Mehr Altiero Spinelli, weniger Giuseppe Garibaldi

 

Die Mächtigen des „Kerneuropa“ offenbarten gestern (22.8.2016) auf dem Flugzeugträger Giuseppo Garibaldi vor der Insel Ventotone ihre Widersprüchlichkeit. Einerseits wollen sie beim kommunistischen Journalisten Spinelli anknüpfen, der auf dieser Insel während seiner Gefangenschaft seine Vision von einem geeinten Europa formulierte, das den Krieg hinter sich lässt. Andererseits aber setzt das Trio Merkel-Renzi-Hollande im Geist von Garibaldi demonstrativ auf militärische Stärke. Davon wollen sie nicht weniger, sondern mehr: Mit militärischer Macht sollen Flüchtlinge aufgehalten werden, nach Europa zu kommen. Auf dem Flaggschiff der italienischen Marine, das in den Kriegen der letzten Jahre ständig im Einsatz war – vor der Küste Somalias, im Kosovokrieg, in Afghanistan und in Libyen – wird militärisch-politische Einigkeit zelebriert. Spinelli schrieb 1941 auf Zigarettenpapier, das in ein ausgehöhltes Huhn versteckt wurde: „Selbst in Friedenszeiten – die als Ruhepause und Vorbereitung auf kommende unvermeidliche Kriege betrachtet werden – überwiegt heutzutage der Einfluss militärischer Kreise gegenüber den zivilen und erschwert so zusehends das Funktionieren freiheitlicher politischer Ordnungen: Schule, Wissenschaft, Produktion, Verwaltungsapparat dienen hauptsächlich der Steigerung des kriegerischen Potentials. Mütter sind nur noch Gebärmaschinen zukünftiger Soldaten und werden mit den gleichen Kriterien prämiert, die auf das Zuchtvieh Anwendung finden. Die Kinder werden bereits im zartesten Alter zum Waffendienst und zum Hass gegen die Fremden erzogen. Die individuellen Freiheiten werden auf Null gesetzt im Moment, da jeder militarisiert ist und jederzeit zu den Waffen gerufen werden kann. Immer neue Kriege zwingen die Menschen dazu, die Familie zu verlassen, den Arbeitsplatz, Hab und Gut, und das Leben hinzugeben für Objektive, deren Wert im Grunde genommen niemandem einleuchtet. In wenigen Tagen zerstört man die Anstrengungen von Jahrzehnten, die zur Hebung des allgemeinen Wohlstandes gemacht worden sind …“ Wenn zwar auch Spinelli von einer „europäischen Streitmacht“ geträumt hat, dann wohl nur deswegen, um den nationalstaatlichen Militarismus zu überwinden. Sein Traum von einem friedlichen Europa muss aber weitergeträumt werden. Kein waffenstarrendes Europa, sondern eines, das Frieden auf nicht-militärischem Wege anstrebt. Kein unsolidarisches Europa, sondern eines, das offen ist  gegenüber den Nöten dieser Welt. Kein Europa, das sich durch Waffenproduktion und Ausbeutung von Ressourcen im weltweiten Neokapitalismus behauptet, sondern eines, das die Produktion von Kriegsmaterialien begrenzt und achtsam mit den Schätzen dieser Welt umgeht.

Klaus Heidegger, 23.8.2016

 

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