Republikanischer Umkehrschwung in Österreich

Die Zweite Republik wird also doch nicht durch eine Dritte Republik abgelöst werden. Die repräsentative Demokratie wird nicht ausgehebelt durch eine Politik, die auf eine autoritäre präsidentielle Machtausübung setzt  und eine Rückwärtsentwicklung in die Zwischenkriegszeit bedeutet hätte. Unser demokratisches System wird nicht durch eine Vielzahl von Plebisziten ersetzt werden, die komplexe Politik auf ein Ja/Nein reduzieren würde.  Diese Republik wird nun für 6 Jahre ein Staatsoberhaupt haben, das zwar von der Hälfte aller Wähler und Wählerinnen nicht gewählt wurde, dennoch etwas mehr als die andere Hälfte repräsentiert.

Norbert Hofer und seine FPÖ wurden noch einmal in die Schranken gewiesen. Der Kampf der blauen Führungsriege gegen das, was sie als „System“ diffamieren, hatte knapp keinen Erfolg. Sonnenblumen und rote Nelken können nun zur Tischdeko in der Hofburg werden und blaue Kornblumen bleiben dort, wo sie hingehören: In ein Kapitel der österreichischen Geschichte, das aufgearbeitet Geschichte bleiben soll.

Diese Republik wird unter einem Bundespräsidenten Van der Bellen einen Repräsentanten haben, die ihre Türen weltoffen halten wird. Österreich inmitten von Europa wird dort, wo es nötig ist, europäisch denken und handeln und nach gemeinsamen statt nationalstaatlich-egoistischen Lösungen streben. Österreich wird vor allem ein Herz für die Not in der Welt haben und seine Neutralität bestmöglich nützen, damit Frieden geschaffen und nicht Kriege vorbereitet und geführt werden. Wieder hat sich das berühmte Diktum von Hölderlin bewahrheitet: „Wo Gefahr ist, wächst auch das Rettende.“

Mit einem weinenden Auge blicke ich auf die mehr als zwei Millionen Wähler und Wählerinnen, die diesmal blau und Norbert Hofer gewählt haben. Mit noch mehr Freude aber gilt es heute den republikanischen Umkehrschwung wahrzunehmen, jene große Allianz zwischen all den Parteien, Gruppierungen, Persönlichkeiten, KünstlerInnen, PolitikerInnen sowie auch kirchlichen Organisationen, die sich vereint haben gegen die rechtspopulistischen, fremdenfeindlichen, islamophoben, autoritären Tendenzen, für die ein Norbert Hofer in den letzten Monaten zur Galionsfigur wurde.

Heute können wir mit Robert Menasse sagen: Die „Neuinszenierung  Österreichs“ kann gelingen. Wir haben VdB als HBP und damit wurden wir verschont von einem Mann, der populistisch kalkuliert Flüchtlinge als Invasoren nannte, von denen einige bereit seien, Köpfe abzuschneiden. Die antifaschistischen Kräfte waren, wie schon bei Bundespräsidentschaftswahlen zuvor, vielleicht wieder der entscheidende Faktor, dass nicht Blau sondern VdB  gewonnen hat. Erprobte und erfolgreiche Modelle, wie die Autonomie Südtirols, müssen sich nun nicht mehr durch Sager wie jenen von Norbert Hofer, „Südtiroler, eure Heimat ist Österreich“  infrage stellen lassen. Wer „Volksgenossen“ befreien will, hat  keinen Platz in der Hofburg gefunden.

Ja, wir haben nun einen Bundespräsidenten, der die Not vieler Menschen sieht, der Arbeitslosen und Mindestverdiener, der aber nicht Fremde, Flüchtlinge und Muslime dafür verantwortlich macht. Ein Wirtschaftsprofessor als Staatsoberhaupt wird nicht den Rückzug in die Volksgemeinschaft als Lösung vorgeben, sondern eine Politik der Kooperation über die Grenzen hinaus.

Möge das Signal VdB auch über die Grenzen hinaus wirksam werden, nach Deutschland, wo die AfD unaufhörlich an Macht zunimmt, nach Ungarn oder Polen, wo die Welt sieht, wie demokratische Errungenschaften durch rechtsradikale Regierungen aufgehoben werden, nach Frankreich, wo Marine Le Pen immer mehr zur stärksten Kraft wird. Heute gilt: Tu felix Austria!

Klaus Heidegger, 23.5.2016

Kommentare

  1. Den „republikanischen Umkehrschwung“ wahrzunehmen, ist meiner Meinung nach etwas blauäugig… . „Jene große Allianz zwischen all den Parteien, Gruppierungen, Persönlichkeiten, KünstlerInnen, PolitikerInnen sowie auch kirchlichen Organisationen, die sich vereint haben“ ist in Wirklichkeit eine Reihe von Wahlempfehlungen einzelner Personen gewesen, die sich klar „gegen die rechtspopulistischen, fremdenfeindlichen, islamophoben, autoritären Tendenzen, für die ein Norbert Hofer in den letzten Monaten zur Galionsfigur wurde“ aussprachen. Das äußerst knappe Wahlergebnis aber zeigt, dass auch sehr viele Personen dieser Parteien, Gruppierungen und kirchlichen Organisationen die Positionierungen dieser Menschen nicht mittrugen. Für mich hat sich ein tiefer Graben aufgetan, der in den nächsten Wahlkämpfen (und der Wahlkampf hat bereits begonnen!) noch wesentlich tiefer werden wird. Wir sollten schleunigst mit dem Brückenbauen anfangen….

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