Panzer gegen Flüchtlinge: Militärische Schließpolitik als populistisches Kalkül

Donald Trump hat vor einem Jahr mit dem Versprechen, eine Mauer zwischen Mexiko und den USA zu bauen, den Wahlkampf geführt und die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Die Migrations- und Asylfrage ist in diesen Sommermonaten hierzulande zum wichtigsten Thema im heimischen Wahlkampf geworden. Sebastian Kurz will sich als Schließer der Mittelmeerroute profilieren, nachdem er sich selbst stolz auch als Schließer der Balkanroute stilisiert hatte. Zugleich überholt Verteidigungsminister Doskozil den für diese Frage zuständigen Innenminister Sobotka und beginnt mit Vorbereitungen, Panzer und Soldaten am Brenner aufmarschieren zu lassen, um Flüchtlinge aufzuhalten. Flüchtlinge? In den Augen von Sebastian Kurz sind dies „Illegale“, die kein Anrecht auf Asyl hätten, Wirtschaftsflüchtlinge eben. Haben die Klimaflüchtlinge von heute, die wegen des Klimawandels keine landwirtschaftlichen Anbauflächen mehr haben, die zwar nicht mehr Angst haben, vor Bomben sondern vor Hunger zu sterben, keine Rechte? Kirchliche Organisationen, Menschenrechtsgruppen – die wieder neu mit dem Diktum „NGO-Wahnsinn“ von Sebastian Kurz leben müssen – und vor allem Menschen, die nicht nur um ihre eigenen Befindlichkeiten rotieren, lehnen jedenfalls die militärische Schließungspolitik ab.

Der Aufmarsch von Panzern und heimischen Soldaten an der Brennergrenze wäre ein gefährlich-falsches und inhumanes Signal. Ein Großteil der Geflüchteten kommt aus Kriegsgebieten. Oftmals haben sie traumatische Kriegserfahrungen hinter sich. Dort, wo sie Hilfe erwarten könnten, sähen sie sich nun mit Kampfuniformen, Panzern und Sturmgewehren konfrontiert. In den Köpfen und Herzen aller Beteiligten entsteht aufgrund martialischer Rhetorik das Bild vom „Krieg gegen Flüchtlinge“. Sie werden zu Feinden, die es zu bekämpfen gilt, während die Soldaten und das Militär als Verteidiger des Heimatlandes gelten. Welchen Sinn macht es, gegen unbewaffnete Armuts-, Klima- und Kriegsflüchtlinge mit Panzern und Maschinengewehren auszurücken? Zum Glück haben einige mahnende Worte von Seiten heimischer und ausländischer Politiker den österreichischen Verteidigungsminister etwas gebremst, der quasi schon den „Kriegsfall“ ausgerufen hatte – und dafür auch gleich Lob von Seiten der Freiheitlichen geerntet hatte. Noch gibt es einen Bundeskanzler, der unbeachtet der populistischen Stimmungen im Lande zur militärischen Zurückhaltung auffordert und stattdessen die Umsetzung der EU-weiten Flüchtlingsverteilungsprogramme einmahnt. Fakt bleibt jedoch, dass manche Politiker heute gerne die militärischen Muskeln spielen lassen, anstatt eine kluge und nachhaltige und vor allem humane Politik zu betreiben. Das fördert die Aufrüstung: Während die Beiträge für Gedenkdienste gestrichen werden, kann das Bundesheer mit attraktiven Angeboten Wehrpflichtige an sich ziehen. Während manche soziale Einrichtungen um ihr Überleben kämpfen, beginnen die Diskussionen um den Ankauf vollbewaffneter neuer Kampfflugzeuge. Für Sebastian Kurz ist das „Geilomobil“ nicht mehr ein dieselfressender SUV, sondern ein Pandur am Brenner.

Demokratiepolitisch gesehen ist eine Entwicklung bedenklich, die die Militärs mit der Aufgabe der Flüchtlingsabwehr betraut. Es geht in der Flüchtlings- und Migrationsfrage zunächst um den Bereich der Inneren Sicherheit, für die eben nicht das Militär und das Verteidigungsministerium zuständig sind, sondern das Innenressort und die Polizei und Zollwache. Wenn es um Grenzschutz geht, sind diese Staatsorgane weitaus besser geeignet und qualifizierter als beispielsweise Rekruten des Bundesheeres. Es ist letztlich verfassungswidrig, wenn Äußere und Innere Sicherheit vermischt werden. Eine Militarisierung zentraler Bereiche staatlicher Politik tut einer Demokratie nie gut.

Aus humanitären Gründen gäbe es bessere Möglichkeiten als militärische Flüchtlingsabwehr: Wenn es tatsächlich einen Flüchtlingsansturm geben sollte, dann bräuchte es a) entsprechend geschulte Polizeikräfte, b) Asylexpertinnen und -experten, die auch im Auftrag der EU oder der UNO bzw. der UNHCR agieren könnten. So könnte den Flüchtlingen qualifiziert geholfen werden. Ihr grundlegendes Menschenrecht auf Asyl würde nicht defacto abgeschafft.

Das Schüren und Verstärken von Bedrohungsängsten hilft zu keinen rationalen Lösungen. Menschen, die bereits in Österreich als Flüchtlinge leben, einen Asylstatus haben oder schon sehr lange darauf warten, müssen sich als unerwünscht fühlen. Es ist daher umso wichtiger, die aktuellen Zahlen zu betrachten. In Tirol ist die Zahl der Flüchtlinge und Asylsuchenden in den vergangenen Monaten zurückgegangen. Aktuell leben in Tirol noch rund 5400 Flüchtlinge. Aufgrund wurden allein in Tirol in den letzten Wochen 33 von 100 Asylheimen geschlossen. Noch gäbe es also Kapazitäten, Flüchtlinge aufzunehmen. Es braucht weiters vor allem eine europaweite Solidarität, die vor allem Italien hilft, mit dem hohen Ansturm von Flüchtlingen zurechtzukommen. Allein in diesem Jahr sind bereits 85.200 Flüchtlinge nach Italien gekommen, in den letzten Wochen 12.000. Eine europäische Lastenverteilung findet nicht statt. Länder wie Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn weigern sich überhaupt, die Gestrandeten aufzunehmen – und Österreich? Siehe oben! Die EU-Vereinbarungen zur Flüchtlingsaufteilung werden ignoriert.

Das wiederholte Mantra von Sebastian Kurz von der „Schließung der Mittelmeerroute“ verbunden mit seiner Kritik an den NGOs erweist sich bei genauerem Hinsehen ohnehin als zutiefst inhuman. Es ist verbunden mit der Ansage, dass jene NGOs, die Menschenleben retten und damit das internationale Seerecht einhalten, die „Bösen“ seien. Flüchtlinge ohne Verfahren in ein Herkunftsland zurückzuschicken, widerspräche weiters dem grundlegenden Asylrecht. In den Auffanglagern in Libyen wiederum, wohin Flüchtlinge zurücktransportiert würden, gelten Menschenrechtsstandards nichts. Inseln, wohin die Flüchtlinge gebracht werden könnten, gibt es nur in der Vorstellungswelt des wahlkämpfenden Außenministers.

Es bräuchte hingegen nachhaltige Maßnahmen, um dem Flüchtlingselend zu begegnen: Dazu zählen ein entschiedener Kampf gegen den Klimawandel durch einen klimafreundlichen Lebensstil und eine klimafreundliche Politik und Wirtschaft sowie entwicklungspolitische Hilfestellungen in den verarmten Ländern Afrikas. Dafür freilich könnte sich Außenminister Sebastian Kurz stark machen. Dazu wiederum bräuchte es einen anderen Blickwinkel, den Papst Franziskus im Zusammenhang mit dem G-20-Gipfel einmahnte. Am wichtigsten, so der Papst, sei es, „die ärmsten Menschen in den Vordergrund zu stellen“. Gerade in diesen Sommermonaten wird aber sichtbar, wie gerne wir uns selbstsüchtig um unsere eigenen Achsen drehen. Wie verrückt unsere Welt gegenwärtig ist, zeigt sich aktuell am Brenner: Während die Klimaflüchtlinge von heute militärisch abgehalten werden sollen, bewegen sich Autokolonnen in den Süden – wobei jeder und jede heute genügend ausreichend informiert sein sollte, dass ein solcher Lebensstil zu Klimaveränderung und damit auch zu Hungerkatastrophen in Afrika führt.

 

Klaus Heidegger,
Vorsitzender der Katholischen Aktion der Diözese Innsbruck,

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  1. Juli 2017