Verschleiernde Verschleierungsdiskussion

 

Unser Land erstickt nicht unter dem Schleier einiger weniger fundamentalistischer Kräfte, die mit Kleidungsvorschriften weiblicher Freiheit Grenzen setzen und damit dem Anliegen des Propheten Muhammad, den Frauen mehr Freiheit zu geben, letztlich widersprechen. Vielmehr ersticken hierzulande Ortschaften unter dem Gedröhne und Gestank von Abertausenden Fahrzeugen. Motorradhorden auf Passstraßen nehmen die Freiheit, ungestört unser Land genießen zu können. Lkw-Kolonnenverkehr nimmt die Freiheit, eine gesunde Luft  atmen und ohne Lärmbelastung leben zu können. Unser Konsumverhalten und das neokapitalistische System nehmen die Freiheit von Millionen Menschen, die unter unwürdigen Arbeitsverhältnissen unsere smarten Geräte zusammenbauen oder nach deren Mineralien schürfen oder auf Obstplantagen unter Hungerlöhnen schuften. Das Notstandsgerede und die Barrieren gegenüber Flüchtlingen nehmen den Flüchtlingen das Recht, in europäischen Ländern Schutz vor Krieg und Verfolgung zu finden. Täglich ertrinken im Mittelmeer durchschnittlich sechzehn Menschen. Es mutet seltsam an, wenn Politiker bis hinein in die Regierungsspitzen unter dem Applaus rechtspopulistischer Kräfte nach einem Verbot von Burka oder Niqab rufen, zugleich aber taub sind für ein Verbot von Waffenlieferungen an kriegsführende Länder. Was es bräuchte, ist nicht ein Verbot von einem Stückchen Tuch, das tatsächlich einem lebens- und körperfreundlichen Lebensgefühl widerspricht und den Islam in ein frauenfeindliches Licht rückt, sondern eine Einschränkung der Produktion von Rüstungsgütern und entsprechender Exportverbote. Summa summarum: Die ganze Scheindiskussion der Politiker um Verschleierungsverbot lenkt von den wirklich wesentlichen Inhalten ab, denen sich eine verantwortungsvolle Politik stellen sollte. Sie befriedigt eine dumpfe islamophobe Grundstimmung und hofiert den grassierenden Rechtspopulismus. Positiv hingegen ist jedoch, wenn innerhalb des Islam klar argumentiert wird, dass nirgendwo im Koran eine Verschleierung angeordnet wird und damit keine religiöse Basis hat. Die Unterdrückung und menschenverachtende Diskriminierung von Frauen, die mit einer Vollverschleierung einhergeht, kann jedoch nicht auf der Ebene von staatlichen Verboten gelöst werden.

Klaus Heidegger

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