Einfühlungsübung in Asylfragen

Wärst Du ein Flüchtling aus dem Bürgerkriegsland Somalia oder ein Klimaflüchtling aus Eritrea oder ein Hungerflüchtling aus dem Sudan, hättest Du die gefährliche Reise durch die vertrocknenden Wüsten- und Steppengebiete Afrikas bis nach Libyen geschafft – oder besser gesagt: „überlebt“, immer mit der Angst, getötet oder vergewaltigt  oder ausgeraubt zu werden, wärst Du bis an die afrikanische Küste des Mittelmeers gekommen mit Geld, das Verwandte und Freunde dir anvertraut haben, um damit Schlepper zu bezahlen, die Dir ein Platz auf einem Schlauchboot anbieten, eingepfercht mit Dutzenden anderen verzweifelten und hoffnungsvollen Habenichtsen, die Schwimmweste um den Nacken wie ein Strohhalm, wäre dein Boot immer knapp am Kentern, zu klein, zu überladen, um es bis zur italienischen Küste zu schaffen: du wärst so dankbar, wenn endlich eines der Rettungsschiffe von „Ärzte ohne Grenzen“ oder einer anderen NGO auftauchte, Dich an Bord nähme, mit Wasser versorgte, mit wärmenden Decken, und dich dann den italienischen Behörden übergäben, damit Du in einem der überfüllten Flüchtlingslager aufgenommen wirst. Das Menschenrecht auf Asyl würde Dir nicht einfach verwehrt und Du würdest zunächst nicht abgestempelt als „Illegaler“, sondern Deine Fluchtgründe würden geprüft und vielleicht würdest Du es schaffen, als Flüchtling anerkannt zu werden, ein neues Leben in Sicherheit und Freiheit zu beginnen, die Sprache des neuen Landes zu lernen, eine Ausbildung zu machen und eine Arbeit zu finden.

Wärst Du so ein Flüchtling, dann wärst Du froh, dass sich Italien noch an die völkerrechtlichen Vorgaben hält, Dich nicht auf Lampedusa wie in einem Gefangenenlager interniert, Dich nicht einfach zurückschiebt in die Hände der libyschen Milizen, denen die Vereinten Nationen schwere Menschenrechtsverletzungen vorwerfen. Abschiebung in die Auffanglager in Libyen wäre ein Bruch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Du hättest aber Angst vor Politikern, die ständig von der Schließung der Mittelmeerroute reden, um so Wahlen zu gewinnen. Du kennst sie nicht, jene mächtigen Männer, die ungeachtet des Völkerrechts und Menschenrechts Menschen ertrinken lassen würden und das Recht auf Asyl letztlich missachten.

Wie würde es dem Flüchtling aus Somalia gehen, wenn er Heinz-Christian, Hans Peter, Wolfgang, Sebastian, Viktor oder Donald hieße? Es wäre so schön, wenn sich diese Politiker in die Haut der Flüchtlinge versetzen würden, dann wären ihre Worte vorsichtiger, dann würden sie nicht überlegen, wie können wir besser die Grenzen schließen, sondern wie können Flüchtlinge in diesem Europa besser verteilt und aufgenommen werden. Dann würde nicht zynisch überlegt, wie ein Exportverbot für Schlauchboote nach Afrika erlassen werden soll, sondern der Export von Kriegsgütern würde gestoppt, die ungerechten Terms of Trade würden beendet werden, statt Soldaten würden entwicklungspolitische Expertinnen und Experten entsandt, die beim Wiederaufbau der am meisten verarmten Länder helfen.

Wärst Du einer der verhungernden oder verdurstenden oder vom Krieg gezeichneten Menschen aus Afrika, dann wärst Du froh über europäische Politiker, die von einem „Marshallplan“ für Afrika reden, von sehr viel mehr Geldern, die in die Entwicklung der Länder Afrikas gesteckt werden sollen. Dankbar würdest Du sein über die so eindeutigen Stimmen kirchlicher Vertreter und Organisationen, die nicht darüber hinwegsehen, dass in den Sommermonaten 2017 an die 20 Millionen Menschen in Afrika am Verhungern und Verdursten sind. Oft bleibt eben nur die Flucht als Überlebenschance.

Deine Freundinnen und Freunde, Du Klimaflüchtling aus Afrika, sind jene Menschen, die mit ihrem Lebensstil jetzt schon so leben, dass sie möglichst wenig zur Klimaerwärmung beitragen, möglichst wenig mit dem Auto fahren, regionale Wirtschaftskreisläufe unterstützen und auf Fleischprodukte weitestgehend verzichten. Deine Freundinnen und Freunde, Du Kriegsflüchtling aus Afrika, sind jene Organisationen, die Sand im Getriebe der Kriegsindustrien sind. Auch österreichische Unternehmungen sind im profitablen Rüstungsgeschäft dabei. Deine Freundinnen und Freunde, Du Elendsflüchtling aus Afrika, sind NGOs, die Dich vor dem Ertrinken retten oder Dir helfen, dass Du nicht aus Deiner Heimat flüchten musst.

Klaus Heidegger, 23. Juli 2017