alleinig besitzen, zu verwalten und gnadenhalber an für sie würdig Befundene weitergeben zu dürfen.

    Wir waren gestern Zeuginnen und Zeugen eines 25-jährigen Priesterjubiläums im Tiroler Oberland. Der Gottesdienst wurde in der außerordentlichen Form der Römischen Ritus zelebriert: Messe großteils in Latein (auch das Evangelium), Hochgebet am Hochaltar (Volksaltar gibt es dort erst keinen), Wandlung in absoluter Stille, es wurde lediglich mit dem Rücken zum „Fußvolk“ die verwandelte Gaben hochgehoben. Doch am schockierendsten war die Predigt von der Kanzel herab. Der Festprediger und seine brüderliche Priestergruppe wissen offensichtlich genau wo’s langgeht, wer würdig und wer oder was sündig ist – von Barmherzigkeit wenig zu spüren…
    Es wurde auch ziemlich gegen die Amtskirche gewettert, die sich nur des Kirchenbeitragsgeldes wegen anbiedert. Sie sehen sich als die letzte Bastion, die noch am einzig Wahren festhaltet.

    Wenn ich diesen Fundamentalismus und Fanatismus in einer anderen Glaubensgemeinschaft wahrnehmen würde, würde ich glatt Angst bekommen. So habe ich nur den Kopf geschüttelt und mir gedacht, dass ich froh bin, ein anderes Verständnis von Gott, Seiner Größe und Seines weiten Herzens zu haben.

    LG
    Eva

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